Januar 2003 

 

 

 

Rechtspopulismus in Europa

Ein Zwischenspiel?

 

Teil I

 

Der Rechtspopulismus in Europa hat nach dem Zusammenbruch des sog. Ostblocks und dem Versagen der Sozialdemokratie als Verfechter und Bewahrer einer sozialstaatlichen Alternative zum Neoliberalismus seine Chance gewittert. Die Verbindung zwischen neoliberaler Ideologie, autoritären Staatsvorstellungen und demagogischen Antworten auf die Existenzängste des pauperisierten (verarmten) Mittelstandes bildet die Mischung, die die neue Rechte immer häufiger für breite Bevölkerungsschichten wählbar macht und zur Regierungsbeteiligung an der Seite der traditionellen konservativen Parteien führt. In drei Teilen sollen wesentliche Merkmale des Rechtspopulismus vorgestellt und anhand von Beispielen erläutert werden.

 

Europas neue Rechte auf dem Vormarsch?

 

Neben der wichtigsten Bindung der Europäischen Union, der Wirtschafts- und Handelsgemeinschaft, galt bis vor kurzem vielen auch noch das gegenseitige Versprechen: Nie wieder Nationalismus, nie wieder Rassismus, nie wieder Totalitarismus als eine entscheidende politische Klammer.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion, Jugoslawiens und des gesamten Ostblocks witterten nationalistische Kräfte wieder eine Chance, zumal der Globalisierungsdruck nach dem Ende des "friedlichen Wettbewerbs" der Systeme sich rasant verstärkte. Die neue Rechte entledigte sich der allzu offensichtlichen faschistischen Requisiten. Ihre Führer traten weder in Stiefeln, noch in Uniformen oder militärischen Rangabzeichen vergangener Regime auf, sondern mit Designerklamotten, Handy und Laptop. Für die Medienöffentlichkeit entsprechend gestylt, führen sie aggressiv und eloquent Wahlkämpfe nach amerikanischem Muster, geben sich volkstümlich, dynamisch und fortschrittlich. Sie attackieren das "morsche System" der "alten Parteien" nicht nur in Bierzelten und Gasthaussälen. Mit souveräner Selbstverständlichkeit bieten sie sich bei Sektempfängen in noblen Vorstadtvillen als Verbündete im Kampf gegen "linke Chaoten" und "kommunistisch unterwanderte Gewerkschaften" an. Während sie in elitären Zirkeln neoliberale Wirtschaftskonzepte beschwören, wildern sie gleichzeitig mit sozialistisch klingenden Parolen in traditionell sozialdemokratischen oder sozialistischen Revieren. Im Spagat zwischen fremdenfeindlichen, gegen die Sozialschmarotzer gerichteten Schlagzeilen und über die Börsenspekulanten und Wirtschaftshaie den Stab brechenden Slogans werben sie um die Stimmen jener "Anständigen und Fleißigen", die Angst vor sozialem Abstieg und Arbeitslosigkeit haben. Das Versprechen, Arbeitsplätze und Sozialleistungen den "Einheimischen" zu reservieren, ist in ganz Europa zum Mobilisierungsthema geworden.

Ob in dem gut bürgerlich situierten Dänemark, wo Rechtspopulisten mit fremdenfeindlichen Wahlspots Stimmen fangen konnten und zur Stütze der rechtskonservativen Regierung wurden, ob in Norwegen oder in der Schweiz, Fremdenhass mobilisiert überall; in Belgien, wo der rassistisch und antisemitisch agierende Vlaams-Blok noch an braunem Moder hängt und so für die Parteien der rechten Mitte unzumutbar ist, die neue Rechte ist fast überall politisch auf dem Vormarsch. Dank der angeblich so "linken Medien" kann sie sich wählerwirksam aufbauen und sich für regierungsfähig erklären lassen.

Die Freiheitliche Partei Österreichs des Rechtspopulisten Jörg Haider wird 1999 bei den Parlamentswahlen zweitstärkste Partei und zieht an der Seite der ÖVP in die Regierung ein. In Italien siegt im Mai 2001 die Rechte gegen eine Mitte-Links-Regierung und der Rechtspopulist Berlusconi bildet mit den Regionalisten der Lega Nord und den Neofaschisten ein Kabinett. Auch in Deutschland erreicht bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im September 2001 die Partei der rechtsstaatlichen Offensive des Rechtspopulisten Schill aus dem Stand fast zwanzig Prozent und die CDU koaliert mit Schill. Bei der Präsidentenwahl in Frankreich wird der Kandidat der Front National, Jean Marie Le Pen, hinter Chirac im ersten Wahlgang zweiter, schlägt den sozialistischen Ministerpräsidenten und kommt in die Stichwahl. Im Sommer 2002 erzielt in den aufgeklärt bürgerlichen Niederlanden die Partei des Rechtspopulisten Pim Fortuyn, der Wochen vor der Wahl ermordet wird, einen erdrutschartigen Wahlsieg. Sie bildet mit Christdemokraten und Liberalen eine Mitte-Rechts Regierung unter Jan Peter Balkenende.

 

Italien: Regieren heißt Abkassieren

 

Beim Zusammenbruch der sogenannten ersten Republik, einschließlich der sie tragenden Parteien, kam ein unvorstellbares System von Korruption, Filz und kriminellen Machenschaften an den Tag. Am Ende der 11. Legislaturperiode des italienischen Parlaments, im März 1992 liefen gegen insgesamt 447 Parlamentarier (354 aus dem Abgeordnetenhaus und 93 des Senats) Ermittlungsverfahren. Darüber hinaus wurden massenhaft Politiker aus den Regionen und Kommunen wegen unterschiedlichster Vergehen von der Justiz verfolgt – angefangen von der illegalen Parteienfinanzierung, Bestechung, Steuerhinterziehung bis hin zur Verwicklung mit der Mafia. Die DC, Democrazia Cristiana (CDU Italiens), die Italien fast fünfzig Jahre in wechselnden Koalitionen regiert hatte, brach auseinander und es bildeten sich aus den Trümmern mehrere Splitterparteien. Ebenso erging es der PSI, Sozialistischen Partei Italiens (vergleichbar mit dem rechten Flügel der SPD), die in den letzten fünfzehn Jahren eine wachsende Rolle im System an der Seite der DC gespielt hatte. Die politische Struktur der ersten Republik implodierte.

Im „Vakuum“ der beginnenden zweiten Republik spalteten sich nicht nur die alten Parteien und neue entstanden, sondern alte wechselten auch ihre Namen. Bei den Wahlen 1994 wurde die Forza Italia, die Partei Silvio Berlosconis, die erst im Januar des gleichen Jahres gegründet worden war, zweitstärkste Partei. Sie bildete mit den Regionalisten der Lega Nord - deren politisches Ziel es war, den Norden vom unterentwickelten Süden abzuspalten, um das ganz überwiegend im Norden Erwirtschaftete nicht mehr mit dem Süden teilen zu müssen – und der sich zur Alleanza Nazionale umgetauften neofaschistischen Partei des früheren MSI. Diese Koalition hielt nur ein paar Monate, da die Lega das Kabinett Berlusconi verließ.

Der Sieg des Mitte-Links-Bündnisses L’Ulivo (Olivenbaum) 1996 kam nur zustande, weil die Lega das Wahlbündnis Berlusconis verlassen hatte. Dieser Sieg der Linken fiel in eine Zeit, als sie ihren Modernisierungsprozess noch nicht abgeschlossen hatte. Dem Mitte-Links-Spektrum war es damals unmöglich, ein zukunftweisendes politisches Projekt zu formulieren, das über ein reibungsloses Management des Tagesgeschäfts hinausging. Ihr primäres Ziel bestand nur darin, die Maastrich-Kriterien einzuhalten, um in die Währungsunion des Euros aufgenommen zu werden. Ökonomisch und sozial hatte die Linke keine wirkliche Alternative zum Neoliberalismus anzubieten. Sie setzte stattdessen auf eine Abfederung der schlimmsten Folgen der zunehmenden sozialen Polarisierung in der Gesellschaft und auf ein schwammiges Konzept von der „Neuen Mitte“ (siehe Schröder und Blair). Haushaltssanierung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit bildeten den Rahmen ihrer Politik.

Die Konsolidierung der Forza Italia Berlusconis in der Opposition, die gewachsenen Erfahrungen ihrer Parlamentarier und Funktionäre und die stärkere Verankerung in der Gesellschaft (Zulauf aus den alten Parteien, von der Lega Nord und von den enttäuschten linken Wählern), führten bei Europawahlen und Kommunalwahlen (nach 2000 wurden zwei Drittel der Regionen vom Rechtsbündnis regiert) zu beträchtlichen Gewinnen, so dass der Wahlsieg im Mai 2001 des rechten Wahlbündnisses (Haus der Freiheit) – jetzt wieder mit der Lega an Bord – Italien-Kenner nicht überraschte.

Die Forza Italia Berlusconis verkauft ihre populistischen und medienwirksam ausstaffierten Antworten bis heute als „Bürgerbewegung“. Mit dieser neuen Art Politik will sie sich von den Altparteien unterscheiden. Allein der Name „Vorwärts Italien“ suggeriert den Aufbruch und soll Modernisierung signalisieren. Ein dezidiertes Parteiprogramm lehnt Berlusconi als zu steifes Korsett ab. Dennoch ist von Beginn an eine klare wirtschafts- und sozialpolitische Ausrichtung erkennbar: Leistungsstärke, Individualisierung, Wille zur Macht, Entfesselung der Marktkräfte, ungehemmter Wettbewerb, jede Kontrolle im Rechtsstaat durch die Justiz gegenüber der ökonomischen und politischen Macht wird abgelehnt; der autoritäre Staat hat nur noch eine die Ordnung und Sicherheit garantierende Polizeifunktion. Alle Eingriffe des Staates zur Umverteilung werden verteufelt und gelten als unproduktiv. Der Markt ist das einzige Steuerungsinstrument der Gesellschaft. Der sogenannte einfache Bürger und die produktiven Schichten – vor allem der Klein- und Mittelstand – seien in der Vergangenheit ausgepresst worden. Die strukturelle Ungleichheit sei erst durch den Staat hervorgerufen worden (Wohlfahrtsdiktatur). Auch den Nord-Süd-Konflikt habe das alte morsche System zumindest verstärkt. Die Selbststeuerungsfähigkeit des Marktes konnte nicht wirksam werden. Daneben unterminiere die sozialstaatliche Intervention die Motivation und Leistungsbereitschaft der Bevölkerung (soziale Hängematte, Sozialschmarotzer). In dieses unappetitliche Gebräu von Demagogie mischt die Lega noch ihren regionalistischen Egoismus und die Verteufelung des „faulen, mafiösen“, agrarischen Südens und die Alleanza Nationale ihr autoritäres, rassistisches Denken und ihren Sozialdarwinismus (Recht des Stärkeren, Vernichtung des Schwachen).

Berlusconi als der starke Mann des Rechtsbündnisses vertritt nicht nur in der Wirtschaft den Slogan: „the winner takes it all“. Seine Partei-Clubs versprachen in den Wahlen der Region am meisten Investitionen, in der am stärksten Forza Italia gewählt würde. Auch außenpolitisch tönt der Ministerpräsident und lange auch gleichzeitig Außenminister: „Der Westen ist dazu bestimmt die Völker zu verwestlichen und zu erobern“. Und an anderer Stelle:  „Wir müssen uns unserer Überlegenheit und der Vorherrschaft des Westens bewusst sein!“ Neben diesem typischen rassistischen Denken und des uneingeschränkten Plädoyers für den Neoliberalismus existiert aber bei Italiens Rechtsbündnis eine Besonderheit: Berlusconis Medienmonopol. Er beherrscht nicht nur drei private landesweit ausstrahlende Fernsehsender, sondern nimmt auch Einfluss bei den drei öffentlich-rechtlichen Kanälen der RAI, indem er willfährige Direktoren einsetzen lässt. Damit ist ein wichtiges kritisches Instrument der modernen Demokratie (denken wir an Watergate) lahmgelegt, zumal Berlusconi ebenfalls mehrere Zeitungsverlage gehören. Auch an der Steuersenkungsschraube für die reichen Schichten wird vom reichsten Mann Italiens und dem 14. der Welt gedreht (u.a. Wegfall der Erbschafts- und Schenkungssteuer), ebenso zahlen diejenigen, die illegal, an der Steuer vorbei, Gewinne ins Ausland verbracht haben, nur 2,5 Prozent Steuern, bringen sie das Geld nach Italien zurück; natürlich gehen sie bei Berlusconi straffrei aus. Auch die diskriminierende Migrationspolitik, vor allem von der Lega und der Alleanza Nationale forciert, ist für den Rechtspopulismus in Europa typisch. Solange Einwanderer – pro Jahr legt die Regierung eine bestimmte Anzahl fest – einen Arbeitsvertrag haben, werden sie geduldet und ausgebeutet. Sobald dem Einwanderer gekündigt wird oder er selbst kündigt, wird er zum illegalen Einwanderer und muss das Land umgehend verlassen; so das neue italienische Einwanderungsgesetz zur Rekrutierung von Saison- und Wandersklaven. Der Rechtsblock strebt auch nach einer Verfassungsreform, um die Exekutive zu stärken, das Parlament zu entmachten und eine Präsidialdemokratie nach US-amerikanischem Muster mit einem direkt gewählten Staatspräsidenten einzuführen. Berlusconi möchte natürlich dieser mit Machtfülle ausgestattete Staatspräsident werden. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!

                                                                                  

Klaus Körner

 

Der zweite Teil soll sich mit strukturellen Hintergründen des europäischen Rechtspopulismus, sowie mit Jörg Haider, der FPÖ und ihren politischen Zielen nach den österreichischen Parlamentswahlen beschäftigen.

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