Mai 2002
Der
Sprung über den eigenen Schatten
Anmerkungen zum israelisch-palästinensischen Konflikt
Die Vorbemerkung
zum ersten Teil machte (siehe: "Rotdorn" Nr.31, Januar 2002), gelten
auch für diesen Artikel. der vor allem die Geschichte des Friedensprozesses und
dessen vorläufiges Scheitern beleuchtet. Doch lähmt die gegenwärtige Gewalteskalation
jede Hoffnung auf die Fortsetzung dieses Friedensprozesses. Die Unwilligkeit
der arabischen Länder auf Ölprofite zu verzichten und die israelische und
US-amerikanische Regierung dadurch zum Einlenken gegenüber ihrem Brudervolk zu
bewegen, vergrößert die palästinensische Verzweiflung. Die Ideenlosigkeit des
alten Europa, das historisch die Verantwortung trägt, einerseits als ehemalige
Kolonialmacht (England/Frankreich), andererseits als Rechtsnachfolger des
verbrecherischen Regimes (Deutschland), dass die meisten europäischen Juden
ausgerottet oder aus ihrer Heimat vertrieben hat, ist trotz verbaler
Entschiedenheit und emsigem Konferenzbetriebs augenscheinlich. Denn ein
garantierter gerechter Friede würde vor allem für die Juden in Israel
Sicherheit bedeuten. Auch dieses reiche Europa könnte durch ein
Wirtschaftsembargo die verantwortlichen Mächte an den Verhandlungstisch
bringen. Aber der Kommerz ist immer noch politisch mächtiger als die Bilder von
sterbenden Zivilisten, Frauen und Kindern, ob in einem israelischen Bus vor Tel
Aviv oder in den Straßen von Ramallah oder Bethlehem.
Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO)
wurde 1964 gegründet, nachdem der Traum von einem panarabischen Einheitsstaat a
la Gamal Abdel Nasser ausgeträumt war, in dem Palästina nur eine nicht befreite
Provinz darstellte. Die Idee von einem Staat Palästina war die Triebfeder des
Zusammenschlusses politischer und militärischer Gruppen zur PLO. Erst nach dem
"Junikrieg" 1967, der einschneidenden Niederlage Ägyptens, löste sich
die PLO endgültig aus dem Einfluss Kairos und wurde zur echten nationalen Vertretung
des palästinensischen Volkes.
Natürlich gaben bei dieser Sammlungsbewegung im Exil
die Guerilla-Gruppen den Ton an und auch die angeschlossenen Gewerkschaftler,
Frauen- und Studentenorganisationen dienten dem Kampf um die Befreiung ihres
Landes. Seit 1969 wird diese Organisation von Yassir Arafat mal energischer mal
zögernder geleitet. Dem vom Nationalrat (Parlament im Exil) gewählten
Exekutivkomitee (Regierung) unterstehen die verschiedenen Bereiche, u.a. die
für Finanzen, Äußeres, Bildung, Soziales, also nicht nur die militärische Führung.
So wurde das Exekutivkomitee zum Nukleus einer eigenen Verwaltung, eines
kleinen Staatsapparates.
Die Gruppierung Al Fatah, der Yassir Arafat
angehört, ist das Rückgrat der PLO. Sie war in ihrer ideologischen Ausrichtung
im Gegensatz zu streng marxistischen Gruppierungen wie der "Volksfront zur
Befreiung Palästinas" und der "Demokratischen Front für die Befreiung
Palästinas" flexibel. Auch vom direkten Einfluss anderer arabischer
Staaten wie Syrien und dem Irak, die mit Hilfe von politischen Gruppen
innerhalb der PLO ihre Politik durchsetzen wollten, hielt sich die Al Fatah
fern.
1968 wurde noch in einer Nationalcharta der
bewaffnete Kampf als der einzige Weg zur Befreiung Palästinas propagiert und
Israel jegliches Existenzrecht abgesprochen. Diese Passagen waren zwar bis 1998
offiziell gültig, bis durch das Wye-Abkommen der Nationalrat der PLO diese
Passagen annullierte, jedoch galt der Weg von Gewalt und internationalen
Terroraktionen als einziges politisches Mittel, die Befreiung ihres Landes
durchzusetzen nach 1974 nicht mehr uneingeschränkt.
Die erste internationale Anerkennung erfuhr die PLO
durch die arabische Gipfelkonferenz in Rabat 1974, als sie als einzige legitime
Vertreterin des palästinensischen Volkes anerkannt wurde. Im gleichen Jahr
sprach Yassir Arafat vor der UN-Vollversammlung und in vielen westlichen Hauptstädten
eröffnete die PLO Vertretungsbüros. Dieser außenpolitische Erfolg ging einher
mit der Absage an eine Politik des internationalen Terrorismus (Anschläge in
anderen Ländern und Flugzeugentführungen) und dem Bewußtsein der Hauptgruppierungen
der PLO, dass die Abkehr von der Erlangung ganz Palästinas endlich die Tür
aufstoßen würde für realistische Teilungen in zwei Staaten, wie die UN es Ende
der vierziger Jahre vorgesehen hatte. Einige Aktivisten und ihre Gruppierungen
verließen deshalb 1974 die PLO und gründeten die Ablehnungsfront. Arafats Weg
zur Realpolitik hatte ihm und seinen Gefährten in der PLO viele Kompromisse
abverlangt und der steinige Weg zum Frieden wird abermals die Revision vieler
gesteckter Ziele fordern.
Am 31.Oktober und 1.November 1991 fanden in Madrid
unter der Schirmherrschaft der USA und der Sowjetunion Nahostverhandlungen
statt, Auch wenn jede Seite nur alte Forderungen und Anschuldigungen vorbrachte,
stellte die Madrider Konferenz einen vorsichtigen Auftakt zu echten
Friedensverhandlungen dar. Auf Druck Israels wurde die PLO ausgeschlossen, aber
schon bei der nächsten Folgekonferenz in Washington waren auch palästinensische
Unterhändler "im Boot".
Die zehn bilateralen Gesprächsrunden in Washington
wurden mit der Zielsetzung geführt, israelisch-jordanische,
israelisch-libanesische und israelisch-syrische Friedensverträge abzuschließen.
Gleichzeitig sollte es zu noch sehr vagen israelisch-palästinensischen
Vereinbarungen über eine Selbstverwaltung kommen. Daneben gab es drei
multinationale Gesprächsrunden in fünf Arbeitsgruppen über Wasser, Umwelt, Wirtschaft,
Flüchtlinge sowie Rüstungskontrolle und regionale Sicherheit. Die Verhandlungen
scheiterten vor allem an Verfahrensfragen und der Weigerung Israels, einen
Siedlungsstopp während der Verhandlungen vorzunehmen. Als dann das Gerücht von
Geheimverhandlungen Israels mit den Palästinensern in Oslo kursierten, löste
sich die Verhandlungsrunde ohne Ergebnisse auf. Jordanien schloss 1994 mit
Israel auf der Grundlage der Verhandlungen einen Friedensvertrag. Die Gespräche
mit Syrien rissen erst 1996 bei der Machtübernahme des rechten Likud-Blocks mit
Netanyahu als Ministerpräsident ab.
Die Israelisch-palästinensischen Geheimverhandlungen
wurden im August 1993 öffentlich, als Israel und die PLO die Osloer Prinzipienerklärung
unterzeichneten. Die Unterzeichnung nahmen Israels Ministerpräsident Rabin und
auf palästinensischer Seite Yassir Arafat vor. Stufenweise sollte die
palästinensische Selbstverwaltung in den besetzten Gebieten eingeführt werden.
Zur gleichen Zeit sollten Verhandlungen über einen Endstatus (final status
talks) Palästinas beginnen, die spätestens nach fünf Jahren abgeschlossen sein
sollten. Als erstes sollte der Gazastreifen und Jericho durch den
palästinensischen Nationalrat und das Exekutivkomitee verwaltet werden. Diese
Verhandlungen fanden unter der Schirmherrschaft des norwegischen Außenministers
im Geheimen statt. Sogar vor den USA wurden diese Kontakte verschwiegen. Rabin,
der seit 1992 Ministerpräsident Israels war, ermöglichte durch einen
Parlamentsbeschluss diese Verhandlungen. Bis zu diesem Beschluss durfte keine
israelische Regierung mit arabischen "Terroristen" verhandeln.
Das Kernstück der gemeinsamen Erklärung stellte die
gegenseitige Anerkennung der politischen Lager dar und die Verpflichtung, mit
friedlichen Mitteln eine endgültige Lösung herbeizuführen.
Gleich nach der Verabschiedung wurden beide Seiten
von ihren eigenen Landsleuten des Verrats bezichtigt.
Im Mai 1994 wurde dieses Abkommen in Kairo
geschlossen, deshalb nennt man es auch Kairo-Abkommen oder
Gaza-Jericho-Abkommen. Vier Bereiche wurden vorrangig geregelt: Während in den
Selbstverwaltungsgebieten nach dem Truppenrückzug Israels die palästinensische
Polizei für die innere Sicherheit zuständig war, blieb die äußere Sicherheit
Sache der Israeli. Die israelischen Zivilbehörden übergaben der palästinensischen
Nationalbehörde die entsprechenden Befugnisse. Israel behielt die Zollhoheit
und beschränkte den Export palästinensischer Waren. Ein Hauptproblem waren die
Siedlungen. 40% des Gazastreifens blieb in der Hand der israelischen Armee zum
Schutz von 5000 Siedlern. Auch die sogenannte "Grüne Linie" (Grenze
.Westjordanland/Israel) blieb für die Palästinenser schwer passierbar, so dass die
einzelnen Regionen der Selbstverwaltung keine Verbindung untereinander haben
ohne Grenz- und Zollkontrollen. Diese "Bantustanisierung", die
überhaupt einer wachsenden Apartheidpolitik Israels entsprach, trifft nicht nur
die palästinensische Wirtschaft, sondern auch das Selbstwertgefühl der
Palästinenser. Sie sind im eigenen Land eingesperrt von außen und durch
militärische Absperrstreifen getrennt. Die Bewegungsfreiheit zwischen dem
Westjordanland und dem Gazastreifen war so eingeschränkt, dass von einer
selbstverwalteten Einheit wie im Oslo-I-Abkommen nicht die Rede sein konnte.
Die täglichen Reibereien und Gewaltakte blieben so vorprogrammiert.
Am 24. September 1995 wurde dieses Abkommen, auch
Taba-Abkommen genannt, in Taba abgeschlossen und in Washington unterzeichnet.
Gemäß der Osloer Prinzipienerklärung sollte diese Stufe der Selbstverwaltung,
die Oslo II erst einläutete, längst beendet sein.
Drei Prozent des Westjordanlandes wurden durch das
Oslo-II-Abkommen der Selbstverwaltung unterstellt. Es waren die Ballungszentren
Nablus, Ramallah, Bethlehem, Jenin, Kalkilya und Tulkarem. Dort sollte es stufenweise
keine israelische Militärpräsenz mehr geben und die politische Macht wurde der
Nationalbehörde übertragen.
25 Prozent des Westjordanlandes einschließlich der
Flüchtlingslager und übrigen palästinensischen Städte werden von der
israelischen Militärverwaltung gemeinsam mit der palästinensischen
Nationalbehörde geleitet. Die Kompetenzen der Selbstverwaltung sind also eingeschränkt.
72 Prozent des Westjordanlandes, darunter die
Siedlungen und israelische Militärstützpunkte sowie die Verbindungsstraßen
blieben unter israelischer Militärverwaltung. Die palästinensische
Nationalbehörde verfügte also über weniger als 30 Prozent des Westjordanlandes,
aufgeteilt in kleine und verstreute Regionen, "Flickenteppich" oder
"Inselreich Oslo" genannt. Diese Gebiete sind jeder Zeit vom
israelischen Militär abzuriegeln, wie es ja dann in der Folgezeit mehrfach
geschehen ist.
Der zweite Teil des Abkommens legte den Wahltermin
für die palästinensische Legislative auf den 20.Januar 1996 fest. Die Wahlen
verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Nur in Ostjerusalem wurde durch eine
außergewöhnlich starke israelische Militärpräsenz der Wahlvorgang behindert, so
dass dort nur 40% der Wahlberechtigten zu den Urnen gingen. Jedoch im
Westjordanland betrug die Wahlbeteiligung 74% und im Gazastreifen sogar 86%. Es
wurde ein großer Wahlsieg für Al-Fatah und Yassir Arafat. Die Opposition, vor
allem die Hamas-Gruppierung, hatte zum Wahlboykott aufgerufen und war damit
kläglich gescheitert.
Zu diesem Zeitpunkt waren die militanten
Gruppierungen der Palästinenser zurückgedrängt, weil die einfache
palästinensische Bevölkerung Fortschritte, und seien sie noch so gering, auf
dem Wege zu einer palästinensischen Unabhängigkeit und dem Ende der
israelischen Unterdrückung sahen.
Nach der Ermordung des sich vom
"Kriegsfalken" zur "Friedenstaube" gemauserten Yitzhak
Rabin durch einen religiös-fundamentalistischen Israeli am 4. November 1995 kam
der Friedensprozess ins Stocken. Aufgrund seiner Friedensoffensive wurde Rabin
in extrem rechten, orthodox-jüdischen und nationalistischen Kreisen Israels,
die gegenwärtig einen Teil der Regierung Scharon bilden, als Verräter
denunziert, der einen Ausverkauf jüdischen Bodens betreibe und das jüdische
Volk der Vernichtung preisgebe.
Der Friedensprozess von Oslo wurde durch
innenpolitische Querelen in Israel nach dem Wahlsieg des rechten
Likud-Kandidaten Netanyahu 1996 und seines Kabinetts, in dem alle religiösen
Parteien Israels (also die Fundamentalisten) saßen, massiv erschwert. Der
Siedlungsbau wurde in den besetzten Gebieten forciert, während man über weitere
Schritte zum Frieden verhandelte. Dass die israelischen Wähler wenige Monate
nach der Ermordung Rabins eine friedensunwillige rechte Regierung, die vor
allem auf militärische Stärke setzen würde, an die Macht stimmte, bleibt
europäischen Freunden dieses Landes unbegreiflich. Ein Rückschlag des Friedensprozesses
und ein erneutes Aufkeimen der Gewalt wurde so vorprogrammiert.
Sechste Etappe. Das Hebron-Abkommen
Am 15.Januar 1997 wurde mit wiederholter Verzögerung
ein sofortiger Teilabzug israelischer Truppen aus 80% der Stadt Hebron auf
Druck Jordaniens vertraglich vereinbart. 20% des Territoriums für den Schutz
von 4 500 jüdischen Siedlern sollte in israelischer Hand bleiben. 80% der Stadt
für 80 000 Palästinenser erschien Israel genug.
Im September 1997 stellte Ministerpräsident
Netanyahu unter dem Vorwand von Terroranschlägen in Jerusalem weitere
Verhandlungen ein, mit dem Hinweis, dass er sich an den in Oslo vereinbarten
Friedensprozess nicht gebunden fühlt.
Dieses Abkommen wurde auf Druck der USA am
23.Oktober1998 abgeschlossen. Es verpflichtete Israel, den von Netanyahu
eingefrorenen im Oslo-II-Abkommen vereinbarten Truppenabzug binnen drei Monaten
stufenweise zu realisieren. 14 Prozent des bis dahin gemeinsam verwalteten
Westjordanlandes sollten dann allein unter der palästinensischen Verwaltung
stehen. Damit hätte die palästinensische Nationalbehörde rund 40 Prozent der im
Sechs-Tage-Krieg 1967 von Israel annektierten Gebiete unter eigener Verwaltung.
Nachdem die israelischen Truppen 2 % des im Wye-Abkommens zugesagten
Territoriums geräumt hatten, stoppte Netanyahu den Rückzug auf Druck der
rechten und religiösen Parteien und des rechten Flügels im Likud-Block, denn
Israel stand vor Parlamentswahlen.
Am 5.September 1999, nachdem im Mai Ehud Barak von
der Arbeitspartei Ministerpräsident Israels geworden war, unterzeichneten er
und Arafat das Wye-Folgeabkommen. Israel verpflichtete sich, endlich die verbliebenen
12 Prozent von ihren Truppen zu räumen, wie sie es schon im ersten Wye-Abkommen
zugesagt hatten und palästinensische Gefangene freizulassen. Darüber hinaus
wurde eine Regelung für den Transit zwischen dem Gazastreifen und dem
Westjordanland getroffen. Die palästinensische Nationalbehörde wurde ermächtigt,
einen Flugplatz und einen Seehafen im Gazastreifen anzulegen.
Auch die Endstatusverhandlungen, die so lange geruht
hatten. sollten wieder aufgenommen werden. Seit Dezember 1999 stagnierten
jedoch diese Endstatusverhandlungen vor allem wegen der Jerusalem- und der
Flüchtlingsfrage.
In Anlehnung an
die 1978 erfolgreichen Verhandlungen zwischen Ägypten und Israel lud Präsident
Clinton Israelis und Palästinenser im Juli 2000 ein, in Camp David ein umfassendes
Rahmenabkommen zu verhandeln, da die in der Osloer Prinzipienerklärung
eingeräumte fünfjährige Frist des Übergangs und des Abschlusses der
Endstatusverhandlungen im September 2000 trotz Verlängerung ablief. Obwohl es
bei den wochenlangen Geheimverhandlungen nach amerikanischen Angaben in allen
Hauptpunkten, vor allem auch in der Jerusalem-Frage, Fortschritte und
Annäherungen gegeben hatte und Barak nach eigenen Angaben größere Zugeständnisse
gemacht hatte als jede Regierung vor ihm – nämlich etwa 92 Prozent des Westjordanlandes
und Ostjerusalem als Hauptstadt an die Palästinenser zu übertragen - ,
scheiterten die Verhandlungen letztendlich an der Unnachgiebigkeit beider
Seiten. Arafat schien es zu diesem Zeitpunkt politisch nicht möglich, dem geforderten
Verzicht auf das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge zuzustimmen.
Am 13.September 2000, als die Fünfjahresfrist endgültig abgelaufen war,
verschob der Palästinensische Zentralrat die Proklamation des Staates Palästina
um zwei Monate. Doch die Frustration und die enttäuschten Hoffnungen der Palästinenser
entluden sich nach der provokanten Tempelbergbegehung Ende September 2000 durch
General Scharon, den damaligen Parteiführer des Likud-Blocks, in der
Al-Aqsa-Intifada. Die rechten, religiösen Kreise in Israel und die radikalen
Kräfte auf palästinensischer Seite hatten wieder einmal gesiegt.
Der Artikel kann nicht die täglich ins Haus kommenden
Bilder aus dem Nahen Osten kommentieren und interpretieren. Jedoch ist jedem
unvoreingenommenen Fernsehzuschauer deutlich, dass Terrorismus nicht mit der
Zerstörung von Krankenwagen, dem Bombardieren von Flugplätzen und
Radiostationen zu leisten ist. Was hier vor den Augen der Weltöffentlichkeit
passiert, ist der Krieg einer hochgerüsteten Nation gegen ein besetztes Land
und seine Zivilbevölkerung. In Bethlehem dringen israelische Soldaten in eine
christliche Schule ein und zerstören die Klassenzimmer und das Mobiliar. Die
Armee beschießt die Geburtskirche Jesu und selbst ein Protest des Vatikans hebt
die Belagerung nicht auf. Sieht so der Kampf gegen den Terrorismus aus?
Im Januar 2002 überrollen Bulldozer und Panzer der
Israelis als angebliche Vergeltung über siebzig Häuser und über sechshundert
Menschen werden obdachlos. Ebenfalls wird der mit EU-Mitteln gebaute Flugplatz
der Autonomie-Behörde im Gazastreifen und der Radiosender der Palästinenser
zerstört. Diese Besatzermentalität fördert den Hass und produziert neue
Selbstmord-Attentäter. Das Internationale Rote Kreuz berichtet am 8.April, dass
israelisches Militär mehr als zehn Krankenwagen im Einsatz zerstört habe und
die Arbeit in den besetzten Gebieten gegen internationales Recht behindere.
Nachdem Israel am 04.04. außer Jericho alle
palästinensischen Städte besetzt hat und der Norden Israels nun vom Südlibanon
von Hizbollah-Milizen beschossen wird, erklärt ein Mitglied des Kabinetts
Scharon, der "Allmächtige wird dafür sorgen, dass wir auch an zwei Fronten
siegen!" Der Führer der rechten
Siedler-Partei, den Scharon ins Kabinett nehmen will, erklärte über die
arabischen Staatsbürger Israels, sie "seien wie ein Geschwür am Leibe
Israels".
Schlussbemerkungen mit der Stimme eines aufgeklärten israelischen
Intellektuellen
"...18% der Staatsbürger Israels sind keine
Juden, sondern Palästinenser, die zum großen Teil Moslems sind... Es ist also
von meiner Warte aus gesehen ein Skandal, dass diese Leute keine vollwertigen
Staatsbürger des Staates Israel sein können, weil sie keine Juden sind. Sie
gehören nicht zur Nation, die diesen Staat definiert...Deswegen haben sie sehr
viele Rechte, die ihnen zukommen sollten als nationale Minderheit,
nicht...Hauptbeispiel ist die Frage des Eigentums an Grund und Boden. Der ist
ihnen zum großen Teil konfisziert und weggenommen worden zu Gunsten der
jüdischen Bevölkerung...
Der israelische Staat hat es als seine Aufgabe
gesehen, Grund und Boden von der palästinensischen Bevölkerung in den Besitz
der jüdischen Bevölkerung zu überführen. Das wurde entweder durch
Beschlagnahmung des Bodens gemacht oder durch Aufkauf, durch sehr viele
gesetzliche Regulierungen...Dieser nationale Anspruch ist natürlich immer auch
religiös mitmotiviert worden. Mit Berufung auf das biblische Versprechen, dass
das Land Israel dem jüdischen Volk gehören soll, ist dieser Anspruch
untermauert worden...Der Kampf innerhalb Israels vor und nach Staatsgründung
kann sehr gut beschrieben werden...als Kampf um Besitz an Grund und Boden, an
den Grundressourcen Boden und Wasser. So lange das jüdische Volk nicht im
Besitz des Bodens ist, so die religiöse Vorstellung, sind sie in Knechtschaft.
Es kommt darauf an,... den in Gefangenschaft geratenen Grund und Boden der
Juden wieder frei zu kaufen von den fremden Besitzern...
Die israelische Politik auf jeden Fall in den
besetzten Gebieten seit 1967 kann man ganz deutlich auf den Nenner bringen,
dass es darum geht, Siedlungen dort hinzubringen auf Grund und Boden, der in
jüdischen Besitz überführt werden soll...
Ich halte es manchmal für nützlich, von den
tagespolitischen Dingen abzusehen und in großen geschichtlichen Zusammenhängen
zu denken. Und da kann man folgendes sagen: 1949 gab es einen Teilungsplan der
UNO, der vorsah, dass die Palästinenser 60% und die Juden 40% des Landes
erhalten sollten. In Folge des Krieges hat Israel, glaube ich, 78% des Landes
behalten und die Palästinenser 22%. Und seit 1967 besitzt Israel auch diese
22%. Und der Kampf geht seitdem nur darum, wie viel von diesen 22 Prozent werden
sie noch behalten können. Wenn man das in diesen Maßstäben sieht, kann man
sagen: Es ist ein Kampf zwischen zwei Völkern um ein Land, konzentriert im
Kampf um Grund und Boden...
...Ich bin sehr pessimistisch. Der einzige Weg, der
für mich in Frage käme, wäre ein Kompromiß. Aber für einen Kompromiß sind die
Kräfte viel zu ungleich verteilt. Wir haben es auf der einen Seite mit einer
sehr starken Staatsmacht zu tun, mit dem stärksten Militärapparat in der
Region, und auf der anderen Seite haben wir es mit einer unterjochten
Bevölkerung zu tun, die so gut wie nichts auf ihrer Seite für die Auseinandersetzung
parat hat, Und ich würde auch vorschlagen, die Schreckensnachrichten, die wir
hören, und die mich viel mehr betreffen als die Zuhörer, nämlich, dass es
Terroranschläge gibt, Selbstmordattentate u.s.w. mal unter dieser Warte sich
anzuschauen, nämlich als Verzweiflungstaten
von Ohnmächtigen. Das sage ich als Israeli in Jerusalem lebend und Angst
habend...
Ich halte es für ungemein wichtig, dass in Israel
eine starke Diskussion aufgebrochen ist, infolge des Briefes von 230 Offizieren
und Unteroffizieren, die bekannt gegeben haben, dass sie sich weigern, in den
besetzten Gebieten Dienst zu tun. Solche Aktionen haben ein Gewicht, dass weit
über ihre Anzahl hinaus reicht... Ich hoffe, dass die Fruchtlosigkeit der
Versuche Israels, den palästinensischen Aufstand zu unterdrücken, dass dies die
Leute beeindruckt, sich auch mal einen anderen Weg zu überlegen...!"
(Gideon Freudenthal, Professor für Philosophie und Judaistik,
Universität Jerusalem gegenüber InfoRadio)
Klaus Körner