Den Laden auseinander fliegen lassen!

Seit Monaten trommeln die Medien auf uns ein: „Du bist Beathe Uhse, Du bist Porsche, Du bist ..., Du bist ..., Du bist ... Deutschland“. Ein wenig verwundert nimmt man die Botschaft zur Kenntnis, die einem durch die Prominenten vermittelt wird. Was soll das sein? Ein Feldzug für gute Laune? Motivationstraining für deutsche Staatsbürger?

Die Kampagne entstand im Rahmen der Initiative »Partner für Innovation«, einem dubiosen Zusammenschluss aus der Bundesregierung, diversen Unternehmen, dem Präsidenten der Humboldt-Universität, dem DGB und weiteren rund 200 Unternehmen, Verbänden und Institutionen. Die Top-Manager der deutschen Medienunternehmen waren einhellig der Meinung, dass die Medienindustrie einen Beitrag zu einer neuen Aufbruchstimmung in Deutschland zu leisten habe. Und so kam es, dass sich 25 große Medienunternehmen, darunter die gebührenfinanzierten Fernsehsender ARD und ZDF, an der Kampagne beteiligten.

Nun appelliert die geballte bürgerliche Medienmacht an ein diffuses Wir-Gefühl: „Du bist 82 Millionen, Du bist Deutschland“. Die Nation soll als Gemeinschaft herhalten. Vom Tellerwäscher bis zum Millionär: „Du bist Deutschland“. „Egal, welche Position du hast. Du hältst den Laden zusammen. Du bist der Laden. Du bist 82 Millionen“. So wird die Aufgabe des Einzelnen durch die Kampagne volkstümlich formuliert. Und genau darum geht es. ?Es soll ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, das Einsicht in zu erwartende, so-ziale Einschnitte verspricht. Nach dem Motto: „Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen“, sodass die Umverteilung von „unten“ nach „oben“ weitergehen wird. Vaterlandsliebe durch Verzicht und Dienen ist das Programm. Die Botschaft hinter den ausgefeilten und wohlklingenden Sätzen lautet außerdem: Jede/r kann sich gut fühlen, etwas leisten, ist seines/ihres Glückes Schmied, ist an Arbeitslosigkeit und anderen Problemen selbst schuld und hat gefälligst auch etwas für Deutschland zu tun.

Die Sponsoren geben freimütig Auskunft, worum es ihnen geht: Damit wir „wenn nötig auch auf Privilegien verzichten“ (Edgar Medien AG im Medien-Infopaket), indem wir mittels „Motivation durch Gefühle“ (Western Star) „mit Optimismus, Veränderungsbereitschaft, Kreativität und Spaß“ (Axel Springer) feststellen: „Es muss Schluss sein mit dem allgemeinen Lamentieren“ (Heinrich Bauer Verlag). Wichtig ist dabei das Fernsehen. Denn es „kann diese Botschaft emotional und glaubwürdig transportieren“ (ProSiebenSat.1 Media AG). Dabei gilt: „Es ist Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und den Blick nach vorne zu richten“ (Ströer Out-of-home-Media). Und wer nicht das Hemd hat, die Ärmel hochzukrempeln, ist selbst dran schuld ... möchte man denken. Die Sponsoren zahlen ihr Geld sicher nicht aus Wohltätigkeit, um z.B. dem HartzIV-Empfänger oder dem um seine Existenz fürchtenden Lohnabhängigen ein aufmunterndes Wort zu schenken. Es ist eine genau kalkulierte wirtschaftliche Investition, eine Investition in gesellschaftliches Klima. So wurde errechnet, dass jeder Bürger durchschnittlich 16mal von der Kampagne erreicht wird.

Weiterhin ist es erschreckend, wie unreflektiert der Begriff Deutschland und ein positives Gefühl dazu gepredigt werden. Die „größte Social Marketing Kampagne in der deutschen Mediengeschichte“ (Presseinformation von „Du bist Deutschland“) schreit uns entgegen: „Du bist Thyssen“. Wer ist schließlich nicht gerne der Gründer eines der größten deutschen Unternehmen? Eines Unternehmens, das im I. Weltkrieg tödliche Waffen an die deutschen Militärs und Alliierten verkaufte und bis heute mit dem Rüstungsgeschäft Unsummen verdient. Sein Sohn und Erbe Fritz Thyssen finanzierte maßgeblich seit 1923 Adolf Hitler (siehe auch: Fritz Thyssen – Hitlers Gönner und Geisel, von Hans O. Eglau, 2003, ISBN: 388 680 76 30). So wird ihm das Zitat „I paid Hitler“ zugeschrieben. Auch wenn er seit 1935 auf Distanz zum Naziregime ging, wurde ihm nach 1945 eine Schuld an der Machtergreifung der Nazis gegeben, da er der Nazipartei regelmäßig Millionen überwies. Wer hat da wirklich noch Lust Thyssen zu sein?

Auf der einen Seite soll also dem befürchteten Unmut ein neuer Patriotismus entgegen gesetzt werden. Wahrlich kein neues Konzept... Außerdem hat das Schreckgespenst einer linken Massenpartei die Wirtschaftslobbyisten nervös werden lassen. Und tatsächlich haben bisher die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die angekündigten vier Milliarden Einsparungen bei HartzIV, die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre, die Fortschreibung der Orientierung auf Auslandseinsätze der Bundeswehr und und und ... kaum Protest hervorgerufen. Zu mächtig erscheint wohl auch die neue Große Koalition.

Wir haben jedoch im Herbst 2004 mit den spontan entstandenen Montagsdemos erlebt, wie schnell das Fass am Überlaufen ist, wenn es ordentlich brodelt.

Darum: Werdet aktiv gegen die „Du bist Deutschland“-Kampagne und gegen die Pläne der neuen Bundesregierung! Seid kreativ und beteiligt euch an Aktionen. Baut Gegenöffentlichkeit auf und verteilt den Rotdorn weiter! Denn Gott sei Dank hat jede/r selbst die Wahl, kleines Rad oder Sand im Getriebe der Deutschland AG zu sein. Du bist Deutschland? Bleib lieber Du selbst!

 

Norbert Müller ['solid], sk, mh