Keine Wahl für Mexiko?

Im 21. Jahrhundert zeigt die Globalisierung, wie die schlimmsten Albträume von Karl Marx in einer barbarischen Welt wahr werden und gleichzeitig Wellen revolutionärer Kämpfe ausbrechen und alle denkenden Menschen ausrufen lassen: Eine andere Welt ist nötig.
Jetzt werden die Epizentren der Welt belagert.

Hunderte Millionen Menschen werden entwurzelt, von einer unsichtbaren Hand erfasst und vom Weltmarkt durchdrungen. Es kommt zu unfreiwilligen verzweifelten Wanderungsbewegungen unter primitivsten und gefährlichsten Umständen; Menschen klammern sich an seeuntaugliche Boote, um von Afrika auf die Kanaren überzusetzen. Oder sie klettern über sechs Meter hohe Stacheldrahtzäune und versuchen trotz Gewehrsalven in die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla zu gelangen. Oder sie marschieren tagelang durch Wüsten voller Skorpione und Schlangen entlang der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Jährlich sterben mehr Menschen bei dem Versuch, von Mexiko in die USA zu gelangen, als in 28 Jahren Todesopfer an der Berliner Mauer zu verzeichnen waren. Jetzt wird an der Südgrenze der USA eine Mauer gegen die Immigranten errichtet.
In Südeuropa werden tausende Leichen von Menschen an die Küsten gespült, die als so genannte »Wirtschaftsflüchtlinge« in Europa ein Auskommen suchten. Frankreichs Präsident Chirac warnte in seiner Ansprache beim jüngsten Nationalfeiertag, dass die Hälfte der 950 Millionen zählenden Bevölkerung Afrikas unter 17 Jahren sei und bis 2050 die Bevölkerung Afrikas auf zwei Milliarden anwachsen werde. »Wenn wir Afrika nicht entwickeln und hierzu die erforderlichen Ressourcen mobilisieren, dann werden diese Menschen die Welt überfluten.«

Während wir uns am 1. Mai in Kreuzberg sonnten, gingen zur gleichen Zeit über eine Million Immigranten in den USA auf die Straße in einer Art Generalstreik aus Protest gegen neue Einwanderungsgesetze. Diese Massenaktion unterstreicht die Bedeutung der Migranten als Arbeitskräfte in den USA. Viele Arbeitgeber, die auf Migranten angewiesen sind, gaben ihrem Personal einen Tag frei, weil sie nicht mit der Regierung Bush identifiziert werden wollten.
2005 beliefen sich alle Exporte Mexikos auf 213 Milliarden Dollar, davon gingen 87 Prozent in die USA. Eine Million illegaler Immigranten jährlich ist ein Hinweis darauf, weshalb die US-Landwirtschaft aufgeblüht ist und in der Zone der NAFTA (Nordamerikanische Freihandelsabkommen) die mexikanische Konkurrenz aus dem Feld geschlagen hat.

Am 2. Juli 2006 fanden in Mexiko Präsidentschaftswahlen statt – die zu einem Duell zwischen dem Linkskandidaten López Obrador und dem Konservativen Felipe Calderón wurden. Nach offiziellen Angaben gewann Calderón angeblich mit einem Vorsprung von 0,58 Prozent oder 240 000 Stimmen bei einer Gesamtzahl von 41 Millionen abgegeben Stimmen. Europäische Wahlbeobachter bezeichneten die Wahl als frei und fair. Bush gratulierte Calderón und war rundum zufrieden. López Obrador wurde von seinen Gegnern als der »mexikanische Chávez« bezeichnet und musste letztes Jahr juristische Tricks überwinden, mit denen seine Gegner, der mexikanische Kongress und die Justiz, ihm das passive Wahlrecht entziehen wollten.

López Obrador erklärte damals die Kampagne gegen ihn mit folgenden Worten:
»Es geht hier um zwei miteinander konkurrierende Projekte. Einmal im Namen der Globalisierung, zum anderen im Namen der Nation. Denen passt nicht, dass ich die ausgegrenzten und verarmten Menschen unterstütze und sie wollen nicht, dass ich dies landesweit tun kann. Darin liegt der Kern des Problems.«
Weiter griff er diejenigen an, die »glauben, sie seien die Herren dieses Landes, die Führer der Parteien PRI und der PAN, die unser Erdöl und unsere Stromversorgung verkaufen wollen, die unsere Finanzeinrichtungen in den Bankrott getrieben haben, die ein Land mit der Seuche der Ungleichheit überzogen haben. Sie haben dieses Land der geldgierigsten Minderheit ausgeliefert. Sie wollen Lebensmittel und Arzneimittel besteuern, aber ihre Beschützer wollen sie von der Steuerpflicht ausnehmen. Sie haben die Produktionskapazitäten dieses Landes zerstört und Millionen Mexikaner zur Auswanderung in die USA gezwungen.«

Als Oberbürgermeister der Hauptstadt Mexico-City führte López Obrador wichtige Sozialreformen zum Wohle der Armen durch. Er gilt als Verteidiger und Interessenvertreter der Armen. Durch Massendemonstrationen wurden die Behörden gezwungen, ihn als Präsidentschaftskandidaten zuzulassen, aber die mexikanische Oligarchie hat 70 Jahre Erfahrung mit Wahlfälschung.
Schon 2001 wurde berichtet, dass die US-amerikanische Firma Choice Point of Alpharetta aus Georgia dem Gouverneur Jeb Bush in Florida dabei half, unerwünschte Personen aus dem Wählerverzeichnis zu streichen. So geschah es auch in Mexiko, wo arme Wähler am Wahltag feststellten, dass sie gar nicht im Wählerverzeichnis stehen. Wie schon in Florida, war auch in Mexiko der Anteil der ohne Kennzeichnung abgegebenen Stimmzettel mit 827000 sehr hoch.
Mexikos Zentrale Wahlbehörde (IFE) entzog 3,3 Millionen Stimmzettel der öffentlichen Auszählung. Als dann unter starkem öffentlichen Druck diese Stimmzettel doch ausgezählt wurden, da schrumpfte der Vorsprung für den »Wahlsieger« Calderón plötzlich von 377000 auf 257000, und weitere offizielle Auszählungen ließen diesen Vorsprung um weitere 13000 Stimmen auf 244000 zurückgehen.

Die abgegebenen Stimmzettel wurden ausgezählt und in große Säcke verpackt, auf die die Ergebnisse geschrieben wurden, aber die offiziellen Endergebnisse waren deutlich anders. Und zwar so, dass gegen Ende des Auszählung Obrador immer mehr verlor und Calderón immer mehr gewann. Gefüllte Wahlurnen wurden auf Müllkippen und in Mülltonnen gefunden. So lag López Obrador nach Auszählung von 25 Prozent der abgegebenen Stimmen um 2,4 bis 2,7 Prozent in Führung, aber nach Auszählung von 65 Prozent rückte Calderón plötzlich nach vorne und Obrador wurde immer mehr abgeschlagen, während alle anderen Kandidaten bei gleichen Werten blieben. Dass die Firma von Calderons Bruder die PCs und EDV für die Auszählung liefert, hat natürlich rein gar nichts mit den für ihn günstigen offiziellen Ergebnissen zu tun!

Obrador hat ein umfangreiches Dossier über die Wahlfälschung zusammengestellt und dem Wahlleiter vorgelegt. Er fordert eine Neuauszählung aller 47000 Wahlurnen, bei denen Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden. Bis zum 6. September wird ein Gerichtsbeschluss über eine Neuauszählung oder Ungültigkeit der Wahlen erwartet.
Der Wahlbetrug hat die Armen und Unterdrückten wütend gemacht. »Wir haben die Nase voll von diesen Reichen, die den Armen immer mehr wegnehmen und uns jetzt um den Wahlsieg betrügen wollen«, sagte eine ältere Frau bei einer Massenprotestdemo am 16. Juli. Obrador hat eine Kampagne zur Erzwingung einer erneuten Auszählung aller fraglichen Wahlurnen gefordert.

Das Wiedererwachen Lateinamerikas hat jetzt auch die Grenze der »Supermacht« USA erreicht. Die Armen und Unterdrückten haben Grund zur Hoffnung, die Machthaber haben gute Gründe, diese Entwicklung zu fürchten.

æheiko@khoo.org