Krisentreffen in Heiligendamm?

Die führenden Politiker der sieben kapitalistischen Hauptländer und Russlands treffen sich einmal jährlich zu einem Weltwirtschaftsgipfel. In diesem Jahr ist die Bundeskanzlerin Merkel die Gastgeberin und sie hat in das Ostseebad Heiligendamm eingeladen. Die Staats- und Regierungschefs repräsentieren zwar nur 13 Prozent der Weltbevölkerung, aber in Sachen Weltwirtschaft und Ressourcenverbrauch geben sie den Ton an. Die Regierungschefs bilden objektiv das führende Zentrum innerhalb der zentralen Institutionen der Globalökonomie (WTO1, IMF2, Weltbank) und der weltweiten Militärverhältnisse. Es handelt sich also um weit mehr als eine finanziell aufwendige PR-Show. Das Führungszentrum nutzt die Gelegenheit, die Hauptlinien in den reichlich vorhandenen ökonomisch-finanziellen und militärischen Konflikten zu erörtern.

Die teilnehmenden Länder repräsentieren zwar eine Hegemonie in wirtschaftlichen Fragen, aber ihre tatsächliche ökonomische und politische Lösungskompetenz ist bescheiden. Auch in Heiligendamm wird kein wirklicher Fortschritt in Sachen Neuordnung der Globalökonomie, Stabilität des Währungs- und Finanzsystems, Beendigung der imperialistischen Kriege in Afghanistan und Irak oder bei der Bekämpfung der Klimakatastrophe herauskommen.

Krisenmanagement in Permanenz

Ein Rückblick auf die bisherigen Treffen zeigt: Die mächtigsten Staaten treffen sich seit 1975, weil die Globalökonomie, die internationalen Finanzmärkte und militärische Konflikte immer neue Herausforderungen darstellen. Das erste Treffen 1975 in Frankreich stand im direkten Zusammenhang mit den gravierenden Veränderungen im Weltwährungs- und Finanzsystem. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Herausbildung des Eurodollarmarktes3 seit Ende der 1960er Jahre. Auf der Ebene des internationalen Austauschs und des Währungssystems wuchsen die Konflikte, das Weltwährungssystem von Bretton Woods geriet mehr und mehr unter Druck. Ein wichtiger Faktor waren damals auch die enormen Aufwendungen der USA für den Vietnam-Krieg. Spannungen auf Grund divergierender wirtschafts- und vor allem stabilitätspolitischer Präferenzen in wichtigen IWF-Mitgliedsländern lösten massive Devisenströme und Spekulationswellen aus. Sie führten 1973 schließlich zum Zusammenbruch des Festkurssystems von Bretton Woods.

In den nachfolgenden Krisen wurde die Konzeption einer internationalen Regulation aufgegeben. In den kapitalistischen Hauptländern wurde die nach dem Krieg entwickelte mixed economy schrittweise aufgelöst, das System sozialer Sicherheit eingeschränkt oder umgebaut und die Kapitalverkehrskontrollen aufgehoben.

Seither nahm die Bedeutung der internationalen Kapitalströme unaufhaltsam zu. Begünstigt durch die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien nahmen die grenzüberschreitenden Kapitaltransaktionen explosionsartig zu, und die überwunden geglaubten Finanzkrisen wurden erneut zu einem wichtigen Phänomen der internationalisierten Globalökonomie. Immer wieder fordern Notenbanken, Finanzmarktexperten etc. eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte, um die Stabilität der internationalen Finanzarchitektur zu sichern. Ein Verhandlungsthema in Heiligendamm sind deshalb stärkere Auflagen für Hedgefonds und Kapitalbeteiligungsgesellschaften.

Die mit dem Schlagwort von der »Globalisierung« behauptete neue Qualität der Kapitalakkumulation4 seit dem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts verschleiert die wirklichen Entwicklungstendenzen. Die eigentliche Veränderung bezieht sich auf eine umfassende Umbruchsituation der Massenproduktion, das internationale Währungs- und Kreditsystem und eine massive Verschiebung in den Verteilungsverhältnissen. In der Reaktion auf diese Entwicklungstendenzen bildet sich eine Vorherrschaft der Finanzmärkte und eine beschleunigte Akkumulation des Geldkapitals heraus (Shareholder value).

Gleichsam hinter dem Rücken der wirtschaftlichen Elite und der politischen Akteure hat sich der sozial-regulierte Kapitalismus in ein höchst eigenartiges System transformiert. Durch die Rationalisierung in der industriellen Produktion wurde die für die Herstellung eines Produkts erforderliche Arbeitsmenge drastisch vermindert. Zugleich waren die hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaften nicht in der Lage, mit diesem »Fortschritt« verteilungspolitisch umzugehen. Der Anteil der Arbeitseinkommen am Gesamtergebnis der Produktion ging zurück, der Anteil der Gewinne und Vermögenseinkommen stieg entsprechend an. Mit dem enormen Wachstum der Eigentums- und Besitztitel entwickelt sich eine umfangreiche Branche von Finanzleuten, Vermögensverwaltern, Maklern etc., die gleichwohl immer größere Schwierigkeiten haben, die akkumulierten Ersparnisse profitabler anzulegen.

Auch in Heiligendamm geht es um die Entwicklungsperspektiven der Globalökonomie und der Stabilität des Währungs- und Finanzsystems. Die Globalökonomie befindet sich – entgegen den aktuellen Prognosen über einen dauerhaften Konjunkturaufschwung in Deutschland – im Übergang zu einem zyklischen Abschwung. Die nachlassenden Impulse auf die Kapitalakkumulation und das Wirtschaftswachstum in den USA wurden zum Teil kompensiert durch die Prosperität in Europa und einen Wirtschaftsboom in China. Die Konjunkturschwäche wird ausgelöst von der zyklenbedingten Schwächetendenz der US-Ökonomie und folglich wird die ökonomische Talfahrtfahrt zunächst durch Faktoren in den USA bestimmt. Die Entwicklung in den USA hat Auswirkungen auf die Globalökonomie und das Währungssystem.

In den letzten Monaten hat der US-Dollar trotz der Erhöhung des Zinsniveaus in den USA deutlich an Wert verloren. Diese Entwertung könnte in letzter Konsequenz eine Umkehr im Leistungsbilanzdefizit der USA einleiten, das eines der großen Risiken für die weitere Zukunft der Globalökonomie darstellt. Die US-Leistungsbilanz wies im Jahr 2006 ein Rekordminus von über 800 Milliarden Dollar aus.

Zur Finanzierung des Fehlbetrags benötigen die USA massive Kapitalzuflüsse aus dem Ausland. Gehen diese deutlich zurück, droht eine starke Dollar-Abwertung mit entsprechenden Auswirkungen für die Weltwirtschaft. Die Vereinigten Staaten eignen sich den Großteil des international liquiden und anlagesuchenden Geldkapitals an. Die Direktinvestitionen – also produktive Kapitalanlagen oder die Übernahme von Produktionsanlagen – gehen zurück und die Verschuldung gegenüber ausländischen Finanzinvestoren nimmt zu, ohne dass dies mit einer Veränderung der produktiven Ressourcen verbunden ist.

Wie Anfang der 1970er Jahre werden diese Fehlentwicklungen in der internationalen Ökonomie verstärkt durch die enormen Aufwendungen für die Kriegführung der USA und ihrer Alliierten im Irak und Afghanistan. Zudem werfen die Finanzierungsströme der Aneignung von energetischen Rohstoffen weitere Probleme auf.

Es gibt Alternativen

Bei den Protesten gegen den Gipfel in Heiligendamm geht es darum, möglichst viele BürgerInnen über die Hintergründe der informellen Weltregierung zu informieren und die Notwendigkeit und Möglichkeit von Alternativen aufzuzeigen. Im Prinzip könnte im Euro-Raum und in Deutschland ein anderer Kurs gefahren werden. Eine beschleunigte Ausweitung der Massenkaufkraft (Arbeits- und Sozialeinkommen) wäre ebenso vorstellbar wie der gezielte Einsatz öffentlicher, vor allem kommunaler Investitionen. Über ein verstärktes Wirtschaftswachstum, den entsprechenden Rückgang der Arbeitslosigkeit und der Sozialaufwendungen ließe sich zudem eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen voranbringen.

Aber die politischen Mehrheitsverhältnisse in Europa stehen gegen eine solche Strategie. Die globalisierungskritischen Bewegungen wollen deutlich machen, dass sie die neoliberale Globalisierung nicht länger akzeptieren.

Joachim Bischoff

 

Die Radiosendung zum Thema:

Rotdorn-Radio vom 31. Juli 2006 >> "Die neoliberale Globalisierung"

Der komplexen Entwicklung der zunehmenden neoliberalen Globalisierung gehen wir mit Hilfe des prominenten Professors Elmar Altvater auf den Grund. Er war von 1971 bis 2004 Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Er veröffentlichte eine Reihe globalisierungskritischer Bücher, so auch das Standardwerk "Grenzen der Globalisierung" von 1996.