Der Botschafter der Republik Kuba S. E. Gerardo Penalver im Rotdorn-Interview

 

»Auf den Weg in eine nachhaltige und selbstständige Entwicklung.«

Kuba 48 Jahre nach dem Sieg der Revolution: Aller Schwierigkeiten zum Trotz geht das Land »im Hinterhof der USA« seine eigenen Wege. Der Rotdorn sprach mit S.E. Gerardo Peñalver, dem Botschafter der Republik Kuba in Deutschland.

In den neunziger Jahren herrschte in Kuba, auch wegen des Zusammenbruchs des Ostblocks eine schwere Wirtschaftskrise. Wie ist die Situation aktuell?

Kuba wird seit 1960 einer unmenschlichen wirtschaftlichen und finanziellen Blockade­politik seitens der US-Regierung ausgesetzt, die ökonomische Konsequenzen in Höhe von über 86 Millarden US-Dollar für das kubanische Volk hervorbringen. Die Blockadepolitik verletzt durch die Gesetze Torricelli und Helms Burton die Souveränität dritter Länder, die mit Kuba Handel betreiben möchten und verbietet den freien Handel Kubas mit dem Rest der Welt.*

Diese Situation konnte bis 1990 durch die existierenden Beziehungen mit den sozialistischen Ländern Europas entgegen getreten werden.

Unser Bruttoinlandsprodukt zum Beispiel ist von 1990 bis 1994 um fast 35 Prozent gesunken. Fast 90 Prozent unseres Handelsaustausches hatten wir mit dem damaligen sozialistischen Lager und der Sowjetunion.

Dadurch sind wir in eine sehr schwere Wirtschaftskrise geraten, weil fast alle unsere Außenhandelsbeziehungen von einem Tag zum anderen wegbrachen. Wir haben einige Wirtschaftsreformen durchgeführt, wir haben unsere Wirtschaft umstrukturiert und neue Wirtschaftszweige entwickelt.

Heute, fünfzehn Jahre danach, kann man sagen, dass wir diese Strategie zu einem erfolgreichen Ende geführt haben. Die kubanische Wirtschaft entwickelt sich heute ständig in eine positive Zukunft, die auf solide Säulen gebaut ist. An erster Stelle steht der Tourismus, sozusagen als Lokomotive der Wirtschaft, mit einem Wachstum von 13 Prozent im letzten Jahr. Dann kommt die Nickelindustrie, die Biotechnologie, die pharmazeutische Industrie, Erdöl und Erdgasförderung, sowie die Dienstleistungen und die traditionellen Produkte, wie Zigarren, Zuckerrohr und andere Produkte der landwirtschaftlichen Produktion. Dies ist die Basis unserer Exportwirtschaft.

Wichtig ist, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes wirtschaftlich unabhängig sind. Vor der Revolution war unsere Wirtschaft an die US-amerikanische Wirtschaft angekettet, es war für uns nicht möglich einen unabhängigen Weg zu gehen. Danach waren wir vom Handel mit der Sowjetunion und dem sozialistischen Lager abhängig.

Aber jetzt ist zum ersten Mal die kubanische Wirtschaft auf dem Weg in eine nachhaltige und selbstständige Entwicklung.

Sind für die Menschen in Kuba noch Nachwirkungen der Wirtschaftskrise spürbar?

Ja natürlich! Diese schwierigen fünfzehn Jahre haben soziale Spuren hinterlassen. In den neunziger Jahren wurde kaum in Infrastruktur investiert und auch wenig im sozialen Bereich.

In den letzten zwei Jahren hat sich die Situation sehr stark verbessert. Die gute wirtschaftliche Lage hat es uns auch ermöglicht, die sozialen Leistungen zu erhöhen.

Zum Beispiel wurde der Mindestlohn verdoppelt, die Sozialhilfe ist verdreifacht worden, die Pensionen wurden verdoppelt. Es wurde in Bildung, Erziehung und im Gesundheitswesen investiert.

Die Versorgungslage der Bevölkerung ist besser geworden. Im Energiesektor haben wir in den letzten zwei Jahren sehr stark investiert. Wir haben es jetzt zum ersten Mal geschafft, die Stromausfälle abzuschaffen und damit dieses schwerwiegende Problem zu lösen. Das Angebot an Elektrizität hat sogar die Nachfrage übertroffen.

Wir arbeiten weiter sehr stark daran die Lebensqualität der Bevölkerung zu verbessern. Die Wohnungssituation ist ein schwerwiegendes Problem für unsere Bevölkerung. In den nächsten zehn Jahren sollen 100 000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden. 2006 werden wir dieses Ziel übertreffen, wir werden ca. 110 000 Wohnungen bauen. Und das wird natürlich die Lebensqualität der Kubaner positiv beeinflussen.

In den letzten Jahren wurden Maßnahmen ergriffen um auch in der Altstadt von Havanna die Situation zu verbessern. Mit Unterstützung der Regierung und der Stadt ist die Sanierung der Altstadt fortgeführt worden.

Es ist allerdings nicht ausreichend, da wir nicht nur den Kern der Altstadt sanieren und retten müssen, sondern die gesamte Altstadt und auch die Stadt Havanna selbst. So haben wir die Absicht in diesem Jahr 380 000 Sanierungsmaßnahmen zu beenden. Ich bin mir sicher wir werden dieses Ziel auch erreichen.

 

Vergleichen wir einmal die Situation in Lateinamerika mit der in Europa. Was ist Ihrer Meinung nach die Ursache dafür, dass hier in Europa der Widerstand gegen die neoliberalen Kräfte scheinbar weniger stark ist?

Ich würde nicht sagen, dass die Europäer nicht so fortschrittlich oder revolutionär wie die Lateinamerikaner sind, in Europa haben wichtige Revolutionen stattgefunden.

Jeder Kontinent und jede Region lebt seinen eigenen Aufbruch. In Europa herrschen andere Bedingungen als in Lateinamerika. Die Bevölkerungen Lateinamerikas waren müde von der Anwendung des Neoliberalismus.

Der Neoliberalismus hat natürlich auch negative Konsequenzen für die entwickelten Länder, aber es ist nicht zu vergleichen mit der Anwendung des neoliberalen Modells in einem unterent­wickelten Land. Dort hatte die neoliberale Doktrin wesentlich schlimmere Folgen.

Auch wurde die Linke in Europa durch den Zusammenbruch des Ostblocks wesentlich stärker getroffen als die Linke in Lateinamerika.

Welche Position nimmt Kuba in internationalen Konflikten wie im Irak oder Afghanistan ein?

Als Präsident Bush nach dem 11. September verkündete, wer nicht mit uns ist, ist mit den Terroristen, hat Kuba sofort erklärt: Wir sind gegen den Terrorismus und gegen den Krieg. Und diese Position hat sich bis heute nicht geändert. Was die Amerikaner im Irak gemacht haben ist Völkermord. Krieg wird nie eine Lösung sein. Nicht für den Irak, auch nicht für Afghanistan und auch nicht für den Iran.

Der kubanische Staatschef Fidel Castro ist erkrankt. Ob er noch einmal die Regierungsgeschäfte aufnehmen kann ist unklar. Wie wird es nach Fidel Castro in Kuba weitergehen?

Fidel wird zurückkommen, aber das ist nicht mehr die wichtigste Frage. Die Frage ist die Kontinuität der Revolution. Wenn die CIA Fidel Castro vor 40 Jahren ermordet hätte, wäre das für die kubanische Revolution vor 40 Jahren eine Gefahr gewesen. Heute ist die Revolution nicht mehr abhängig von der Figur Fidels. Fidel war bereits in den vergangenen fünf Monaten abwesend von den Regierungsgeschäften.

Die Amerikaner haben wohl eine etwas andere Reaktion der kubanischen Bevölkerung daraufhin erwartet, und sind jetzt ein bisschen enttäuscht. Manche überdenken sogar die Strategie gegenüber Kuba.

Es ist für uns nicht so wichtig, ob Fidel zwei, drei oder fünf Jahre länger mit uns sein wird, wir wollen das Fidel immer mit uns wäre, weil er von der kubanischen Bevölkerung sehr geliebt wird und großen Respekt genießt.

 

Herr Botschafter, vielen Dank für das Gespräch.

Burkhard

 

Ein weiteres Interview führten wir mit dem Botschafter der Republik Kuba im Frühsommer 2006 :

Rotdorn-Radioaktiv vom 19. Juni 2006 >> "Interview mit dem kubanischen Botschafter über die aktuelle Situation auf der Karibikinsel"