»Killerspiele«

Am 20. April 1999 erschossen zwei Amok laufende Schüler in der Columbine Highschool im US-Bundesstaat Colorado zwölf ihrer Mitschüler sowie einen Lehrer. Im April 2003 tötet Robert Steinhäuser im Erfurter Gutenberg Gymnasium bei einem Amoklauf 16 Menschen und am Ende sich selbst. Am 19. November 2006 geht Sebastian B. in seine ehemalige Geschwister Scholl Realschule in Emsdetten in Nordrhein Westfalen, verletzt fünf Menschen und tötet sich. Er hatte Rohrbomben, Molotow Cocktails, ein Messer sowie zwei Gewehre mit abgesägten Läufen dabei. In allen drei Fällen hatten die Täter ein großes Interesse an sogenannten »Killerspielen« – PC Spiele bei denen Menschen umgebracht werden, auch Ego-Shooter genannt. Sie hörten alle Heavy Metal Musik und hatten eine große Faszination für Waffen. Ob diese Gemeinsamkeiten der Täter jedoch die Hauptursachen für die Amokläufe sind, ist mehr als fraglich.

Zunächst wäre da der Begriff der »Killerspiele«, welcher medial erzeugt ist. Er ist emotionsgeladen und damit nicht wertneutral, was eine sachliche Debatte über das Thema schon von Grund auf erschwert. Gibt es eine Definition von »Killerspielen«? Ist es eins, wenn ich einen Menschen im Spiel töte? Dann wären auch Strategie-,

Rollenspiele und Adventure davon betroffen. Oder erst wenn Blut fließt? Wo liegen die Grenzen?

Ich habe bisher von niemanden, der in der Öffentlichkeit von »Killerspielen« spricht, eine exakte Definition des Wortes gehört. Der übliche Begriff für solche Spiele, heißt in der PC-Spiele Branche »Ego-Shooter«. Warum werden diese Spiele dann im medialen und politischen Diskurs jetzt zu »Killerspielen« hochstilisiert? Ich werde den Verdacht nicht los, dass die unfreiwillige Assoziation mit dem Begriff, die Spiele würden Jugendliche zum töten animieren, gewollt ist.

Verbot

In der letzten Zeit sind Stimmen laut geworden, die ein sofortiges Verbot für Ego-Shooter forderten. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber meinte in einem Spiegel Online Interview: »Sie animieren Jugendliche, andere Menschen zu töten. Daher müsse ein sofortiges Verbot für solche Spiele her.« Etliche Stimmen aus SPD und CDU stimmten sofort zu.

Es gibt keine einzige wissenschaftliche Untersuchung, die belegt, dass der kausale Zusammenhang zwischen Ego-Shootern und Gewaltausbrüchen oder sogar Amokläufen gegeben ist. Wer solch einen Zusammenhang herstellt, argumentiert aus einer gefühlten, und traurigerweise häufig auch aus einer völlig inkompetenten Sichtweise heraus. Denn ich bezweifle, dass einer dieser Herren, die ein Verbot für Ego-Shooter fordern, sich mit der Materie wirklich befasst haben.

Niemand wird bezweifeln, dass Ego-Shooter Menschen negativ beeinflussen können. Aber Computerspiele im Allgemeinen und Ego-Shooter im Besonderen gehören zur Alltagskultur von vielen Jugendlichen. Insofern wäre bei einem Zusammenhang zwischen Ego-Shooter und Amokläufen, die Zahl potentieller Amokläufer ziemlich hoch.

Nur Gewalt in den Medien, in der Schule, im Elternhaus, soziale Kälte in Gesellschaft und Familie sowie wachsende Armut in Deutschland haben einen sehr viel größeren negativen Einfluss auf Jugendliche als Ego-Shooter. Demnach plädiere ich dafür, dass soziale Kälte verboten wird.

Wertedebatte

Fast zeitgleich kommt bei der  »Killerspiel«-Diskussion, die Debatte um den Verlust der Werte wieder auf. Es finde ein »Verfall der Werte« statt. Die Jugendlichen säßen heutzutage zuviel vor dem Fernseher und dem PC und ihre Hemmschwelle zur Gewaltausübung sei geringer geworden. Zudem gäbe es zuviel Gewalt in den Medien, in den Schulen und in den Familien. Die Jugendlichen hätten zudem keine Werte und Vorbilder mehr, wonach sie sich richten und leben würden.

Jedoch kann man dafür weder PC Spiele noch den Fernseher verantwortlich machen – es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Man kann Menschen auch nicht durch Ethikunterricht zur Moral »abrichten« oder durch Medien-Appelle bzw. Kampagnen gesellschaftliche Werte einfordern. Zudem ist die gesamtgesellschaftliche Wirkung von »Alibi-Kampagnen« gleich null. Werte müssen geschaffen, gelebt und erhalten werden – und das ganz konkret und nicht in abstrakter Form. Indem man Jugendliche eine Zukunftsperspektive und Hoffnung gibt. Indem man das Recht auf einen Ausbildungsplatz für jeden Schulabgänger gesetzlich verankert. An jeder Schule einen Psychologen oder Pädagogen einsetzt, der aktiv am Schulleben teilnimmt und für die Schüler da ist. Indem man mehr Lehrer an deutschen Schulen einsetzt bzw. die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrern verbessert und so weiter.

Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Landesverbandes Schulpsychologie kommt in Deutschland auf 12 500 Schüler nur ein Psychologe, damit liege Deutschland im OECD-Vergleich vor Malta an vorletzter Stelle. Nur all diese Maßnahmen kosten Geld – doch dafür will der Gesetzgeber keine Mittel zur Verfügung stellen.

Wenn in Bildung investiert wird, dann nur, wenn sich die Investitionen am Ende auch »auszahlen«. Das heißt, es müssen beweisbare und vorzeigbare Resultate dabei herauskommen. Das Problem ist hierbei, dass weder die Schulen noch die Universitäten Unternehmen sind. Und auch die Menschen, die in ihnen leben und lernen, sind keine Kunden – sondern Menschen. Geld in Bildung zu stecken sollte auch aus ideellen und nicht nur aus rein ökonomischen Gründen erfolgen. Doch es herrscht das Primat der Ökonomie in Deutschland und die Ökonomie kümmert sich nicht um die Schaffung von gesellschaftlichen Werten – was zählt ist die Profitmaximierung.

Ego-Shooter gibt es auch nur deshalb, weil die Spiele Industrie damit seit Jahren satte Gewinne einfährt. Insofern ist die Forderung nach »Werten« – bei gleichzeitigem Wirtschaftsfundamentalismus, welcher den eigenen Vorteil, den »Homo Ökonomicus« und die Profitmaximierung als oberste Prinzipien in unserer Gesellschaft verankert haben – schlichtweg heuchlerisch.

Ursachen

Mittlerweile ist klar, dass alle Amokläufer keinen Sinn mehr in ihrem Leben sahen und sich als Verlierer gefühlt haben. Hoffnungslosigkeit, Perspektivlosigkeit und gesellschaftlicher Druck lastete auf ihren Schultern. In der Regel waren es Einzelgänger, die in der Schule unbeliebt und auch nicht sehr erfolgreich waren. Robert Steinhäuser, der Amokläufer aus Erfurt, schaffte das Abitur nicht und wäre folglich ohne Schulabschluss gewesen – eine inzwischen aufgehobene Besonderheit des Schulgesetzes in Thüringen.

Frust und Sinnentleerung entwickelte sich zum Hass auf die Menschen, die sie dafür verantwortlich machten. Sebastian B., Amokläufer aus Emsdetten, schrieb in seinem Abschiedsbrief, dass er »alle Menschen hassen würde«. Völlige Verzweiflung im Leben und es nicht gelernt zu haben mit Niederlagen im Leben umzugehen, sind mögliche Befunde. Von wem soll man(n) in einer egoistischen Gesellschaft auch lernen, wie man mit Niederlagen im Leben umgehen kann? Der Rückzug vom Leben und die Hineinsteigerung im virtuellen Raum der Ego-Shooter sind Folgen davon – aber nicht die Ursachen. Dort konnten sie Macht- und Gewaltphantasien ausleben, worüber sie Herr waren, sprich sie hatten Macht und Verantwortung über sich und andere, welche im Leben gefehlt haben. Diese Entwicklungen als Einzelfälle abzutun und einen Sündenbock zu suchen, wäre jedoch äußerst naiv.

Die Ursachen, warum ein Mensch derartigen Hass auf die Menschen bekommen kann, sind in Politik und Gesellschaft zu suchen. Die Schulen (zunehmend auch die Universitäten) welche von Unternehmern und Politikern nur noch als Produktionsstätten für späteres »Humankapital« gesehen und dementsprechend behandelt werden. Das kapitalistische und neoliberale Leistungsdenken, welches jeden dazu motiviert den Ellenbogen weit rauszustrecken und seine Mitmenschen nur noch als Konkurrenten zu sehen. Finanzielle Kürzungen im kulturellen, sozialen und Bildungsbereich und gleichzeitige Steuersenkungen und milliardenfache Subventionen an Großverdiener und damit Förderung von Armut in Deutschland. Ergo: Strukturelle Ungerechtigkeiten, welche den Menschen Hoffnung und Perspektive nimmt.

Wenn man Sozial-, Bildungs- und Kulturabbau in Deutschland betreibt, wird damit die Demokratie als ganzes abgebaut. Merkmale davon sind seit Jahren sinkende Wahlbeteiligungen, steigende Übergriffe rechtsextremer Gewalt sowie eine steigende Armut und Unzufriedenheit innerhalb der deutschen Bevölkerung. Wo die Demokratie abgebaut wird, werden auch Grundrechte (Hartz IV ist z. B. in vielen Punkten verfassungswidrig), ein soziales Miteinander und auch der gesellschaftliche Frieden abgebaut und ausgehöhlt. Solange dies weiterhin »deutsche Realitäten« sind, werden Taten wie in Emsdetten und Erfurt nicht zu verhindern sein.

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