Bildung: Neoliberale Bildungspolitik Europas

 

Humankapital marktgerecht

Auf dem EU-Gipfel im März 2000 vereinbarten die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten mit der so genannten Lissabon-Strategie das Ziel, Europa bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen. Seitdem wird Bildung in der Politik der Europäischen Union immer wichtiger. Die Interessen der Lernenden und Lehrenden spielen dabei jedoch kaum eine Rolle.

Vorrangiges Ziel ist es stattdessen, der europäischen Wirtschaftslobby ihren Handel mit Bildungsangeboten zu vereinfachen. Einen wesentlichen Beitrag soll dazu die Bolkesteinrichtlinie leisten. Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, dann fällt auch der Bildungsbereich ganz bewusst unter den Geltungsbereich der Richtlinie. Die BetreiberInnen von Hochschulen oder Weiterbildungsinstituten könnten ihre Bildungsangebote dann nach den Qualitätskriterien ihres Sitzlandes europaweit vermarkten. Bildung würde somit noch stärker zu einer Dienstleistung und der Weg zur enthemmten Privatisierung der europäischen Bildungssysteme wäre noch weiter geöffnet.

Neben dieser Politik der Deregulierung nimmt die EU-Kommission – wieder im Interesse der Unternehmerseite - auch zunehmend auf die inhaltliche Ausgestaltung der Bildungsangebote Einfluss. Ziel von Bildung in ihrem Verständnis ist die so genannten »employability«. Wer sich fragt, was sich hinter diesem Schlagwort verbirgt, wird in den entsprechenden EU-Dokumenten schnell fündig: Menschen sollen sich möglichst störungsfrei in den aktuell bestehenden Arbeitsmarkt einpassen lassen. Es geht nicht darum, dass sie zu einer gestaltenden und selbstbestimmten – und in diesem Sinne auch zu einer verändernden Rolle – qualifiziert werden.

All das zeigt, dass es der EU-Kommission nicht um eine bessere Bildung und eine Öffnung des Bildungszugangs, sondern um höhere Gewinne und ein besser verwertbares Human­kapital für die europäische Wirt­schaftslobby geht. Ohne den Druck von Schülerinnen, Studierenden, Auszubildenden und der in Bildung und Wissenschaft Beschäftigten wird sich daran nichts ändern. Wir sollten deshalb darauf hinarbeiten, auch in bildungspolitischen Auseinandersetzungen verstärkt eine europäische oder internationale Perspektive einzunehmen. Quer durch alle Bildungsphasen sollten wir gemeinsam für grundlegende Bildungsreformen streiten. Dabei muss es unser Anspruch sein, diese Auseinandersetzungen mit anderen sozialen Kämpfen zu verbinden. Die Proteste gegen Bolkestein waren hierzu ein guter Anfang.

■ Nele Hirsch
Die Autorin, Jahrgang '80, ist Mitglied von ['solid] und bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.