Geschichte: Die Rolle der Wissenschaft im 3. Reich

Zwischen Anpassung und Widerstand

Der Physiker Wernher von Braun entwickelte und baute die »Vergeltungswaffe V2« für die Wehrmacht. In der Heeresversuchsanstalt Peenemünde setzte er auch KZ-Häftlinge zum Bau dieser widerwärtigen Waffe ein.
Der Kernphysiker Otto Hahn forschte an der Kernspaltung. Als er 1944 den Nobelpreis erhielt, verleugnete er, dass den Großteil der Arbeit die jüdische Wissenschaftlerin Lise Meitner leistete.

Zwei Beispiele für Wissenschaftler, die aktiv für die Interessen des Naziregimes forschten.
Die Entscheidung »Anpassung oder Widerstand« fiel bei den meisten deutschen Wissenschaftlern auf Ersteres, nur wenige Wissenschafter gingen in Opposition zum Regime.
Die Nazis gaben sich währenddessen als Förderer der Wissenschaft aus, ihre soganannte »Rassenlehre« stand dabei im Mittelpunkt. Doch sie verfolgten erbarmungslos Wissenschaftler, die politisch nicht genehm waren, deren Wissenschaft nicht mit ihren Theorien übereinstimmte oder die nach den antisemitischen Rassegesetzen keine Arier waren. So gingen viele ins Ausland. Wem nicht rechtzeitig die Flucht gelang, dem drohten in Deutschland Repressalien, Deportation und Tod.

Auf diesem Wege vernichteten die Nazis einen Großteil des wissenschaftlichen Potentials der Welt. Vor 1933 galten Berlin, Bonn, Breslau (Wrocław) und vor allem Königsberg (Kaliningrad) als Zentren der mathematischen Forschung. Sehr schnell wurde nur noch entwickelt, was sich militärisch verwenden ließ. Und so verlor Deutschland in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts diese wissenschaftliche Spitzenpositon.
Ein paar Beispiele für verfolgte Wissenschaftler:

* Der wahrscheinlich bekannteste verfolgte Wissenschaftler war Albert Einstein. Schon während des ersten Weltkrieges kämpfte er für einen gerechten Frieden. Später engagierte er sich in der Deutschen Liga für Menschenrechte. Er arbeitete auch mit der Roten Hilfe zusammen die sich für linke Häftlinge einsetzte. Schon vor 1933 arbeitete er viel im Ausland. Wegen der Machtergreifung der Nazis kehrte er nicht mehr nach Berlin zurück. Auch wenn er 1938 mit seinem Brief an Roosevelt den Anstoß für das Manhattan Projekt gab, beteiligte er sich nie am Bau der Atombombe.

* Lise Meitner wurde 1933 die Lehrbefugnis aufgrund ihrer jüdischen Abstammung entzogen. 1938 floh sie über Holland und Dänemark nach Schweden. Bis 1946 arbeitete sie am Nobel Institut in Stockholm. Obwohl sie als »Mutter der Atombombe« gefeiert wurde, lehnte sie jeden Forschungsauftrag zur Entwicklung von Atomwaffen ab. Als Pazifistin setzte sie sich bis zu ihrem Tod 1968 für eine ausschließlich friedliche Nutzung der Kernkraft ein.

* Die Geschwister Emmy und Fritz Noether gehörten zu den bedeutendsten Mathematikern des frühen 20. Jahrhunderts.
Emmy Noether setzte sich gegen den ersten Weltkrieg ein und engagierte sich auch politsch in der Weimarer Republik. Im April 1933 wurde die Jüdin, Sozialistin und Pazifistin Emmy Noether aufgrund des Nazi-Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums beurlaubt; im September entzog man ihr die Lehrbefugnis, im Oktober emigrierte sie in die USA, wo sie 1935 starb.
Ihr Bruder Fritz Noether emi­grierte 1934 in die Sowjetunion, nachdem er aus rassistischen Gründen in den Ruhestand versetzt worden war.

* Der jüdische Mathematiker Felix Hausdorff gilt als einer der Vorreiter der modernen Analysis und leistete wissenschaftliche Arbeit zur Theorie der geordneten Mengen. Anfang der zwanziger Jahre war er Mitglied der USPD. Unter dem Namen Paul Mongré voröffentlichte er literarische und philosophische Werke. »Das Chaos in kosmischer Auslese« beinhaltet eine kritische Auseinandersetzung mit Nietzsches Idee der ewigen Wiederkunft. Da Hausdorff schon vor 1914 deutscher Beamter war, wurde er erst 1935 entlassen. Um der Deportation in die Vernichtungslager zu entgehen, wählte er am 26. Januar 1942 gemeinsam mit seiner Familie den Weg in den Freitod.

* Kurt Gödel war Teilnehmer am Hilbertprogramm zum Nachweis der Widerspruchsfreiheit der axiomatischen Systeme. 1931 zeigte er durch den Beweis des Unvollständigkeitssatzes, dass es keine Widerspruchsfreiheit geben kann. Nachdem Österreich 1938 Teil des Deutschen Reiches wurde, entzog man ihm die Lehrbefugnis »bis auf weiteres«. Er floh über die Sowjet­union in die USA, wo er gemeinsam mit Albert Einstein seine Arbeit fortsetzen konnte.

Die meisten dieser Namen sind nicht so bekannt, wie die derjenigen, die sich dem System anpassten. Der wichtigste Grund dafür ist, dass sie ihre Arbeit nach 1933 nicht fortsetzen konnten und es ihnen so verwehrt blieb, als große Wissenschaftler in die Geschichte einzugehen. Statt Ruhm und Anerkennung in der Wissenschaft erwartete diese Forscher Tod und Verfolgung in den Vernichtungslagern der Nazis. Widerstand war in der Wissenschaft genau so wichtig, wie in allen anderen Bereichen der Gesellchaft.

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