Leitartikel: Die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland

Die Welt zu Gast bei Freunden

Das Sportjahr 2006 hat bereits einen Höhepunkt hinter sich: Die Olympischen Winterspiele. Nun folgt die WM2006, man könnte meinen, das sportliche Ereignis dieses Jahrzehnts, zumindest für Deutschland. Meint man allerdings nicht lange, denn bei genauerem Hinsehen stellt man fest, es handelt sich lediglich um das deutsche Medienereignis der FIFA. »Die Welt zu Gast bei Freunden« - Wir feiern eine Party, das Feuerwerk wird laut und teuer.

Das Los mit den Tickets

Der Traum eines jeden Fans schien in greifbarer Nähe: Die Mannschaft zur WM live im Stadion erleben, sie anfeuern, den Sieg feiern. Doch so einfach ist das dann wohl doch nicht.
Ich kenne niemanden, der eine Eintrittskarte besitzt, doch woran liegt das? An einem Losverfahren, das bisweilen noch niemand so recht verstanden hat und an Preisen, die einen doch an der eigenen Sehkraft zweifeln lassen! Weiterhin darf sowieso nur jemand Tickets »bestellen«, der volljährig ist (Jugendliche Fußballfans soll es durchaus geben!). Was ja nicht so schlimm wäre, wenn man pro Haushalt nicht nur eine begrenzte Anzahl Tickets »bestellen« könnte, da nur ein Drittel der vorhandenen Eintrittskarten an die Fans »verlost« werden. Die restlichen zwei Drittel gehen zu gleichen Teilen an die Sponsoren und an sogenannte »Ehrengäste« aus Politik und Wirtschaft. Die ganze Familie kann so jedenfalls nicht ins Stadion, für sie findet die Weltmeisterschaft an der heimischen Glotze statt.

Sollte man dann doch - mit ganz viel Glück und natürlich durch puren Zufall - an Tickets gelangt sei, geht die Schikane gleich weiter. Zur »Personalisierung« des erstandenen Tickets werden nahezu alle persönlichen Daten (Name, Anschrift, Alter, Pass-/Personalausweisnummer, Telefon-/Faxnummer, E-Mail Adresse, Bankverbindung oder Kreditkartennummer etc.) benötigt. Skandalös ist der Umgang mit den so ermittelten Daten. Diese werden den Sponsoren für Werbe- und Marktforschungszwecke zur Verfügung gestellt. Widerspruch (fast) zwecklos, denn der muss ausdrücklich auf dem Postweg erfolgen.

Die WM setzt neue Standards

Großereignisse, wie die WM, lassen die Industrie frohlocken. Im Zuge der allgemeinen Euphorie lässt sich allerhand »Neues« an die Frau / den Mann bringen. Mit der Aussicht, dass man »die Schrift auf dem Ball erkennen kann«, werden schon seit Monaten überteuerte und technisch unausgereifte HDTV-Fernseher unter das Volk gebracht.

Schlimmer jedoch, als unsinnige Konsumprodukte, ist die erstmals mit der WM großflächig eingesetzte RFID-Technik (Radio Frequency Identification-Label). Die Technik gibt es schon seit längerem. Doch aufgund datenschutzrechtlichen Bedenken ist sie bisher noch nicht erwähnenswert eingesetzt worden. Erst durch die allgegenwärtige »Terrorgefahr« (Die neuen Reisepässe sind damit ausgestattet) und die WM 2006 hat die Industrie einen Fuß in die Tür bekommen: Der RFID-Chip in der Eintrittskarte sendet ein beständiges Signal aus, das mithilfe eines Transponders innerhalb eines Umkreis von meheren Metern eingelesen werden kann. RFID-Chips können billig und in Massen produziert werden. Das Einsatzgebiet umfasst allerdings mehr als »sichere« Tickets oder Reisepässe.

Grundproblem der RFID-Technik ist, dass die enthaltenen Daten mit relativ simpler und frei verfügbarer Technik ausgelesen werden können. Die Vision des »gläsernen Menschen« rückt also mehr und mehr in Richtung Realität.

Die WM als Einschränkung persönlicher Freiheit

Die Regierung sieht in der Fußballweltmeisterschaft eine gute Möglichkeit, in ihren Augen notwendige Gesetzes- und Verfassungsänderungen zu schaffen. Da gibt es das Schengener Abkommen, welches die genauere Überwachung der EU-Außengrenzen regelt und somit die Einreise in die EU erschwert, jedoch gleichzeitig die Grenzkontrollen innerhalb der EU abschafft. Doch genau letzterer Punkt wird die Europäische Union zur WM einfach aussetzen. Bei Bedarf können während der WM jederzeit Kontrollen an allen deutschen Grenzen durchgeführt werden.

Weiterhin werden öffentliche Plätze, auf denen eine Leinwandübertragung einiger Spiele der WM stattfindet, großräumig mit einer Vielzahl von Videokameras überwacht werden. Sogar eine Verfassungsänderung hatte Innenminister Schäuble im Blick. So wollte er durchsetzen, dass die Bundeswehr auch zur WM im Innern agieren soll und darf. Doch glücklicherweise wurde wenigstens dem etwas entgegengesetzt, da die SPD diese Verfassungsänderung nicht mittragen will.

Die WM gibt einen großen Spielraum für politische Entscheidungen. Es soll die Bevölkerung an sicherheitspolitische, überwachungsstaat-ähnliche Maßnahmen gewöhnt werden. Diese können dann jederzeit aus jedem Anlass wiederholt werden. Das G8-Treffen in Deutschland im nächsten Jahr wäre z.B. die passende Gelegenheit.

Das Sponsorengerangel

Die Fans sehen sich schon seit längerer Zeit mit der Kommerzialisierung ihres Sports konfrontiert. Alte Stadien verschwinden mitsamt ihrer Namen. An deren Stelle werden dann Mehrzweckarenen errichtet, natürlich benannt nach dem Hauptsponsor. Der Markennamen-Wahnwitz findet seinen Höhepunkt zur WM. Man wird z. B. keine Geldautomaten in der direkten Umgebung der austragenden Spielorte finden, auf denen der Name der Bank steht, da dies einem amerikanischen Großsponsor, der im Kreditgeschäft tätig ist, nicht passt. Des weiteren hat sich die FIFA etliche Marken mit den Bestandteilen »WM 2006« als deutsche Marke und als Gemeinschaftsmarke schützen lassen. So werden die Sammler der berühmten Fußballbildchen eines großen Schokoriegelproduzenten bei dieser WM wohl leer ausgehen. Der Rechtsstreit mit der FIFA dauert an: Markenämter und Gerichte widersprechen sich und ein Ende scheint nicht in Sicht.
Nein, hier geht es schon lange nicht mehr um Fußball, hier geht es nur noch um Geld.

Wirtschaftsboom dank WM

»Mit der WM werden doch Arbeitsplätze und Einnahmequellen geschaffen, die vorher nicht existierten«, wird argumentiert. Dabei wird gekonnt ignoriert, dass die WM auch irgendwann zuende ist und damit auch viele »neue« Arbeitsplätze und Einnahmequellen ein Ende haben werden. Ein Ende sollen auch die vielen Baustellen pünktlich zur Fußballweltmeisterschaft haben. Von allen Seiten wird versprochen, dass der Baustellenwald in Berlin zur WM beseitigt sein wird. Bei der Anzahl dieser Baustellen ist das jedoch sehr fragwürdig. Einige Beispiele: über 20 neue oder erneuerte Bahnhofsgebäude und Bahnlinien (die wichtigste für die WM ist wohl die S-Bahnlinie zum Olympiastadion) sollen pünktlich fertiggestellt sein. Außerdem soll der Flughafen Tegel bis dahin mit einer Seuchenstation ausgerüstet werden, die zum Beispiel der Verbreitung der Vogelgrippe vorbeugen soll.

Statt »Sport frei«, wird »Brot und Spiele« das Motto der WM sein. Vermarktung und Überwachung sind kapitalistische Auswüchse des Sports.

■ MaG & sk