Rechtspopulismus in Europa
Ein Zwischenspiel (Teil 2)
In diesem Teil
soll auf die sozialen und emotionalen Gründe des Erfolges der rechtspopulistischen
„Rattenfänger“ eingegangen werden. Daneben wird eine kurze
Einschätzung der österreichischen Freiheitlichen Partei (FPÖ)
und ihres (un)geistigen Vordenkers Jörg Haider stehen. Der im September
folgende letzte Teil soll sich mit der Rolle des Staates in der Ideologie
der Rechtspopulisten beschäftigen und am Beispiel des „Richters
Gnadenlos“, des Hamburger Innensenators Schill die „law-und-order“-Politik
dieser Ideologie entfaltet werden.
Die strukturellen
Hintergründe
Handel und Produktion stehen durch die Globalisierung unter dem Diktat der
internationalen Konzerne, die die regionale und nationale Wirtschaft in ihren
Händen konzentrieren oder durch ihren Preisdruck kaputtkonkurrieren.
Die Produktion von einheimischen Gütern wie griechischem Olivenöl,
deutschen Textilien oder französischem Wein geht zurück und Kulturlandschaften
und Industriestandorte veröden zugunsten von Dritte-Welt-Produkten, die
durch Hungerlöhne und unrealistische, weil Umweltschäden nicht einkalkulierende
Produktions- und Transportkosten von internationalen Multis preiswerter angeboten
werden können.
Die Globalisierung schlägt sich u.a. in einer weltweiten Verbreitung
von kulturell homogenen, d.h. US-amerikanisch geprägten Konsummustern
und Kommunikations- und Informationsangeboten nieder. Politisch führt
die Globalisierung zum Autonomie- und Souveränitätsverlust der einzelnen
Nationalstaaten und ihrer gesetzgebenden Organe. Dies manifestiert sich auch
in der nachlassenden Integrationsfähigkeit von Parteien und Gewerkschaften.
Mitgliederschwund, Politikverdrossenheit, Wahlboykott und eine wachsende Entfremdung
zwischen dem Bürger und der politischen Klasse sind deutliche Zeichen
dafür. Im allgemeinen erfüllen die politischen Institutionen zwar
noch die „Scharnierfunktion“, aber sie sind längst nicht
mehr angesichts der internationalen Herausforderungen reformfähig. Sie
haben längst aufgegeben, die sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten
zu repräsentieren (Zwei-Drittel-Gesellschaft).
Diese globalen Entwicklungen, verschleiert durch die politische Klasse, produzieren
gerade unter den benachteiligten Schichten Anhänger rechtspopulistischer
Parteien, die den Zumutungen der Globalisierung - Entwurzelung, Entfremdung,
Verunsicherung und Sinnverlust - nichts substantielles entgegenzusetzen haben.
Die „kleinen Leute“ stürzen sich deshalb auf die von „Rattenfängern“
angebotenen vereinfachenden, selbstvergewissernden Bilder zur Sinngewinnung
und persönlichen Bestätigung. Der moderne Rechtspopulismus mobilisiert
seit Jahren erfolgreich die Globalisierungsverlierer mit ihren Ressentiments
und Ängsten vor Arbeitsplatzverlust und sozialem Abstieg bis weit in
die Mittelschichten hinein. Lieber ein noch so unbedeutendes Rädchen
in einer Maschinerie sein, die Nestwärme und die Ausgrenzung alles beunruhigend
Fremden verspricht, als ein zum Denken verurteiltes, die Widersprüchlichkeiten
des Lebens analysierendes und austragendes Subjekt mit all seinen Ohnmachtsgefühlen
zu sein. Bei diesen Bevölkerungsschichten hat die ehemals führende
Sozialdemokratie die meisten Federn gelassen. Das Wahlvolk hat immer weniger
Vorstellungen, welche Partei wofür steht und welche Politiker welche
Ziele verfolgen. Der einfache Wähler fragt nur noch, welcher Parteiführer
antwortet auf meine emotionalen Bedürfnisse, Ängste und Hoffnungen.
Die Politiker entsprechen mit einem raffinierten Management diesen Erwartungen,
ja sie fordern diese Erwartungen geradezu heraus. In diesem Bereich der sog.
Design-Politik, wo es um die Erzeugung, Verteilung und Manipulation von sozial
wirksamen Symbolen geht, um die Überbietung des bislang „Dagewesenen“,
um die „Wortführerschaft“(P. Glotz) sind Leute wie Haider
oder Le Pen unschlagbar. Die Emotionalisierung wird dort besonders gepflegt,
wo Ressentiments gegenüber „denen da oben“ leicht zu wecken
sind. Die Lufthoheit über den Biertischen kommt deshalb den rechten Populisten
zu, obwohl sie selbst zu „denen da oben“ gehören. Unter solcher
Massensuggestion fühlt sich niemand mehr einsam, unterdrückt oder
zu vernünftigem Handeln vergattert, sondern als Teil einer brüllenden,
klatschenden Gemeinschaft von Patrioten, die ihren „Mann“ stehen
und von einer weisungsgebenden Führerfigur auf den Heilsweg geleitet
werden.
Der weltweiten geographischen Globalisierung (Entgrenzung) steht die innergesellschaftliche
Fragmentarisierung (Zerstückelung) gegenüber. Das führt auch
in den europäischen Gesellschaften zu wachsender sozialer Ungleichheit.
Die Kluft zwischen arm und reich wird immer größer. Diese sozioökonomische
Polarisierung geht mit einem forcierten Individualisierungs-, ja Atomisierungsprozess
familiärer, nachbarschaftlicher und freundschaftlicher Bindungen einher.
Mobilitätsdruck und Migration verstärken die gesellschaftlichen
Widersprüche und Ungleichheiten; sie zerstören menschliche Beziehungen.
Wenn die politischen und sozialen Veränderungen der Globalisierung nicht
mehr durch die Ordnungspolitik eines Staates in ausreichender Weise auf die
Schultern aller gesellschaftlichen Gruppen - vor allem der starken - verteilt
wird und sich das System nicht nach sozialstaatlichen sowie zivilgesellschaftlichen
Kriterien des Umverteilens des gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtums
organisiert, dann werden die Bevölkerungsschichten, die auf Grund des
Systemwandels verarmen, anfällig für eine Politik, die mit ethnisch-kulturellen,
rassistischen, religiösen oder ausschließlich regionalistischen
Parolen begründet, warum die gesellschaftliche Rolle dieser Schichten
verloren ging und wie sie zurückzuerobern sei.
Unter solche Entwicklungen fällt vor allem das Aufleben des Rechtsradikalismus,
des Rechtspopulismus, des separatistischen Regionalismus und des religiös
verbrämten Fundamentalismus.
Sind Jörg Haider
und seine „Buberln“ am Ende?
Seit dem Regierungseintritt der FPÖ als Sieger der Nationalratswahlen1999
(27%) in die blau-schwarze Koalition verliert die Partei eine Landtags- und
Kommunalwahl nach der anderen. Das war bis zur blau-schwarzen Koalition anders.
Seit Jörg Haider die FPÖ führte, (von 1986 an) schritt sie von
Wahlerfolg zu Wahlerfolg. In Kärnten, dem südlichsten Bundesland mit
einer Grenze zu Slowenien und einer slowenischen Minderheit konnte die FPÖ
im März 1999 sogar die stärkste Partei (42%) werden und Haider wurde
Landeshauptmann (Ministerpräsident).
Bei ihrem Absturz anläßlich der Nationalratswahl im November 2002
schrumpfte sie um fast Zweidrittel auf rund 10% und die Talfahrt geht von Wahl
zu Wahl weiter.
Die „kleinen Leute“, deren angebliche Interessen Jörg Haider
so gern im Munde führt, sind enttäuscht von der Kluft zwischen Reden
und Handeln. Doch nach fast fünf Monaten Sondierungsgesprächen der
österreichischen Schwarzen (ÖVP) mit allen Parteien sind Haiders Vollstrecker,
die FPÖ, wieder mit Ministerpräsident Schüssel ins Koalitionsbett
gekrochen. Haiders angekündigter Rücktritt nach der Wahlniederlage
und der Rücktritt vom Rücktritt verwirrten die Wähler ebenso
wie sein gespielter Widerspruch zu seinen „Haupt“leuten. Hauptsache
das mittlerweile einfache Parteimitglied Jörg Haider erscheint als der
einzige, der des Volkes Interessen, die Rechte der „kleinen Leute“
lautstark vertritt: Keine Abwehrjäger sondern Steuersenkung! So weit so
populär. Aber was macht den Ideologen Haider wirklich aus? Ein ideologisches
Konglomerat von verbalen Angriffen, sozialen Ausgrenzungen, nationalen Stereotypen
und rechtlichen Diskriminierungen, am wirkungsvollsten von der FPÖ inszeniert,
hat schon längst auf subtilem Wege das Alltagsbewusstsein der breiten politischen
Mitte besetzt und bestimmt das entsprechende Handeln. Dieses Konglomerat aus
ideologischen Versatzstücken besteht bei der FPÖ aus:
· einem dubiosen Umgang mit der Nazivergangenheit (gute Arbeitsplatzpolitik,
Leugnung des Holocaust, Unterstützung von Kameradschaftstreffen auch der
SS);
· einem dumpfen Deutschnationalismus und volkstümelnder Nostalgie,
in einem Land, das geschichtlich aus einem Vielvölker-Reich entstand, in
dem sich Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn, Rumänen, Juden, Kroaten und
Slowenen mit deutschstämmigen Untertanen die Ämter im Staatsapparat
und beim Militär teilten;
· einer biologisch völkischen Ungleichheitsideologie, die den Geist
der alten/neuen abendländischen Wertegemeinschaft heraufbeschwört,
die als „soziale Volksgemeinschaft“ (Ständestaat) ihr Handeln
bewusst antipluralistisch ausrichtet und fiktionale Überfremdungsängste
schürt;
· einer Erhaltung des Volkstums durch Stärkung der „völkischen
Substanz“, was auch immer Haider darunter versteht, indem er seine ausländerfeindliche
Abschottung des Landes zur inländerfreundlichen Politik „für‘s
eigene Volk“ ummodelt;
· einer antisemitischen und antikommunistischen Stimmungsmache, die zum
idealisierten Treuebekenntnis für Volk und Heimat umgemünzt wird (Kärnten
beispielsweise bleibe deutsch, frei und ungeteilt und werde nicht „slowenisiert“).
Dieses (un)geistige Gebräu ist nun genau das Gesöff, das den Durst
des „Globalisierungsverlierers“, des kleinen Mittelständlers
und des Facharbeiters stillt. Seine Ängste um den Arbeitsplatz oder die
Firma, seine Ressentiments allem und allen Fremden gegenüber, sein Stolz
auf das in der Vergangenheit Geleistete und seine Suche nach Nestwärme
in der postmodernen Kälte, all das wird von Haiders Ideologie bedient.
Auch wenn sich gegenwärtig die FPÖ im entideologisierten Gewande einer
herkömmlichen Partei zeigen möchte und sich der „Rechtsextremismus“
seiner politischen Akteure zu verflüssigen scheint, so sind Bodensatz und
Grundhaltungen immer noch vorhanden und können, wenn es das politische
Machtpoker verlangt, jeder Zeit wieder in den Vordergrund treten, um Neoliberalismus
und Deregulierung den „kleinen Leuten“ erfolgreicher zu verkaufen.
Tatsache bleibt, dass dieses menschenverachtende Konglomerat zwar in seiner
aggressiven Zuspitzung von Haider und seinen „Buberln“ momentan
keine Mehrheiten mehr mobilisiert. Daraus aber sollte man nicht auf die Abwesenheit
oder bloße Marginalität dieses Konglomerats schließen. Dirigent
Haider und sein Schrammelorchester haben die große politische Bühne,
so scheint es, verlassen, betreten haben die Bühne die Manager des medienkundigeren
Playbacks.
Klaus Körner