Militarismus: Wehrpflicht wird verschärft

Stillgestanden!

Es war nicht anders zu erwarten, die große Koalition hält an der Wehrpflicht fest. Da aus den Reihen der Wehrpflichtigen kein organisierter Protest, geschweige denn Widerstand kommt, wird uns die Wehrpflicht nicht nur erhalten bleiben, sondern auch verschärft werden.

Als erster Wehrminister ist Jung von der bisherigen regierungsamtlichen Sprachregelung abgewichen, die Wehrgerechtigkeit sei gegeben. »Unter dem Aspekt der Wehrgerechtigkeit« sei es, so Jung, »grenzwertig«, wenn gegenwärtig nur etwa jeder Zweite Wehr- oder Zivildienst leiste. Die Konsequenz: Er will mehr zum Wehrdienst einberufen.

Apropos nur »jeder Zweite«? Alles nur eine Frage der Betrachtung. Im Jahr 2005 haben etwa 157.000 Wehrpflichtige Wehr- oder Zivildienst angetreten. Das ist nur jeder Dritte, wenn die Ausgangsgröße die Jahrgängsstärke ist, und nicht das, was nach Filterung durch Nicht- und Ausmusterung zum Dienen übrig bleibt. Und diese Filter sind überaus wirkungsvoll.

Da für Bundesregierung und Gerichtsbarkeit »Wehrgerechtigkeit« hergestellt ist, wenn der überwiegende Anteil der Dienstfähigen zum Dienst herangezogen wird, werden Hunderttausende ausgemustert oder erst gar nicht zur Musterung geladen. Übrig bleibt ein Rest, der noch ca. 50 Prozent der eigentlichen Jahrgangsstärke darstellt. Die so künstlich verkleinerte Anzahl der Einberufbaren trifft es dann umso härter: Denn Zivildienst sollen jedes Jahr um die 90.000 leisten, Wehrdienst nach den von Jung in Frage gestellten Einberufungsplanungen 56.400 ab 2007 (68.428 im vergangenen Jahr). Insbesondere zum Zivildienst wird einberufen, was zwei Beine und zwei Arme hat, aus dem Studium, aus einem befristeten Arbeitsverhältnis usw. kommt, weil nicht mehr »genügend« Zivildienstpflichtige zur Verfügung stehen.

Die Kreiswehrersatzämter hingegen sind bis 2005 großzügig verfahren, da sie aus dem Vollen schöpfen konnten. Nicht einberufene Wehrpflichtige der vergangenen Jahre standen als Überhang zur Verfügung. Aber auch hier hat sich der Einberufungsdruck auf tauglich Gemusterte bereits deutlich erhöht, da schlicht nicht mehr soviel Einberufbare in der Datenbank schlummern.

Minister Jung will jährlich 25.000 bis 35.000 Wehrpflichtige mehr als gegenwärtig zur Bundeswehr einberufen. Er zielt damit auf das Bundesverfassungsgericht, welches gegenwärtig prüft, ob die Wehrpflicht vor dem Hintergrund der Wehrungerechtigkeit noch verfassungsgemäß ist. Aber er verfolgt auch ein wichtiges politisches Ziel der konservativen Elite: Der Aufbau einer »Heimatschutztruppe« innerhalb der Bundeswehr mit 25 000 zusätzlichen Dienstposten, darunter 20 000 für Wehrpflichtige. Wohl mehr als nur ein Zufall: Um diese Wehrpflichtigen-Dienstposten zu besetzen, müssten etwa 30 000 Einberufungen vorgenommen werden. Dazu soll der Rüstungshaushalt deutlich aufgestockt werden.

Diese »Heimatschutztruppe« ist der letzte Bestandteil der militaristischen Roadmap auf dem Weg zum uneingeschränkten Einsatz der Bundeswehr, nicht nur international, sondern auch im Innern. Nicht, damit sie noch schneller tote Vögel einsammeln kann. Nicht, um den internationalen Terrorismus auch hierzulande sinn- und planlos zu bekämpfen, sondern um das Militär selbstverständlich bei Castor-Transporten und anderen Großdemonstrationen und –ereignissen aufmarschieren zu lassen.

■ Ralf Siemens