»... sich wehren und Veränderungen fordern!«

 

Im Oktober 2005 besuchte eine Gruppe von ['solid]-Berlin Sahra Wagenknecht in Brüssel. Dabei ergab sich für unser Redaktionsmitglied Benni die Gelegenheit, sie während einer Sitzungspause des Parlaments zu interviewen.

Sahra Wagenknecht, 1969 in Jena geboren, studierte Philosophie und Neuere Deutsche Literatur. Sie ist Abgeordnete der Linkspartei.PDS-Delegation in der GUE/NGL Fraktion (Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke) im Europäischen Parlament und Mitglied des Parteivorstandes der Linkspartei.PDS. Weiterhin engagiert sie sich stark für die bolivarische Revolution in Venezuela und ist Mitbegründerin des Solidaritätsprojektes „Venezuela Avanza“.

Rotdorn: Wie schätzt du deine Arbeit im Europäischen Parlament ein, vor dem Hintergrund der Mehrheitsverhältnisse und dem Machtverlust der Politik gegenüber der Wirtschaft?

Sahra Wagenknecht : Zunächst ist die Arbeit im Europäischen Parlament wirklich eine Erfahrung, wie stark Wirtschaftslobbys Politik beeinflussen, wie präsent sie sind, wie sie an dem Entscheidungsprozess teilnehmen. Das ist das eher weniger Erfreuliche. Umgekehrt habe ich aber auch in der Arbeit im Europäischen Parlament immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wenn es außerparlamentarischen Druck gibt, wenn soziale Organisationen, Gewerkschaften und andere sich wehren gegen bestimmte Projekte und Veränderungen fordern, dass es dann durchaus möglich ist, dafür auch Mehr­heiten zu f inden. Aber dann muss der Druck auch wirklich stark sein.

Rotdorn: Du engagierst dich seit Jahren für Venezuela. Wie kann man Solidarität mit dem venezuelanischen Volk üben?

Sahra Wagenknecht : Ich denke, dass fast das Wichtigste ist, über materielle Solidarität hinaus, die politische Solidarität. Das heißt das Informieren, das Bekanntmachen des Prozesses, der dort abläuft, und der Projekte, die dort stattf inden, weil das was in den Medien vermittelt wird ein Zerrbild von Venezuela ist. Wenn man z.B. selbst hinfährt, es gibt jetzt auch politische Reisen, die organisiert werden, dann kann man sich selbst ein ganz anderes Bild machen. Und ich denke, dass die Verantwortung von Linken in Europa darin besteht, diesen Prozess ganz solidarisch zu begleiten und bekannt zu machen, darüber zu sprechen, was dort wirklich stattf indet, und wie wichtig es ist, dass es weitergemacht werden kann und nicht abgebrochen wird.

Rotdorn: Wann und warum ist der sozialistische Versuch im 20. Jahrhundert ge­scheitert?

Sahra Wagenknecht : Das ist jetzt natürlich eine Frage, die man schlecht mit einem Satz beantworten kann. Ich denke, das hatte verschiedene und viele Ursachen. Beginnend mit der Ausgangslage, die natürlich alles andere als positiv war. Wir waren von Anfang an das schwächere System. Wir wurden auch von Anfang an bekämpft. Das ist der eine Teil. Der andere Teil sind die eigenen Fehler, die wir gemacht haben. Über Zentralisierung, das völlig fehlende Vertrauen in das Engagement der Menschen. Dass man versucht hat, alle Entscheidungen in ganz wenigen Händen zu fokussieren, anstatt die Menschen wirklich teilhaben zu lassen, wirklich Einfluss nehmen zu lassen, wirklich auch debattieren zu lassen, die Probleme. Und das sind auch Bereiche, die man z. B. in Kuba anders gemacht hat. Kuba ist ja auch das einzige Land, was das ganze Desaster überstanden hat. Ich meine, die wirtschaftlichen Probleme, die Kuba hatte, sind weiß Gott viel schwerwiegenderer Art als sie in der DDR waren. Offensichtlich ist es eben so, dass sie ganz anders mit ihren Problemen umgegangen sind und dadurch diesen Rückhalt erhalten haben.

Rotdorn: Wie kann man linke Konzepte den Bürgern näher bringen, insbesondere vor dem Hintergrund der Macht der Massenmedien?

Sahra Wagenknecht : Natürlich muss man alle Gelegenheiten, die man hat, nutzen, in die Medien zu kommen. Das ist das eine. Das andere ist, dass man versuchen muss, alternative Medienformen selber zu entwickeln. Das fängt bei den klassischen Möglichkeiten des Internets an. Dass man eine gut sortierte Website anbietet, dass man Newsletter anbietet. Aber eben auch bis hin zu kleineren Zeitschriften, Flugblättern und ähnlichem, wo man eigene Positionen auch wirklich darstellen kann. Ich denke, alle diese Varianten sind unglaublich wichtig, weil sie auch Möglichkeit bieten, diese Abhängigkeit von den Massenmedien beim transportieren von Inhalten zu überwinden.

Rotdorn: Wie beurteilst du das Zusammengehen von PDS und WASG?

Sahra Wagenknecht : Natürlich auch wieder eine Frage, die man schlecht mit zwei Sätzen beantworten kann. Ich denke, dass es wichtig war, dass wir bei dem Wahlkampf gemeinsam agiert haben. Wir haben schon viele Gemeinsamkeiten im Sozialpolitischen. Wir haben ja am Ende auch ein wirklich gutes Wahlergebnis gemeinsam erreicht. Aber ich denke, dass wir trotzdem keine Fusion übers Knie brechen sollten, sondern dass wir ganz genau gucken müssen, was für eine Partei wir wollen. Ich möchte eine sozialistische, eine antikapitalistische Partei. Ich weiß, dass das Teile der WASG anders sehen. Nicht alle. Es gibt sicherlich auch in der WASG Menschen, die das genauso sehen. Aber von den prägenden Kräften her ist es doch ein anderes Konzept. Ich f inde, da sollte man auch vorsichtig damit umgehen, mit den Differenzen. Nicht übers Knie gebrochen etwas zusammen schmieden, was am Ende nicht zusammen hält oder wo die PDS auch ihr Profil als sozialistische Partei, was ja mehr ist als eine Partei, die für soziale Reformen streitet, wo sie ihr sozialistisches Profil verlieren könnte.