Gewehr bei Fuß: Strammstehen für deutsche Interessen weltweit

 

Auslandseinsätze der Bundeswehr:

Schlimmer geht's immer

Auf einmal wird klar, worum es eigentlich geht: »Wir trauern um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren haben«, so Bundes­präsident Horst Köhler am »Volkstrauertag« 2006. Der Sonntag vor dem Totensonntag dient seit 1919 als Tag des offiziellen und staatlichen Gedenkens für Kriegstote. Kriegs­tote – nicht »Einsatztote«. Und so folgt aus den Worten Horst Köhlers, was wir schon lange hätten wissen können: Die Bundeswehr steht nicht in »Einsätzen«, sondern im Krieg.

Das Wort Krieg fließt freilich auch anderen noch schwer in die Tastatur. So schrieb die Online-Ausgabe der ZEIT am 19. 11. 2006 davon es sei nun »erstmals gestorbener Bundeswehrsoldaten gedacht« worden. Damit waren nicht diejenigen gemeint, die seit Gründung der Bundeswehr krankheits- oder altershalber verstorben sind, sondern 64 Soldaten, die bisher im Dienst in Auslandseinsätzen starben.

Wo Kriegstoter gedacht wird, ist Krieg. Ernsthaft dokumentiert haben das Soldaten der Bundeswehr, die sich im Jahr 2003 beim Spiel mit den Gebeinen Verstorbener fotografierten. Für sie anscheinend ein Riesenspaß. Als diese Bilder 2006, in die Öffentlichkeit gelangten, war die Aufregung groß. PolitikerInnen äußerten ihren Abscheu und versprachen die Bestrafung der Schuldigen. Experten für islamischen »Totenkult« wurden zitiert, als wäre in unserer Kultur die Totenruhe etwa nicht heilig. Das mediale Interesse legte sich erst, als sich herausstellte, dass die Gebeine gar nicht auf einem offiziellen Friedhof aufgefunden worden waren. Das änderte anscheinend alles. Nur eines nicht: Die makabren Spiele dieser Männer im Ausland enthüllen etwas vom Wesen der Männerwelt Militär: In der Normalität eines militärischen Männerhaufens passiert alles mögliche, was ZivilistInnen als makaber empfinden. So ist auch eine Vielzahl von »Vorfällen« in Bundeswehrkasernen in Deutschland bekannt und dokumentiert.

Die Politik der Bundeswehreinsätze »out of area«, d. h. außerhalb NATO-Territoriums, hat eine rasante Entwicklung genommen. Seit Ende der 1980er Jahre stückweise eingeführt, haben die »Einsätze« heute Ausmaße angenommen, die denen anderer europäischer NATO-Armeen qualitativ in Nichts mehr nachstehen. Bedauerlicherweise wird mittlerweile der Kriegseinsatz deutscher Soldaten nur noch von der Linken grundsätzlich in Frage gestellt.

Die politische Mitte und die Friedensparteien der 80er, SPD und Grüne, haben den weltweiten Einsatz deutscher Soldaten als Normalität deklariert.

Wenn sich derzeit Bundeskanzlerin Merkel und Verteidigungsminister Jung medienwirksam sträuben, Bundeswehrsoldaten auch im Süden Afghanistans einzusetzen, ist das weder im ISAF-Mandat (International Security Assistance Force ist die

»Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe«, die Besatzungsarmee, in Afghanistan) begründet noch in den Bundestagsbeschlüssen zu dessen Umsetzung. Denn das ISAF-Mandat gilt bereits für das gesamte Territorium Afghanistans. Der 2005 modifizierte Bundestagsbeschluss, der kürzlich verlängert wurde, lässt eine Ausweitung des Einsatzes auf das ganze Land zu, mit der nur relativen und unscharf formulierten Beschränkung »für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen«. In allen Regionen Afghanistans hat die ISAF gleiche Aufgaben, die mit »alle(n) erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt« (Zitat aus dem Bundestagsbeschluss) durchzusetzen sind. Die Unterschiede dabei ergeben sich aus den unterschiedlichen Bedingungen in den Regionen. Dass im Norden derzeit weniger militärische Gewalt angewendet wird, liegt nicht an einem anderen oder besseren Konzept der Bundeswehr. Es liegt unter anderem daran, dass sich im Norden das Gebiet der Nordallianz befindet, der Verbündeten gegen die Taliban.

Das Sträuben von Frau Merkel und Herr Jung hat andere, nämlich innenpolitische Gründe. In der Nachfolge des früheren Kanzlers Schröder möchte man der Öffentlichkeit eine moderate Militärpolitik »mit Augenmaß« suggerieren. Die Bundeswehr soll als Helferin, Schützerin und federführend in der zivil-militärischen Zusammenarbeit präsentiert werden. Zugleich hält man die Öffentlichkeit (noch) nicht für reif genug, um größere Zahlen getöteter Bundeswehrsoldaten zu ertragen. Wenn die Bundeswehr stärker in Kampfhandlungen involviert wäre, würde die deutsche Öffentlichkeit zwangsläufig damit konfrontiert, dass auch Bundeswehrsoldaten verletzen und töten. Wie in allen modernen Kriegen, so werden auch in Afghanistan in erster Linie Zivilpersonen Opfer der Kriegsführung. Erinnert sei an Hochzeitsgesellschaften, die von US-Soldaten beschossen wurden. Bundeswehrsoldaten in ähnlichen Kriegshandlungen – das könnte die innenpolitische Diskussion neu befeuern. Dann würden sich manche jetzt Gleichgültige erinnern, dass es außer Militäreinsätzen noch andere, und zwar geeignetere Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung gäbe.

Ein anderes Beispiel, wie sensibel die Unternehmungen von Bundesregierung und Bundeswehr sind, war der Einsatz im Kongo. Monatelang wurde die Öffentlichkeit schonend darauf vorbereitet, dass Bundeswehrsoldaten womöglich mit Kindersoldaten in Kampfhandlungen verwickelt werden könnten. Dann wäre die Bundeswehr schlagartig von der kriegerischen Realität eingeholt worden. Das in einem Land, das weder die Bundesrepublik noch einen anderen Nato-Staat angegriffen hat. Und damit niemand auf den Gedanken kommt, grundgesetzliche oder völkerrechtliche Fragen zu stellen, wird tunlichst auch über die Einsätze des Kommandos Spezialkräfte (Die Kommandos Spezialkräfte sind eine Eliteeinheit der Bundeswehr) geschwiegen. Diese Geheimhaltungspolitik spricht der These von der »Parlamentsarmee« Bundeswehr Hohn. Erst als es im Fall des, wie inzwischen bekannt, grundlos unter Terror-Verdacht verschleppten und auf Guantanamo festgehaltenen Murat Kurnaz zu öffentlichen Anschuldigungen kam, gelangten Einzelheiten des KSK-Einsatzes ans Tageslicht. Damit es bei diesen wenigen Einzelheiten und somit die Öffentlichkeit ausgeschlossen bleibt, wurde der Fall im Verteidigungsausschuss untersucht. Der Verteidigungsausschuss tagt im Unterschied zu anderen Ausschüssen des Bundestags grundsätzlich nicht öffentlich.

2006 wurden zahlreiche Einsätze neu beschlossen oder verlängert, zuletzt der ISAF-Einsatz in Afghanistan, zuvor der Eufor-Einsatz (Die European Union Force ist eine multi­nationale Militärstreitmacht der Europäischen Union) in der RD Congo und der UNMIS-Einsatz (Die United Nations Mission In Sudan ist eine UN-Mission im afrikanischen Staat Sudan im Südsudan). Rund 10000 BundeswehrsoldatInnen sind gleichzeitig in zehn Einsätzen. Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon) vor der Küste Libanons schließlich bricht das letzte Tabu. Was man nie für möglich gehalten hatte, ist nun wahr: Deutsche Soldaten stehen potentiell israelischen gegenüber, ausgestattet mit einem Auftrag der UN und einem »robusten Mandat«. Nun darf überall geschossen werden. Es gibt keine Grenzen mehr. Und schlimmer geht's immer.

Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär

 

 

Die Radiosendung zum Thema:

Rotdorn-Radioaktiv vom 20. Novmber 2006 >> "Die Auslandseinsätze der Bundeswehr"

Zu Gast war im Studio Ralf Siemens von der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär.