Kanonenbootpolitik im 21.Jahrhundert   

Wenn Großmächte zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen und politischen Interessen im 19.Jahrhundert Kriegsschiffe vor fremden Küsten auffahren ließen, nannte man dies Kanonenbootpolitik. Wenn im 21.Jahrhundert die EU, angetrieben von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, Truppen in den Kongo schickt, nennt man dies Friedenspolitik.

Es war nicht einfach, den Kongo-Einsatz in Deutschland durchzudrücken. Bataillone von »Experten« meldeten sich zu Wort: Die Bundeswehr sei nicht auf Afrika-Einsätze vorbereitet, man dürfe sie nicht überfordern, und der Bundeswehrsoldat sei nicht dafür ausgebildet. Tendenz dieser Kritik: Die Bundeswehr brauche noch mehr Geld.
Selbst in führenden Tageszeitungen wurde unterschlagen, dass der erste große Auslandseinsatz der Bundeswehr eben in Afrika durchgeführt (mit über 1.700 Soldaten in Somalia 1993/4) und dass die Bundeswehr konsequent auch auf solche Einsätze ausgerichtet wurde. Wehrminister Jung warb dann auch um Zustimmung, in dem bar jeder Grundlage behauptete: »Es geht auch um zentrale Sicherheitsinteressen unseres Landes! Wenn wir nicht dazu beitragen, den Unruheherd Kongo zu befrieden, werden wir mit einem großen Flüchtlingsproblem in ganz Europa zu tun bekommen.« Weder sind Flüchtlinge ein Sicherheitsproblem noch ist mit einem »Ansturm« zu rechnen. Millionen Kongolesen sind innerhalb der Demokratischen Republik Kongo oder in die Nachbarländer geflüchtet. Nur die allerwenigsten könnten Tausende von Kilometer Distanz bis zur Festung Europa überwinden.

Offiziell sollen rund 2.000 EU-Soldaten (EUFOR), darunter 780 deutsche, die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der DR Kongo absichern und die bestehende UN-Mission MONUC, die mit rund 17 000 Soldaten ein Waffen­embargo im Auftrag der Vereinten Nationen überwachen und kongolesische Milizen demobilisieren und entwaffnen soll, unterstützen. Das EUFOR-Mandat erstreckt sich auf das gesamte Gebiet der DR Kongo und ist auf vier Monate begrenzt (beginnend mit der ersten Runde der Präsidentschaftswahl). Ihr offizieller Auftrag: Abschreckung.
Wenn die Abschreckung nicht funktioniert, sollen im Rahmen »begrenzter Operationen Einzelne aus Gefahrenlagen« (Wahlbeobachter) herausgeholt werden.

Es ist offensichtlich, dass die EUFOR in einem Land, das 6,6 mal so groß ist wie die BRD, durch jahrzehntelange Diktatur und Krieg gebeutelt, mit 2.000 Soldaten militärisch lediglich Flagge zeigt. Aber genau dies ist das zentrale
Motiv des vergleichsweise kleinen Einsatzes: gegenüber China und den USA, die Afrika als Rohstoffkontinent »entdeckt« haben, zu demonstrieren, dass die EU auch in Afrika mit militärischen Mitteln interveniert, um Claims abzustecken. Ohne auf Nato-Strukturen zurückzugreifen, ist es der erste Einsatz, der von der EU eigenständig geplant und umgesetzt wird.

Kongo ist reich an Rohstoffen: Gold, Diamanten, Kupfererz, Kobalt, Zink, Coltan, Holz. Offensichtlich scheint eine naturgegebene Verpflichtung zu bestehen, diese Rohstoffe auszubeuten. Der CDU-Außenpolitiker von Klaeden in seiner Rede vor dem Bundestag: »Wir haben aber auch ein Interesse daran – es gehört auch zur Ehrlichkeit, das zu sagen –, dass die Rohstoffe nach einem fairen Verfahren so abgebaut werden, dass sie auch von Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden können. Gerade wir, die wir in einem rohstoffarmen Land leben, das Exportweltmeister ist, haben ... ein enormes Interesse.« Der deutsche Afrika-Verein, Wirtschaftsverband deutscher Unternehmen und Institutionen, stellt fest: »Wir müssen da jetzt hin. Da kann man in großem Stil Geld machen.« Nicht naturgegeben hingegen scheint zu sein, dass die Menschen vor Ort entscheiden, ob überhaupt und durch wen Rohstoffe abgebaut werden.

Und deshalb passt es zum Kongoeinsatz der Bundeswehr, dass die Soldaten des Vorauskommandos aus einer Lettow-Vorbeck-Kaserne in Leer kommen, die in blutiger deutscher Kolonialtradition steht. Der Kasernenpatron war als Kommandant an der Niederschlagung des Herero- und Namaaufstandes gegen die deutsche Kolonialherrschaft in der afrikanischen Kolonie Deutsch-Südwest 1904 beteiligt.
»Der Kongo-Einsatz dauert vier Monate. Das kann ich eindeutig versprechen.« Es wäre nicht der erste Versprecher eines Ministers. Sowohl die finnische EU-Ratspräsidentschaft als auch der EU-Sonderbeauftragte für die Region Aldo Ajello rechnen mit Zwischenfällen vor und nach dem zweiten Wahlgang voraussichtlich Mitte Oktober und schließen sowohl die Verlängerung als auch die Ausweitung des Einsatzes nicht aus. Wie auch, denn wenn die Abschreckung nicht funktioniert, bleibt die Wahl zwischen Abzug oder Krieg. Es klingelt schon jetzt in den Ohren, wie Jung und andere dann argumentieren werden: Bei Abzug drohe Europa enormer Gesichts- und Bedeutungsverlust, man könne doch vor Warlords und Kindersoldaten nicht in die Knie gehen. Zur Einsatzausweitung gebe es keine Alternative...

Ralf Siemens,
Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär
www.kampagne.de