Rechtspopulismus in Europa
Ein Zwischenspiel?
Der Rechtspopulismus in Europa hat nach dem Zusammenbruch des sog. Ostblocks und dem Versagen der Sozialdemokratie als Verfechter und Bewahrer einer sozialstaatlichen Alternative zum Neoliberalismus seine Chance gewittert. Die Verbindung zwischen neoliberaler Ideologie, autoritären Staatsvorstellungen und demagogischen Antworten auf die Existenzängste des pauperisierten (verarmten) Mittelstandes bildet die Mischung, die die neue Rechte immer häufiger für breite Bevölkerungsschichten wählbar macht und zur Regierungsbeteiligung an der Seite der traditionellen konservativen Parteien führt. In drei Teilen sollen wesentliche Merkmale des Rechtspopulismus vorgestellt und anhand von Beispielen erläutert werden.
Europas neue Rechte auf dem Vormarsch?
Neben
der wichtigsten Bindung der Europäischen Union, der Wirtschafts- und Handelsgemeinschaft,
galt bis vor kurzem vielen auch noch das gegenseitige Versprechen: Nie wieder
Nationalismus, nie wieder Rassismus, nie wieder Totalitarismus als eine
entscheidende politische Klammer.
Nach
dem Zerfall der Sowjetunion, Jugoslawiens und des gesamten Ostblocks witterten
nationalistische Kräfte wieder eine Chance, zumal der Globalisierungsdruck nach
dem Ende des "friedlichen Wettbewerbs" der Systeme sich rasant
verstärkte. Die neue Rechte entledigte sich der allzu offensichtlichen
faschistischen Requisiten. Ihre Führer traten weder in Stiefeln, noch in
Uniformen oder militärischen Rangabzeichen vergangener Regime auf, sondern mit
Designerklamotten, Handy und Laptop. Für die Medienöffentlichkeit entsprechend
gestylt, führen sie aggressiv und eloquent Wahlkämpfe nach amerikanischem
Muster, geben sich volkstümlich, dynamisch und fortschrittlich. Sie attackieren
das "morsche System" der "alten Parteien" nicht nur in
Bierzelten und Gasthaussälen. Mit souveräner Selbstverständlichkeit bieten sie
sich bei Sektempfängen in noblen Vorstadtvillen als Verbündete im Kampf gegen
"linke Chaoten" und "kommunistisch unterwanderte
Gewerkschaften" an. Während sie in elitären Zirkeln neoliberale Wirtschaftskonzepte
beschwören, wildern sie gleichzeitig mit sozialistisch klingenden Parolen in
traditionell sozialdemokratischen oder sozialistischen Revieren. Im Spagat
zwischen fremdenfeindlichen, gegen die Sozialschmarotzer gerichteten
Schlagzeilen und über die Börsenspekulanten und Wirtschaftshaie den Stab brechenden
Slogans werben sie um die Stimmen jener "Anständigen und Fleißigen",
die Angst vor sozialem Abstieg und Arbeitslosigkeit haben. Das Versprechen,
Arbeitsplätze und Sozialleistungen den "Einheimischen" zu reservieren,
ist in ganz Europa zum Mobilisierungsthema geworden.
Ob
in dem gut bürgerlich situierten Dänemark, wo Rechtspopulisten mit
fremdenfeindlichen Wahlspots Stimmen fangen konnten und zur Stütze der
rechtskonservativen Regierung wurden, ob in Norwegen oder in der Schweiz, Fremdenhass
mobilisiert überall; in Belgien, wo der rassistisch und antisemitisch agierende
Vlaams-Blok noch an braunem Moder hängt und so für die Parteien der rechten
Mitte unzumutbar ist, die neue Rechte ist fast überall politisch auf dem
Vormarsch. Dank der angeblich so "linken Medien" kann sie sich
wählerwirksam aufbauen und sich für regierungsfähig erklären lassen.
Die
Freiheitliche Partei Österreichs des Rechtspopulisten Jörg Haider wird 1999 bei
den Parlamentswahlen zweitstärkste Partei und zieht an der Seite der ÖVP in die
Regierung ein. In Italien siegt im Mai 2001 die Rechte gegen eine
Mitte-Links-Regierung und der Rechtspopulist Berlusconi bildet mit den
Regionalisten der Lega Nord und den Neofaschisten ein Kabinett. Auch in
Deutschland erreicht bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im September 2001 die Partei
der rechtsstaatlichen Offensive des Rechtspopulisten Schill aus dem Stand
fast zwanzig Prozent und die CDU koaliert mit Schill. Bei der Präsidentenwahl
in Frankreich wird der Kandidat der Front National, Jean Marie Le Pen,
hinter Chirac im ersten Wahlgang zweiter, schlägt den sozialistischen
Ministerpräsidenten und kommt in die Stichwahl. Im Sommer 2002 erzielt in den
aufgeklärt bürgerlichen Niederlanden die Partei des Rechtspopulisten Pim Fortuyn,
der Wochen vor der Wahl ermordet wird, einen erdrutschartigen Wahlsieg. Sie bildet
mit Christdemokraten und Liberalen eine Mitte-Rechts Regierung unter Jan Peter
Balkenende.
Beim Zusammenbruch der sogenannten ersten Republik,
einschließlich der sie tragenden Parteien, kam ein unvorstellbares System von
Korruption, Filz und kriminellen Machenschaften an den Tag. Am Ende der 11.
Legislaturperiode des italienischen Parlaments, im März 1992 liefen gegen
insgesamt 447 Parlamentarier (354 aus dem Abgeordnetenhaus und 93 des Senats)
Ermittlungsverfahren. Darüber hinaus wurden massenhaft Politiker aus den Regionen
und Kommunen wegen unterschiedlichster Vergehen von der Justiz verfolgt –
angefangen von der illegalen Parteienfinanzierung, Bestechung,
Steuerhinterziehung bis hin zur Verwicklung mit der Mafia. Die DC, Democrazia
Cristiana (CDU Italiens), die Italien fast fünfzig Jahre in wechselnden
Koalitionen regiert hatte, brach auseinander und es bildeten sich aus den
Trümmern mehrere Splitterparteien. Ebenso erging es der PSI, Sozialistischen
Partei Italiens (vergleichbar mit dem rechten Flügel der SPD), die in den
letzten fünfzehn Jahren eine wachsende Rolle im System an der Seite der DC
gespielt hatte. Die politische Struktur der ersten Republik implodierte.
Im „Vakuum“ der beginnenden zweiten Republik spalteten
sich nicht nur die alten Parteien und neue entstanden, sondern alte wechselten
auch ihre Namen. Bei den Wahlen 1994 wurde die Forza Italia, die Partei
Silvio Berlosconis, die erst im Januar des gleichen Jahres gegründet worden
war, zweitstärkste Partei. Sie bildete mit den Regionalisten der Lega Nord
- deren politisches Ziel es war, den Norden vom unterentwickelten Süden
abzuspalten, um das ganz überwiegend im Norden Erwirtschaftete nicht mehr mit
dem Süden teilen zu müssen – und der sich zur Alleanza Nazionale umgetauften
neofaschistischen Partei des früheren MSI. Diese Koalition hielt nur ein paar
Monate, da die Lega das Kabinett Berlusconi verließ.
Der Sieg des Mitte-Links-Bündnisses L’Ulivo
(Olivenbaum) 1996 kam nur zustande, weil die Lega das Wahlbündnis
Berlusconis verlassen hatte. Dieser Sieg der Linken fiel in eine Zeit, als sie
ihren Modernisierungsprozess noch nicht abgeschlossen hatte. Dem
Mitte-Links-Spektrum war es damals unmöglich, ein zukunftweisendes politisches
Projekt zu formulieren, das über ein reibungsloses Management des
Tagesgeschäfts hinausging. Ihr primäres Ziel bestand nur darin, die
Maastrich-Kriterien einzuhalten, um in die Währungsunion des Euros aufgenommen
zu werden. Ökonomisch und sozial hatte die Linke keine wirkliche Alternative
zum Neoliberalismus anzubieten. Sie setzte stattdessen auf eine Abfederung der
schlimmsten Folgen der zunehmenden sozialen Polarisierung in der Gesellschaft
und auf ein schwammiges Konzept von der „Neuen Mitte“ (siehe Schröder und
Blair). Haushaltssanierung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit bildeten den
Rahmen ihrer Politik.
Die Konsolidierung der Forza Italia Berlusconis
in der Opposition, die gewachsenen Erfahrungen ihrer Parlamentarier und
Funktionäre und die stärkere Verankerung in der Gesellschaft (Zulauf aus den
alten Parteien, von der Lega Nord und von den enttäuschten linken
Wählern), führten bei Europawahlen und Kommunalwahlen (nach 2000 wurden zwei
Drittel der Regionen vom Rechtsbündnis regiert) zu beträchtlichen Gewinnen, so
dass der Wahlsieg im Mai 2001 des rechten Wahlbündnisses (Haus der Freiheit) –
jetzt wieder mit der Lega an Bord – Italien-Kenner nicht überraschte.
Die Forza Italia Berlusconis verkauft ihre populistischen
und medienwirksam ausstaffierten Antworten bis heute als „Bürgerbewegung“. Mit
dieser neuen Art Politik will sie sich von den Altparteien unterscheiden.
Allein der Name „Vorwärts Italien“ suggeriert den Aufbruch und soll
Modernisierung signalisieren. Ein dezidiertes Parteiprogramm lehnt Berlusconi
als zu steifes Korsett ab. Dennoch ist von Beginn an eine klare wirtschafts-
und sozialpolitische Ausrichtung erkennbar: Leistungsstärke,
Individualisierung, Wille zur Macht, Entfesselung der Marktkräfte, ungehemmter
Wettbewerb, jede Kontrolle im Rechtsstaat durch die Justiz gegenüber der
ökonomischen und politischen Macht wird abgelehnt; der autoritäre Staat hat nur
noch eine die Ordnung und Sicherheit garantierende Polizeifunktion. Alle Eingriffe
des Staates zur Umverteilung werden verteufelt und gelten als unproduktiv. Der
Markt ist das einzige Steuerungsinstrument der Gesellschaft. Der sogenannte
einfache Bürger und die produktiven Schichten – vor allem der Klein- und
Mittelstand – seien in der Vergangenheit ausgepresst worden. Die strukturelle
Ungleichheit sei erst durch den Staat hervorgerufen worden
(Wohlfahrtsdiktatur). Auch den Nord-Süd-Konflikt habe das alte morsche System
zumindest verstärkt. Die Selbststeuerungsfähigkeit des Marktes konnte nicht
wirksam werden. Daneben unterminiere die sozialstaatliche Intervention die
Motivation und Leistungsbereitschaft der Bevölkerung (soziale Hängematte, Sozialschmarotzer).
In dieses unappetitliche Gebräu von Demagogie mischt die Lega noch ihren
regionalistischen Egoismus und die Verteufelung des „faulen, mafiösen“,
agrarischen Südens und die Alleanza Nationale ihr autoritäres,
rassistisches Denken und ihren Sozialdarwinismus (Recht des Stärkeren,
Vernichtung des Schwachen).
Berlusconi als der starke Mann des Rechtsbündnisses
vertritt nicht nur in der Wirtschaft den Slogan: „the winner takes it all“.
Seine Partei-Clubs versprachen in den Wahlen der Region am meisten
Investitionen, in der am stärksten Forza Italia gewählt würde. Auch
außenpolitisch tönt der Ministerpräsident und lange auch gleichzeitig Außenminister:
„Der Westen ist dazu bestimmt die Völker zu verwestlichen und zu erobern“. Und
an anderer Stelle: „Wir müssen uns
unserer Überlegenheit und der Vorherrschaft des Westens bewusst sein!“ Neben diesem
typischen rassistischen Denken und des uneingeschränkten Plädoyers für den
Neoliberalismus existiert aber bei Italiens Rechtsbündnis eine Besonderheit:
Berlusconis Medienmonopol. Er beherrscht nicht nur drei private landesweit
ausstrahlende Fernsehsender, sondern nimmt auch Einfluss bei den drei
öffentlich-rechtlichen Kanälen der RAI, indem er willfährige Direktoren
einsetzen lässt. Damit ist ein wichtiges kritisches Instrument der modernen Demokratie
(denken wir an Watergate) lahmgelegt, zumal Berlusconi ebenfalls mehrere
Zeitungsverlage gehören. Auch an der Steuersenkungsschraube für die reichen
Schichten wird vom reichsten Mann Italiens und dem 14. der Welt gedreht (u.a.
Wegfall der Erbschafts- und Schenkungssteuer), ebenso zahlen diejenigen, die
illegal, an der Steuer vorbei, Gewinne ins Ausland verbracht haben, nur 2,5
Prozent Steuern, bringen sie das Geld nach Italien zurück; natürlich gehen sie
bei Berlusconi straffrei aus. Auch die diskriminierende Migrationspolitik, vor
allem von der Lega und der Alleanza Nationale forciert, ist für
den Rechtspopulismus in Europa typisch. Solange Einwanderer – pro Jahr legt die
Regierung eine bestimmte Anzahl fest – einen Arbeitsvertrag haben, werden sie
geduldet und ausgebeutet. Sobald dem Einwanderer gekündigt wird oder er selbst
kündigt, wird er zum illegalen Einwanderer und muss das Land umgehend
verlassen; so das neue italienische Einwanderungsgesetz zur Rekrutierung von
Saison- und Wandersklaven. Der Rechtsblock strebt auch nach einer
Verfassungsreform, um die Exekutive zu stärken, das Parlament zu entmachten und
eine Präsidialdemokratie nach US-amerikanischem Muster mit einem direkt gewählten
Staatspräsidenten einzuführen. Berlusconi möchte natürlich dieser mit
Machtfülle ausgestattete Staatspräsident werden. Ein Schelm, der Böses dabei
denkt!
Klaus Körner
Der zweite Teil soll sich mit strukturellen Hintergründen
des europäischen Rechtspopulismus, sowie mit Jörg Haider, der FPÖ und ihren
politischen Zielen nach den österreichischen Parlamentswahlen beschäftigen.