Ronald Barnabas Schill

 

September 2003

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Rechtspopulismus in Europa
Ein Zwischenspiel?

Teil III

Im letzten Teil, der sich als Fortsetzung versteht und die Überlegungen der bisherigen Teile voraussetzen muss (siehe online-Archiv: www.rotdorn.org, d. Red.), soll geprüft werden, ob die Bundesrepublik Deutschland ein fruchtbarer Boden für den Rechtspopulismus darstellt, welche Rolle der Staat und die Justiz in der Ideologie der Rechtspopulisten spielen und am Beispiel des "Richters Gnadenlos", des Hamburger Innensenators Schill und seiner Partei, soll die "law-und-order-Politik“ dieser Ideologie entfaltet werden.


Bislang sahen deutsche Politologen ernstzunehmende rechtspopulistische Gefahren eher im europäischen Ausland als in der Bundesrepublik. Namen wie Jörg Haider in Österreich, Silvio Berlusconi, Umberto Bossi und Gianfranco Fini in Italien, Jean-Marie Le Pen in Frankreich, Carl Hagen in Norwegen oder jüngst Pim Fortuyn in den Niederlanden und Pia Kjaersgaard in Dänemark standen für die Fähigkeit, rechtspo-pulistische Programme umzusetzen und in manchen Fällen bis in die Regierungsmit-verantwortung hineinzutragen.
Aber auch in der Bundesrepublik, so viele kritische Beobachter, besteht ein weit höheres rechtsextremes oder rechtspopulistisches Potential, als es die Wahlergeb-nisse von DVU, Republikanern und NPD anzeigen. Das belegen nicht nur die häufi-gen rassistischen Anschläge, die in dieser Massivität in vielen Ländern mit höheren Wahlergebnissen für rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien nicht zu finden sind. Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über „Rechtsextremismus und Gewalt“ bestätigt die Aussagen der „Sinus-Studie“ von 1981, in der 13 Prozent der westdeut-schen Bevölkerung ein ideologisch geschlossenes rechtsextremes Weltbild attestiert wurde.
Hamburg zählt nicht nur zu den reichsten Regionen Europas, sondern bildet sich auch viel auf seine hanseatisch-liberale Tradition ein. Aber Hamburg hat auch eine politische Klasse, die aus Abgehobenheit, sozialer Ignoranz und machtbesässenem Taktieren eine Stadtentwicklung betrieben hat, die seit längerem der Nährboden für starke rechtspopulistische Strömungen ist. In den sozialen Brennpunkt-Stadtteilen herrscht Verwahrlosung und Verarmung. Sie wird auf den Straßen und Plätzen sicht-bar einerseits durch Bettelei, Drogenumschlag, Obdachlosigkeit und Alkoholismus, andererseits durch einen hohen Ausländeranteil, da diese MitbürgerInnen in die billi-gen Armutsquartiere der Großstadt gedrängt und damit sozial ausgegrenzt werden. Das führte zum (un)heimlichen Aufstand der anständigen Bürger an der Wahlurne und ebnete dem „Richter Gnadenlos“ den politischen Weg.
Findet sich in Deutschland bei anhaltend ähnlichen Entwicklungen wie in Ham-burg eine charismatische Führerfigur, die es versteht, die Globalisierungsverlierer des unteren Mittelstandes und die von der SPD und PDS sozial im Stich gelassene Arbeiterschaft (die die Schill-Partei nach Wahlanalysen zu 27 Prozent gewählt hat) um sich zu scharen, haben wir auch hier bald eine starke rechtspopulistische politi-sche Kraft. Ob dies die Schill-Partei werden wird, gilt es abzuwarten.

Schills Partei „Rechtsstaatliche Offensive“

Das kann ja heiter werden für den nächsten Hamburger Innensenator: Als der Richter Ronald Barnabas Schill im Januar 2000 seinen Schreibtisch im Hamburger Strafjustizgebäude räumte, hinterließ er 225 nicht bearbeitete Fälle. Die ältesten Ak-ten stammten aus dem Jahre 1995.
Schill beschäftigte als Strafrichter zwischen 1993 und 1999 ebenso die Hamburger Lokal- und Boulevardpresse wie die Hamburger Stammtische. Er verurteilte S-Bahn-Sprayer und jugendliche Drogenabhängige zu hohen Haftstrafen und erwarb sich so den Ruf des „Richters Gnadenlos“. Seine Richterkollegen bezeichnete er als „ver-weichlichte 68er“. Nachdem Schill Anfang 2000 an das Zivilgericht versetzt wurde, fühlte er sich kalt gestellt und trat den Weg in die Politik an.
Im Juli 2000 gründete er die „Partei Rechtsstaatliche Offensive“. Nicht einmal 16 Monate später, am 23.September 2001, stimmten bei der Bürgerschaftswahl 19,4 Prozent der Hamburger für den „Newcomer“. Seine Partei wird, und das obwohl 43 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger sie für nicht demokratisch halten, mit Abstand drittstärkste politische Kraft im Stadtstaat. Die CDU, die kaum über ihr histo-risch schlechtestes Wahlergebnis von 1993 hinauskam, und die FDP, die gerade so die 5-Prozent-Hürde nehmen konnte, koalierten mit ihm und seine Partei zog in den Senat der Hansestadt ein. Die einst rote Hochburg im Norden wird schwarz.

Schills Rechtspopulismus, ähnlich wie der Jörg Haiders, mit dem er jedoch nicht verglichen werden will, ist gekennzeichnet durch
· eine charismatische Führerschaft,
· Sprüche von den „kleinen, anständigen Leuten“, für die er sich stark mache,
· eine radikale Simplifizierung insbesondere von komplexen politischen Zusam-menhängen sowie
· einer Politik, die Vorurteile und Ängste der kleinen Leute vermarktet.

Schill zog und zieht verbal im Wahlkampf wie auch in Senatspressekonferenzen zum Schrecken des 1. Bürgermeisters (CDU) aus gutem Hause gegen das herr-schende Establishment, gegen den „roten Filz“, gegen die sich überall breitmachen-den 68er, gegen das „Kartell von strafunwilligen Pädagogen und Jugendrichtern“, gegen die „Traditionsparteien“ zu Felde. Seine überfüllten Wahlveranstaltungen und Pressekonferenzen waren und sind gut inszenierte „Oktoberfestreden“, nicht um-sonst sprechen die Journalisten auch von seiner Partei als der CSU des Nordens. Franz-Josef Strauss hätte seine helle Freude an Ronald Barnabas Schill. Selbst noch im Bürgermeisteramt bekämpft er verbalradikal die politische Klasse: „Wer Obstrukti-onspolitik (Verhinderungspolitik) betreibt und versucht, uns auszubremsen, wird aus einflussreichen Positionen entfernt werden müssen.“

Ein starker, autoritärer Staat

Obwohl Schill immer wieder betont, mit neofaschistischen Tendenzen oder gar mit der Verharmlosung des NS-Regimes nichts zu tun zu haben – daher seine verbale Abgrenzung von Österreichs Jörg Haider -, ähneln seine Staatsvorstellungen bei-spielsweise Italiens Neofaschisten der „Allianza Nationale“ und älteren nationalisti-schen Modellen: Ein Staatsvolk aus den produktiven Schichten als soziale Gemein-schaft geformt, organisiert in einem hierarchisch gegliederten Staatswesen mit stren-gen, auch tatsächlich durchgesetzten Rechtsnormen, formiert sich gegen einen pa-rasitären Block Krimineller und Verwahrloster.
Auch die Haider-Partei FPÖ kämpft wie Schill mit markigen Sprüchen für „law and order“: „Lebenslänglich muss lebenslang sein und bleiben“ erklärt eine von Haiders Stellvertreterinnen, von Beruf Staatsanwältin, die die Hitzinger Damenkränzchen bes-tätigend erröten lässt, wenn sie für Sexualstraftäter „Pimmel abschneiden“ fordert. Bei „Richter Gnadenlos“, dem heutigen „Partysenator“ heißt das „Kastration für Se-xualstraftäter“.
Schill orientiert auf die konservative Begriffswelt eines starken und autoritären Staates. Die – in seinem Sinne – Entpolitisierung und Refunktionalisierung von Poli-zei und Justiz sind Kernelemente seiner politischen Strategie. Nicht ein zivilgesell-schaftlicher Konsens von pluralen Werten und unterschiedlichsten Anschauungen soll die Praxis von Polizei und Justiz prägen, sondern allein die strenge und konse-quente Durchsetzung von staatlichen Gesetzen und die Errichtung einer vordemokra-tischen, vorparlamentarischen Staatsordnung, die durch eine klare hierarchische Be-fehlsstruktur und nicht durch Meinungsvielfalt und bürgerrechtliche Mitsprache gekennzeichnet ist.
Weder Arbeitsmarkt-, Bildungs– und Ausbildungspolitik noch Vorschläge für eine dringend notwendige Infrastrukturförderung für Hamburg enthält das Wahlprogramm der „Rechtsstaatlichen Offensive“. Die Partei ist der Auffassung, dass sich bei einem härteren Durchgreifen gegen Kriminalität und Immigration die haushalterischen Prob-leme der Stadt lösen würden. Von Wiedereingliederung nach der verbüßten Haftstra-fe, Resozialisierungsprogrammen und Freigang während der Haft, damit alle familiä-ren Bindungen nicht wegbrechen, hält Schill gar nichts. Das kostet den anständigen Bürger nur seine „sauer“ verdienten, dem Staat zu anderem Nutz und Frommen ent-richteten Steuern.
Zwar wird die Mehrheit der in Hamburg lebenden ausländischen MitbürgerInnen vordergründig für ihr integratives Verhalten gelobt, um im gleichen Atemzug die allzu bekannten Vorurteile nachzubeten und die Fremdenfeindlichkeit der Stammtische mit „Argumenten“ zu füttern. Neben dem Thema der überhand nehmenden Kleinkri-minalität geht es dabei um den Drogenhandel, der zu ca. 70 Prozent in ausländischer Hand sei. Auch könne es sich die norddeutsche Metropole nicht mehr leisten, wenn 30 Prozent der Sozialhilfe, fast 320 Mio. Euro, für Immigranten ausgegeben werden und ca. 6.000 rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber die Steuerzahler mit rund 50 Mio. Euro belasten.
Der Staat und die Justiz haben für Schills Wählerschaft unbarmherzig die Freiräu-me zu sichern, die die „kleinen, anständigen Leute“ zum bequemen Leben brauchen und die ungerechtfertigte Bereicherung des Establishments ebenso zu bestrafen wie die parasitäre Lebensweise der lästigen Linken, der Verwahrlosten und Verkomme-nen, der Kriminellen und Fixer. Ordnung muss wieder einziehen in Deutschland.

Hat die Schill-Partei bundesweit eine Zukunft?

Wenn die Massenerwerbslosigkeit anhält ohne das Politik ernstlich etwas dagegen tut, denn Arbeit ist in der Gesellschaft genügend vorhanden;
wenn der Sozialabbau weitergeführt wird im wohligen Einvernehmen der politi-schen Klasse, ob CDU/CSU, ob SPD, ob GRÜNE oder FDP, alle beten neoliberale Rezepte nach und sind sich einig: der Arbeitnehmer, der Arbeitslose, die Rentner und Kinderreichen bezahlen die Zeche, damit es den Wirtschaftsbossen, den Bör-senspekulanten und dem gehobenen Mittelstand weiterhin „super“ geht – nicht um-sonst steigt in diesem Land nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern auch die Zahl der Millionäre;
wenn die Armut wie die Kriminalität in den Großstädten wächst, die Innenstädte verkommen, die Dörfer verfallen und der Riss zwischen arm und reich in diesem Land fast unüberbrückbar wird;
dann haben Schill-Parteien, sprich der Rechtspopulismus, in Deutschland bald wieder Konjunktur. Denn die Angst vor dem sozialen Abstieg und der Ausgrenzung wächst ebenso wie die Vorurteile gegen schon am Boden Liegende und/oder Ausge-grenzte.
Die politische Linke muss sich Antworten und Politikkonzepte einfallen lassen, die unmittelbar auf die von der Schill-Partei ausgehenden Gefahren eingehen. Aber selbst im wünschenswerten Fall des kurzfristigen Niedergangs der Schill-Partei ver-schwinden nicht die Probleme, die ursächlich dazu beigetragen haben, dass hilflose Bürgerinnen und Bürger Schill gewählt haben. Die politische Linke sollte diese Prob-leme ernst nehmen und nicht in schnoddrig salopper Manier, wie der PDS Wirt-schaftssenator von Berlin, Sprüche klopfen: ihm ginge es so wie Altbundeskanzler Schmidt, der sagte, Politiker, die Visionen haben, gehören zum Psychiater. Die Lin-ken in Deutschland sollten demokratische, emanzipatorische und solidarische Kon-zepte entwickeln und dem Land wieder eine orientierende Vision von einer basisde-mokratischen, ökologischen Zivilgesellschaft geben. In Hinblick auf den rapiden ge-sellschaftlichen Verfall in der Bundesrepublik ist dafür allerdings nicht mehr unbe-grenzt Zeit.


Klaus Körner