Das neue Schuljahr hat begonnen...
und gleichzeitig geht der Wahlkampf in Berlin in die heiße Phase. Eines der bestimmenden Themen ist die Bildung. Allerdings gehen die politischen Entwürfe für eine Reaktion auf die PISA-Studie oder Schulen an »sozialen Brennpunkten« weit auseinander.
Durch PISA wurde gezeigt, dass sowohl der Bildungsstand als auch der -zugang in kaum einem anderen Land so stark von der sozialen Herkunft abhängig ist, wie in Deutschland. Da erscheint das Konzept der »Eliteförderung« – so wie es sich die politisch Konservative auf die Fahnen schreibt – doch eher fragwürdig. Anstatt die Besten, also die skandinavischen Länder als Vorbild zu sehen und die geburtenschwachen Jahrgänge als Chance zu nutzen, um durch geringe Klassenstärken die Qualität der Bildung zu erhöhen, kommt es zu Schulzusammenlegungen bzw. Schulschließungen.
Im Folgenden veröffentlichen wir drei Artikel zum Thema. Die Berliner Linkspartei.PDS stellt ihr Konzept einer zehnjährigen Einheitsschule vor, ein Redaktionsmitglied, Schüler der 13. Klasse, reflektiert seinen Schulalltag und wir berichten über die Vorbereitungen eines berliner Schulstreiks.
Was brennt dir an deiner Schule/Uni/Berufsschule unter den
Nägeln, gerade im Hinblick auf Schulschließungen und der drohenden Einführung von Studiengebühren?
Schreib uns an rotdorn@gmx.de!

Die Radiosendung zum Thema: Schulstreik in Berlin

 

Schule total fatal:
Eine Momentaufnahme

Die Sommerferien scheinen eine wohlige Stimmung der Harmonie an den Berliner Schulen erzeugt zu haben, doch der Schein trügt. Denn an den Berliner Schulen brodelt es. Immer mehr Maßnahmen stoßen den SchülerInnen auf, die sie nicht etwa als Verbesserung der Lernqualität oder des Schulklimas empfinden, sondern ganz im Gegenteil als das, was sie sind: Sparmaßnahmen und Elitenförderung.

So sollen nach der ersten Welle der Schulzusammenlegung nun im neuen Schuljahr weitere derartige Fusionen stattfinden, es sollen zum Beispiel das Friedrich-List und das Max-Born Gymnasium zusammengeschlossen werden. Dass solche Aktionen selbst nach mehreren für Berlin desolat ausgefallen Lernstudien weiterhin ungehemmt fortgeführt werden, zeigt eindrücklich den mangelnden Verbesserungswillen von Seiten der Regierenden.

Weiterhin haben diese Studien ebenfalls belegt, das im dreigliedrigen Schulsystem, wie es in Berlin existiert, die Selektion stark von der sozialen Herkunft der SchülerInnen abhängt. Damit werden aber Brennpunktschulen geschaffen und diese soziale Schieflage dann einfach in ein Migrations- und Integrationsproblem umgedeutet. Auch die Abschaffung der Lernmittelfreiheit weist diesen Weg in ein Schulsystem, das sozial spaltet.Dieses wird aber auch durch individuelle Entscheidungen an Schulen weiter vorangetrieben, so etwa an der Rosa-Luxemburg-Oberschule in Pankow. Der zuständige Direktor versucht seit Langem, diese Schule zu einem Flaggschiff der Berliner Gymnasien zu machen. Doch leider leiden die SchülerInnen etwas unter dieser Ausrichtung ... So wurden den sogenannten Schnellläuferklassen die Praktika in der 10. Klasse gestrichen. Diese lesen sich aber nicht nur gut in den später ja notwendigen Bewerbungen, sondern sollen ja vor allem helfen, dem einzelnen SchülerInnen Erfahrungen für das spätere Berufsleben zu vermitteln, die ihm im normalen Schulbetrieb nicht geboten werden.

Außerdem ist die GSV (Gesamtschulvertretung), wie wohl auch an vielen anderen Berliner Schulen, praktisch völlig ohne Einfluss, da sie in ihrer Entscheidungsgewalt durch das Wohlwollen des Direktors, der ja am Ende jede Entscheidung absegnen muss, stark eingeschränkt ist. So wurden etwa drei Jahre damit verbracht, ein fertiges Konzept für zwei gemeinsame Projekttage der gesamten Schule auszuarbeiten. Die ganze Mühe wurde jedoch durch den einfachen Satz »Dadurch fällt zuviel Unterricht aus.« zunichte gemacht. Sollen SchülerInnen so Selbstständigkeit und Eigenverantwortung beigebracht bekommen? Nein, Noten und Klassenarbeiten gingen wieder einmal vor. Und auch dies stößt bei den SchülerInnen nicht nur im speziellen, sondern auch ganz allgemein auf Ablehnung. So taten auch zum diesjährigen Schuljahresende wieder viele SchülerInnen ihren Unmut über die subjektive und willkürliche, für das weitere Leben aber leider so wichtige, Notengebung kund und verbrannten ihre Zeugnisse am 4. Juli vor dem Roten Rathaus.

Die Zeichen stehen also auf Sturm und so bleibt zu hoffen, dass im Zuge der stetig anschwellenden Protestbewegung der StudentInnen gegen Studiengebühren auch die Schüler Initiative ergreifen und sich aktiv gegen diese Missstände zur Wehr setzen. Denn eins ist allen, ob SchülerInnen oder Student, klar: Nicht nur im Bildungswesen rumort es gewaltig, sondern dies ist auch nur eine Auswirkung des allerorten um sich greifenden Sozialabbaus und der immer weiteren Unterwerfung aller politischen Entscheidungen unter die Gesetze des »freien Marktes«.

[BK]

 

Französische Verhältnisse in Berlin:

Vorbereitungen auf einen Massenstreik

Viel ist berichtet worden von den Massenprotesten gegen die Aufhebung des Kündigungsschutzes in Frankreich. Sie waren vorbildhaft und bemerkenswert, gerade weil sie von Streiks der SchülerInnen und Studierenden ausgingen und breite Bevölkerungsschichten mitrissen.

Besonders beachtenswert ist, dass die SchülerInnen gegen ein Gesetzesvorschlag kämpften, der sie mit der geplanten Aufweichung des Kündigungsschutzes nicht direkt betraf, sondern ihre fernere Zukunft. Einige Einschnitte »wirken« sofort, seien es Einführungen von Studiengebühren oder die Abschaffung der Lernmittelfreiheit in Berlin, andere betreffen die Zukunft.

Auch das bestehende mehrgliedrige Schulsystem dient lediglich der Aufteilung junger Leute in eine weiter förderbare Elite und eine aufgegebene, überflüssige Masse. Mit der Herausbildung von Eliteuniversitäten – und der damit einhergehenden Benachteiligung anderer Unis – soll diese Entwicklung auch im Hochschulbereich fortgesetzt werden.
Längst ist bewiesen, dass schon jetzt Menschen aus ärmeren Familien weitaus schlechtere Chancen auf einen guten Schulabschluss haben. Anstatt das zu bekämpfen, forcieren die Regierenden dieses Bildungsgefälle, da es gesellschaftlich bedingt und gewollt ist.

Um gegen solche Ungerechtigkeiten vorzugehen, die sich lückenlos in die generelle Liberalisierung der Marktwirtschaft und den stetigen Abbau der Sozialleistungen einfügen, läuft zur Zeit ein Projekt einer Berliner SchülerInneninitiative. Da am 17. September in Berlin Wahlen stattfinden, ist die Zeit günstig, um Kritik und Alternativen der Öffentlichkeit mitzuteilen. Unter dem Motto »Bildungsblockaden einreißen« werden kostenfreie Workshops zu vielen bildungspolitischen Themen angeboten. In der Woche vor der Wahl wird es dann den mehrtägigen Schulstreik geben, bei dem laut und deutlich gegen die fortschreitende Ökonomisierung des Bildungswesen gekämpft wird. Oft wurden »französische Verhältnisse« gefordert, nun ist der Moment gekommen.

Wer den Protest aktiv mitgestalten oder an seine Schule tragen möchte, ist zu den nächsten Treffen der OrganisatorInnen herzlich eingeladen.
Alle Termine und Hintergrundinfos auf:
www.schulaction.de

Die Radiosendung zum Thema: Schulstreik in Berlin

Skandinavisch schlau!
Eine Schule für alle Kinder in Berlin

Bildungspolitik ist seit den Ergebnissen der ersten PISA-Studie im Jahr 2001 in aller Munde. Die Politik insgesamt ist sich der Wichtigkeit dieses Zukunftsthemas wieder bewusst geworden und reagiert – auf unterschiedliche Weise: 2001 lehnten insbesondere die Sozial- und Christdemokraten noch eine Strukturdebatte ab, obwohl seit PISA eines völlig klar ist: Das Abitur zu erreichen, ist für ein Akademikerkind gegenüber einem Arbeiterkind bei gleicher Intelligenz viermal leichter. Inzwischen hat sich einiges getan. Schleswig-Holstein hätte den Sprung zu einer flächendeckenden Gemeinschaftsschule für alle Kinder fast geschafft. Andere Länder haben schon oder streben ein zweigliedriges Schulsystem an. Auf der anderen Seite verstärken vor allem die süddeutschen Länder die Selektion in ihren Schulen, tun im Prinzip das Gegenteil dessen, was nach PISA ratsam wäre. Der, in Zukunft noch verstärkte, Bildungsföderalismus macht es möglich.

In Berlin hat die rot-rote Landesregierung 2004 das erste komplett neue Schulgesetz seit dem PISA-Schock erlassen und vor kurzem mit der Grundschulreform Weichen für gemeinsames, auch altersgemischetes Lernen gestellt. Gerade die Kinder in der Grundschule können dort ab dem nächsten Schuljahr in einer flexiblen Schulanfangsphase mit jahrgangsübergreifenden Lernen in den Klassen 1 bis 2 individueller gefördert werden.

Die Linkspartei ist der festen Überzeugung, dass diese Kinder, wenn sie in die 7. Klasse kommen, dort ein adäquates pädagogisches Angebot finden müssen. Ein Angebot, das auf dem der Grundschule aufbaut und weiterführt. Um dies erreichen zu können, um ein Lernen in der Schule zu verwirklichen, das das Individuum Schüler zum Ausgangspunkt seiner Pädagogik und Didaktik macht, brauchen wir eine neue Struktur. Die Strukturfrage ist also nicht einfach nur Selbstzweck linker Ideologie, sondern Mittel zum Zweck, nämlich einer besseren Qualität von Schule und Bildung für alle Kinder.

Natürlich soll an dieser Stelle der Begriff der linken Ideologie, wie er vor allem gern von der politischen Rechten als Kampfbegriff stilisiert wird, nicht in Abrede gestellt werden. Es gibt nämlich mindestens einen Punkt, an dem sich linke, fortschrittliche Bildungspolitik von der bürgerlich-rechten unterscheidet: Für uns Linke ist Bildung nicht einfach nur ein Schlüssel, eine Qualifikationsvorraussetzung für die spätere ökonomische Verwertbarkeit. Für uns ist Bildung ein Menschenrecht und Bildungspolitik deswegen auch immer aktive Sozialpolitik. Wir kämpfen für wirkliche Chancengleichheit im Bildungssystem. Wir wollen
eine Schule, die, wie in Skandinavien auch, von einer Kultur der Akzeptanz und des Willkommens geprägt ist und nicht von Selektion und dem organisierten Scheitern der Bildungskarrieren ganzer Gesellschaftsschichten. Das ist der Lackmustest fortschrittlicher Bildungspolitik und der Unterschied zu Union und FDP.

Wir wollen die integrative Gemeinschaftsschule nach skandinavischem Vorbild möglichst bis zum Schuljahr 2011/2012. Bis dahin, also in der nächsten Wahlperiode, wollen wir in ganz Berlin eine Pilotphase starten, an der Schulen aller Art teilnehmen dürfen. Dort soll schon das erprobt und wissenschaftlich begleitet werden, was dann später in der Fläche umgesetzt werden soll – und zwar zu den Ausstattungsbedingungen, die wir uns für die Gemeinschaftsschule vorstellen: Nur 24 Kinder in einer Klasse, pro Zug eine weitere pädagogische Kraft (Sozialarbeiter, Psychologe oder Bidungsgangberater) und eine Betreuung bis 16 Uhr. Das haben wir auch durchgerechnet. Es ist finanzierbar. Es ist notwendig. Lasst es uns anpacken, denn eins ist klar: Die Gemeinschaftsschule gibt es nur mit der Linkspartei.

Carola Bluhm
Stellvetretende Vorsitzende der Linkspartei.PDS-Abgeordnetenfraktion in Berlin

Sebastian Schlüsselburg
Sprecher IG Schule und Bildung