Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez

José Antonio Guiterrez – die meisten mögen im »Medienstrudel« sein Bild schon einmal gesehen haben. Wenige Stunden nach Beginn des Irakkrieges ging sein Bild um die Welt, der erste gefallene US-Soldat.

Bereits sein Name lässt einen Emigrationshintergrund vermuten. Doch was sich genau hinter diesem Namen verbirgt, ist nicht nur die Geschichte eines Jungen, sondern all jener Menschen, die sich tagtäglich dem endlosen Strom der Emigranten anschließen, mit nichts anderem im Gepäck, als ihrer Arbeitskraft und der Bereitschaft, für ein kleine Chance auf Zukunft ihrer Heimat und Familie für immer den Rücken zu kehren und sich wie José Antonio auf eine bewegende, fast unglaubliche Odyssee zu begeben.

Die US-Armee besteht aus circa 32 000 so genannten »Greencard-Soldiers«: Einwanderer, die in den Reihen der US-Armee für ein fremdes Vaterland kämpfen, um eine Beschleunigung des Einbürgerungsverfahren zu bewirken. So wie für José Antonio ist dies oft der einzige Weg für die Emigranten einer Ausweisung zu entkommen. Eigentlich beinhaltet dieses Verfahren ein Paradoxon: Auf der einen Seite versucht man ständig die Grenzen gen Süden zu verstärken, auf der anderen Seite ist der amerikanische Staat auf die Emigranten angewiesen. Gezielt gehen die Rekrutierungs-Trupps in den Emigranten-Distrikten auf die »Jagd«.

Schaut man auf die Anfänge von José Antonios Leben, so sieht man seinen frühen, unbewussten Kontakt mit den USA. Er wuchs im guatemaltekischen Bürgerkrieg auf. Ungefähr 200 000 Menschen kostete der Krieg das Leben, circa eine Million wurden zu Flüchtlingen. Wie die während der Clinton–Ära freigegebenen CIA-Akten belegen, waren die USA an diesem Bürgerkrieg, der 36 Jahre, bis 1996, dauern sollte, maßgeblich beteiligt. Bekannt unter dem Namen »Operation PBSUCCESS«, Teil der Truman-Doktrin, wurde dieser Krieg geführt, um einer vermuteten kommunistischen Bedrohung aus Zentralamerika vorzubeugen. Eine bekannte Praxis der USA. Das Land in dem José Antonio später als Held sterben sollte.

José Antonio war Waise, wie viele Kinder zu dieser Zeit. Er lebte auf der Straße, schnüffelte Kleber. Als er älter wird, schließt er sich dem endlosen Emigrantenstrom an. Er träumt davon Architekt zu werden. Mal ein eigenes Haus zu besitzen, aus dem ihn keiner rauswerfen kann. Ein Traum vieler Straßenkinder, so erzählt José Antonios ehemaliger Sozialarbeiter. Diesen Traum erhofft sich José Antonio in dem fremden Land, dessen Politik ihm das Leben in seiner Heimat perspektivlos gemacht hat, zu verwirklichen.

Der Weg ist beschwerlich. Er geht von Guatemala über Mexiko, schließlich in die USA. Wie José Antonio gibt es noch tausende andere Emigranten, die mit auf den Zügen sitzen, die Grenzflüsse durchqueren und vor dem Grenzwall zu den USA auf eine passende Gelegenheit für den Übergang warten.

Die einzigen Momente der Ruhe, des Luftholens auf dieser Reise, sind Stationen in den christlichen Herbergen. Dort ruhen sich die Emigranten aus, diskutieren über die besten Pfade, üben das Aufspringen auf Container (um später nicht bei den fahrenden Zügen unter die Räder zu gelangen) und beten zu ihren Schutzheiligen. Für die auf dem Weg Verunglückten, meist von den Zügen Gefallene oder von Guerilla oder Militär Misshandelte, ist eine kirchliche Krankenstation die letzte Zuflucht.

Zweimal wird er an der Grenze Mexikos zu den USA geschnappt, doch er ist geschickt genug, sich als Mexikaner auszugeben, um einer Ausweisung nach Guatemala zu entkommen. Der dritte Versuch glückt. Getrieben von der Illusion – dem amerikanischen Traum – kommt er in die USA. José Antonio hat diesen langen Weg überlebt.

In den USA muss auch Antonio feststellen, dass seine Hoffnung, wie die unzähliger Emigranten, eine Illusion ist. Denn der Kampf ist hier nicht zu Ende, es beginnt ein neuer. Der Kampf ums Leben bzw. Überleben in einem Land, in dem Fremde nicht willkommen sind.

José macht sich zwei Jahre jünger als er ist, um als Minderjähriger vor der Ausweisung geschützt zu sein. Seine Pflegefamilie erzählt von seinem Stolz ein »Latino« zu sein. Er trägt gerne langes Haar, versucht nur mit Spanisch auszukommen. Hier kommt die Klassengesellschaft in den USA zum Vorschein. Als »Latino« steht er eine Stufe niedriger. Seine Identifikation als »Latino«, als ein kleiner Protest gegen eine fremde Kultur, die ihn nicht akzeptiert, so eine Vermutung.

José Antonio wird volljährig. Er muss sich für einen Weg entscheiden: Militär oder Ausweisung. Immer noch möchte er Architekt werden, seiner Schwester in Guatemala ein Haus bauen. Er geht zu den »Marines«. Als Gegenleistung verspricht man ihm die gewünschte Ausbildung zum Architekten.

Seine Kameraden achten ihn sehr. Er ist sehr diszipliniert und hoch motiviert. Die zweite Reise, die er auf sich nehmen muss, um seinem Ziel, seinem Traum näher zu kommen. Es geht in den Irak. Dort endet seine Reise.

Neun von den zehn ersten im Irak-Krieg gefallenen US-Soldaten waren »Latinos«.

José Antonio Gutierrez Geschichte ist nicht die eines Abenteuers. Es ist die Geschichte vom Versuch zu überleben – auf beiden Seiten dieser Welt.

Florian Hoffmann

 

 

Der Artikel beruht auf den Recherchen des gleichnamigen Films. Informationen hierzu:

www.antonio-derfilm.de