Aller guten Dinge sind drei

Arbeitszeitverkürzung, Grundeinkommen, Mindestlohn als Forderungen in unseren sozialen Kämpfen

Die Ausgangssituation

Auf leisen Sohlen, scheinbar öffentlich unbemerkt, fing die große Koalition aus CDU und SPD im Winter/Frühjahr mit dem Sozialabbau an: Da war zunächst die Ankündigung aus dem Ministerium von Herrn Müntefering, das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre zu erhöhen.

Zeitgleich hatten die Koalitionsparteien schon an neuen Änderungen zu »Hartz IV« gestrickt, die in zwei Etappen verabschiedet wurden. Im Februar gab’s die Stallpflicht und das Umzugsverbot für Jugendliche. Zum 1. August, mitten in der Sommerpause, traten dann neue Gesetze in Kraft, deren schwerwiegendste Änderungen die Unterstellung von Bedarfsgemeinschaften und gegenseitiger Pflicht, sich zu unterstützen, für alle die Menschen sind, die als Erwachsene zu zweit zusammen wohnen. Im Herbst soll es noch eine Verschärfung zu Lasten der Erwerbslosen geben. Es wird gemunkelt, dass es diesmal darum geht, verdienende Kinder für ihre erwerbslosen Eltern zahlen zu lassen.

Nicht zu vergessen: Die »kleine Gesundheitsreform«, bei deren Einführung sich die Regierung auch nicht um streikende Ärzte oder KrankenpflegerInnen schert.
Die Steuer»reformen«, die wiederum die Mehrwertsteuer erhöhen und die Unternehmen begünstigen, seien hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Auch diese schwächen diejenigen, denen jetzt schon das Geld aus der Tasche gezogen wird und die an der gesellschaftlichen Teilhabe und an der Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte gehindert werden.

Die Tendenz bei den Veränderungen der Versicherungssysteme geht eindeutig von der solidarischen Versicherung hin zur weiteren Privatisierung dieser Versicherungssysteme. Nicht umsonst hieß es aber bei den Protesten am 3. Juni 2006: »Schluss mit den Reformen gegen uns!«

Wie alles anfing

Als Erbe der politischen Auseinandersetzungen rund um die Montagsdemonstrationen in den Jahren 2004/2005 hat die so genannte »Trias« oder »Triade« Arbeitszeitverkürzung, Mindestlohn und Bedingungsloses Grundeinkommen in den Diskussionen der sozialen Bewegung(en) immer mehr Zuspruch erhalten, nachdem sich zeigte, dass allein die Forderung »Weg mit Hartz IV« aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr genug Menschen mobilisierte und die Verhinderung des Gesetzes nicht in Sicht war.

Es handelt sich hier um die Zusammenfassung von Forderungen von unterschiedlicher Herkunft und Tradition und mit unterschiedlicher Stoßrichtung und Reichweite, die sowohl bei Erwerbsloseninitiativen, attac, linken GewerkschafterInnen rund um das Labournet, aber auch bei der WASG und der PDS und anderen Gruppen seitdem diskutiert werden.

Das Neue ist daran die Zusammenfassung zu einer Triade, das heißt, dass alle drei Konzepte unzertrennlich zusammen gehören.

Die Forderungen im Einzelnen

Ein staatlicher Mindestlohn erscheint in einer Zeit angebracht, in der ein Sechstel der Beschäftigten nach neueren Untersuchungen unterhalb der Grenze von zwei Dritteln des Durchschnittseinkommens arbeiten. Doch auch hier steckt der Teufel im Detail. So kann sich auch eine CDU-SPD-Regierung mit einem Mindestlohn von circa 6 Euro pro Stunde mittlerweile vielleicht anfreunden. Kurbelt doch auch ein Mindestlohn »die Wirtschaft« an, und ist er bei den gegenwärtigen Profiten der Wirtschaft durchaus machbar, gleichzeitig entlastet er die Kassen der Erwerbslosenversicherung. Auch der DGB hat auf seinem letzten Kongress nach langer Diskussion eine Mindestlohnforderung von 7,50 Euro verabschiedet.
Dennoch stellt sich die Frage, wie ein solcher Mindestlohn umgesetzt wird. Soll in jeder Branche ein eigener Mindestlohn gelten oder soll wirklich ein gesellschaftlicher Mindestlohn für alle Branchen festgelegt werden? Was passiert dann zum Beispiel mit Ein-Euro-»Jobs« und staatlichen Beschäftigungsmaßnahmen? Soll hier ein Lohn unter dem Mindestlohn gelten? Soll es ein Abstandsgebot, das heißt eine Differenz, zwischen Mindestlohn und »Hartz IV« geben oder nicht?

Bei der staatlichen Duldung, gar Beförderung einer radikalen Arbeitszeitverkürzung ist die Zeitperspektive sicherlich eine andere. Durchgesetzt werden muss diese weitgehend in den Betreben, durch Streiks und Tarifverhandlungen. Allerdings ist denkbar, dass auch von staatlicher Seite ein Begleitgesetz verabschiedet wird, welches die wöchentliche Arbeitszeit regelt und die alte Arbeitszeitordnung verändert, die einer Arbeitszeitverkürzung im Wege steht. Allerdings scheint das Wort »Arbeitszeitverkürzung« im Moment trotz hoher Produktivität und gleichzeitiger Rekordarbeitslosigkeit, die ja geradezu nach einer Verkürzung der Arbeitszeit schreien, die Vorstellungskraft aller Beteiligten zu sprengen.
Interessanterweise sind es gerade die Arbeitskämpfe der Ärzte, einer bisher eher privilegierten Gruppe, die das Thema weiter auf die Tagesordnung setzen, während es innerhalb der Gewerkschaften eher vorsichtig angefasst wird.
Allein schon die Verankerung in den Köpfen der Arbeitenden wird noch eine erhebliche Zeit brauchen, da die Kräfteverhältnisse zur Zeit andere sind als bei der letzten großen Kampagne einiger Gewerkschaften, so der IG Metall und der IG Druck und Papier, in den Achtziger Jahren. Damals war dies eine gesellschaftlich relevante, Auseinandersetzung, die dann im Kompromiss mündete, die 35-Stunden-Woche in mehreren Schritten mit Ausnahmen einzuführen. Die Argumente, die einem/r auch von Beschäftigten entgegenschlagen, dass sie sich eine Arbeitszeitverkürzung nicht leisten können, können wohl dadurch entkräftet werden, dass diese Forderung mit derjenigen nach dem Grundeinkommen kombiniert werden muss.

Komplizierter noch ist die Lage beim »Bedingungslosen Grundeinkommen«. Diese Forderung leitet sich ab von langjährigen Auseinandersetzungen der Erwerbsloseninitiativen mit dem Arbeitsamt und heutzutage den JobCentern und dem Postulat eines »garantierten Einkommens« bzw. »Existenzgeldes«. Spricht sich aber ein Lager, auch bei der PDS und WASG, für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, auch als Bestandteil der Trias, so sind die »Realos« eher für eine »Soziale Grundsicherung« zu haben, die den BezieherInnenkreis begrenzt, eine kleine Erhöhung des Regelsatzes, also der allen zustehenden Grundzahlung, von bisher 345 Euro auf 420 Euro fordert und eine Bedürftigkeitsprüfung vornehmen möchte. Im Klartext ist das eine etwas weniger repressive Auszahlung von »Hartz IV«.
Das bedingungslose Grundeinkommen hingegen soll repressionsfrei, individuell, ohne Bedürftigkeitsprüfung und Arbeitszwang und ausreichend sein. Es soll allen Menschen zugute kommen, unabhängig von ihrem jeweiligen Aufenthaltsstatus sowie der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und unabhängig davon, mit wem sie zusammen leben.

Der Ursprung der Forderungen u. A. aus unterschiedlichen Erwerbslosen- und Anti -Hartz -Initiativen und den Montagsdemonstrationen sollte hierbei nicht vergessen werden: So muss diese Trias in den täglichen Auseinandersetzungen im Bereich der Erwerbslosen davon getragen werden, dass allen denjenigen, denen aus ihrer sozialen Lage heraus die minimalen Leistungen nach dem »SGB II« zustehen, diese auch ohne Diskriminierungen und »ohne Wenn und Aber« ausgezahlt werden müssen. Des Weiteren sollten Arbeitsangebote an Erwerbslose freiwillig sein und einen Mindestlohn von 8 Euro nicht unterschreiten.
Dies klingt scheinbar banal, ist es aber aufgrund der Praxis der JobCenter quer durch die Republik keinesfalls. Denn vielen wird selbst das Minimum, das »Hartz IV« bietet, von Anfang an oder spätestens durch die neuen Verschärfungen, die seit dem 1. August gelten, verweigert.

Die Perspektiven der Auseinandersetzungen

All diese Punkte besitzen den Charakter von Übergangsforderungen auf dem Weg in eine fortschrittlichere Gesellschaft. Sie können verschiedene betriebliche und außerbetriebliche Kämpfe in den nächsten Jahren miteinander verbinden. Sie können auch nur in der Verbindung ihre Wirkung und ihren Charme erzielen. Obwohl unterschiedliche Kämpfe sicherlich unter unterschiedlichen Schwerpunkten ablaufen werden, wäre es fatal, aus der »Trias« eine Forderung heraus zu splitten und diese zum Schwerpunkt der Auseinandersetzungen zu machen.
Es reicht auch nicht aus, diese Eckpunkte politischen Handelns in Parteizentralen, Gewerkschafts- und Theoriezirkeln zu diskutieren, sondern diese müssen in den Betrieben, auf der Straße, in den JobCentern vertreten und erkämpft werden und Bestandteil zum Beispiel von Tarifrunden, aber auch anderer Auseinandersetzungen werden. Es muss darüber hinaus eine breite gesellschaftliche Diskussion und Verankerung stattfinden. Nur dann haben sie eine Chance auf Durchsetzung. Eine Möglichkeit hierfür sind die Demonstrationen des DGB und seiner Einzelgewerkschaften und von sozialen Bündnissen am 21. Oktober 2006.

Waren es im Juni noch verschiedene soziale Bewegungen und Initiativen, die dazu aufriefen, ist es am 21. Oktober die Gewerkschaftsbewegung, die den Aufschlag macht. Verschiedene soziale Verbände und soziale Bewegungen wollen sich an den dezentralen Demonstrationen beteiligen. Die Vorbereitungen laufen schon jetzt an. Sinnvoll ist eine Mobilisierung für den Herbst aber nur dann, wenn dies nicht als ein einmaliges »Abfeiern einer Demonstration«, sondern als eine Zwischenetappe in sozialen Kämpfen begriffen wird, die tagtäglich zu führen sind.

Hinrich Garms

Der Autor ist seit längerer Zeit in verschiedenen sozialen Bündnissen aktiv, so u.A. in der Berliner Kampagne gegen Hartz IV und dem SAB (Soziales AktionsBündnis), außerdem im Vorstand der BAG-SHI (Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfe-Initiativen)