Szenen aus dem Grenzgebiet

 

Leben in Palästina – Wege der Verständigung

Susanne absolvierte von Januar 2006 bis Ende Juni 2006 einen Europäischen Freiwilligendienst in Hebron, Palästina. Sie arbeitete für die wohltätige Nichtregierungsorganisation Al Mahawer im Bereich Fundraising und gab Sprachunterricht (Englisch). Als sie Anfang Januar in Tel-Aviv landet, hat sie zunächst eine Woche Aufenthalt in Jerusalem, um dann nach Hebron zu ihrer Gastfamilie zu reisen. Während ihres Aufenthalts wird sie immer wieder aus Hebron/Westbank nach Jerusalem evakuiert, z.B. anlässlich des Karrikaturstreits oder der Auseinandersetzungen zwischen Hamas (regierende Partei seit Januar 2006) und Fatah (Partei hinter Mahmud Abbas, Regierungschef Palästinas).

Du warst das erste Mal in Jerusalem. Was waren für Dich die prägendsten Eindrücke, die die geteilte Stadt (1) bei Dir hinterlassen hat?
Es herrscht eine extreme Präsenz des Militärs in der ganzen Stadt. Nicht nur Soldaten, sondern auch unzählige Zivilpersonen, vor allem junge Erwachsene, tragen Maschinengewehre oder ähnliche Waffen ständig bei sich. Und das jeden Tag, auch abends, wenn sie ausgehen. Der überhöhte Wunsch nach Sicherheit drückt sich darin genauso aus, wie in den zahlreichen Sicherheitswachtürmen auf den (besetzten) Häusern.
Besonders die Alltäglichkeit und ständige Präsenz der Waffen hat mich anfangs irritiert.

Bist Du mit israelischen Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch gekommen?
Wir haben ein Kibbuz besucht, das bereits vor 1948 von jüdischen Einwanderern aus Südamerika gegründet wurde. Die Einstellung der Menschen dort war eher pro-palästinensisch, dennoch war auch hier das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz durch Waffen zu spüren. Selbst in diesem Kibbuz hingen an den Wänden des Kindergartens Bilder von israelischen Soldatinnen und Soldaten.
Trotz all dieser Irritationen bedeutete Israel für mich auch immer ein Stück »Heimat«. Nicht umsonst wird Israel »das kleine Amerika« genannt. Das Leben entspricht eher dem westlichen Kulturkreis, ich konnte mich (gerade) als Frau viel freier und ungezwungener bewegen.

War das in Palästina so nicht möglich?
Nein, vor allem in Hebron. Dort musst Du Dich als Frau in lange Kleidung hüllen oder kannst z. B. fremde Männer nicht einfach so anlächeln. Überhaupt war es ein ziemlicher »Kulturschock« für mich als ich nach Hebron kam. Es gibt keine konkreten Gründe dafür, das Lebensgefühl ist einfach ein anderes. Das Straßenbild ist anders und natürlich fallen die religiösen und kulturellen Unterschiede auf. Im Nachhinein relativiert sich das für mich, da ich mich doch relativ schnell eingelebt habe. Je länger ich mit meiner Gastfamilie zusammenlebte, die mich im Übrigen trotz der sprachlichen Barriere sofort sehr herzlich aufgenommen hat, desto mehr wurde mir klar, dass alle Menschen sind »wie Du und ich«. Sie sind genauso auf der Suche nach Liebe, haben die gleichen Sorgen um ihre Kinder und ihre Familie und wünschen sich nichts mehr als ein Leben in Frieden. (2)

Wie realistisch schätzt Du die Chancen für einen ernstzunehmenden Dialog, auch auf ziviler Ebene, ein?
Von der palästinensischen Seite aus kann ich mir nur schwer ein Zugehen auf Israel vorstellen. Es ist klar, dass auf beiden Seiten viele Opfer zu beklagen sind, israelische Bürgerinnen und Bürger leben in der ständigen Angst vor Selbstmordattentaten. Die Auswirkungen der Okkupation betreffen vor allem die palästinensische Bevölkerung. Sie ist jeden Tag in vollem Maße existent.

Inwiefern ist die Okkupation erlebbar?
Viele der Kinder in den Grenzgebieten können nur unter erschwerten Bedingungen zur Schule gehen, weil sie an israelischen Checkpoints aufgehalten werden oder von Siedlern mit Steinen oder Schlimmerem beschossen werden. Die Menschen erfahren fast täglich Erniedrigungen durch israelische SoldatInnen. Bei Passkontrollen an den Checkpoints müssen Menschen jeden Alters, unter Umständen mit dem Gesicht zur Wand stehend auf die Rückgabe ihres Passes warten. Die Wartedauer hängt stark von der persönlichen Stimmungslage der SoldatInnen ab. Manchmal werden die Wartenden angeschrieen, oft in Hebräisch. Als internationale Besucherin hast Du kaum eine Chance, etwas daran zu ändern. Greifst Du ein, trifft es die Nächsten möglicherweise umso härter. Die einzige Möglichkeit, die bleibt, ist davon zu erzählen.(3)

Das Interview führte AnG

Rotdorn-RadioAktiv
Sendung vom 3. 7. 2006: »Der israelisch-palästinesische Konflikt« mit der alternativen Friedensnobelpreisträgerin Felicia Langer.

(1) Jerusalem ist in Ost- und Westjerusalem geteilt. Im Osten der Stadt lebt vor allem, palästinensische Bevölkerung, der Westen wird von israelischen BürgerInnen bewohnt. Die beiden wichtigen arabischen Kultstätten, die Al Aqsa Moschee und der Felsendom befinden sich in der Altstadt. Auf Grund des restriktiven Passsystems, das für die palästinensische Bevölkerung der Westbank besteht, ist es für viele unmöglich, die heiligen Stätten zu besuchen. Denn Jerusalem wird durch die Mauer von der Westbank abgeschnitten.
(2) Die palästinensische Journalistin Laila M. El-Haddad schreibt in der israelischen Online-Zeitung ynetnews.com einen kontrovers diskutierten Artikel über das „Highest security open-air prison on earth“. („Auf dieser Erde das Höchstsicherheitsgefängnis unter freiem Himmel“) Sie kommentiert unter anderem eine Befragung, nach der sich über 65 Prozent der PalästineserInnen für die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen mit Israel aussprechen.
www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3281289,00.html; am 01.08.2006
(3) Kurz bevor Susanne Palästina verlässt, beginnen israelische SoldatInnenen mit dem Beschuss des Gazastreifens. Bis Ende Juni 2006 haben bereits 55 PalästinenserInnen, darunter ein großer Teil Zivilisten, ihr Leben verloren, mehr als 150 wurden verletzt.
www.marxist.com/gaza-wendepunkt-israels-geschichte.htm am 02.08.2006 Artikel von Vossi