»Die Studierenden werden behandelt wie Vollidioten und die Dozenten dazu.«

Am Rande des Treffens der „Initiative zur Gründung eines Berliner Sozialforums“ am 5. Dezember 2005, interviewte der Rotdorn Prof. Peter Grottian zu dem Studentenstreik an der Berliner Freien Universität, der vom 5. bis 9. Dezember 2005 stattfand. Der Streik richtete sich gegen die Abschaffung der Diplomstudiengänge und das neu eingeführte Campusmanagement. Mithilfe des Campusmanagements werden Anwesenheit und Leistungen kontrolliert und digital verwaltet. Laut Hersteller ist mit diesem System auch eine einfache Abrechnung der Studiengebühren möglich.

Peter Grottian, Jahrgang '42, studierte Sozial­wissenschaften. Er promovierte 1973 und ist seit 1979 Professor für Politik­wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Er sitzt im Vorstand des „Komitees für Grundrechte und Demokratie“ und hat die „Initiative Banken­skandal“ mitgegründet.

 

Rotdorn: Was möchten Sie den streikenden Studenten mit auf den Weg geben? Sie haben ja jahrelange Erfahrungen als Professor an der Freien Universität.

Peter Grottian: Das Wichtigste ist zunächst einmal, dass die Studierenden jetzt jedenfalls zum Teil erkannt haben, dass die Modularisierung von Studiengängen erhebliche Tücken hat und dass dahinter ein Disziplinierungsprojekt steht, was die Studierenden nicht etwa ermuntern soll, toll zu studieren, sondern ein Konzept, was zwischen angeblich guten und schlechten Studenten selektiert und sie mit Maluspunkten dann möglichst von der Universität verschwinden lässt. Sie haben auch verstanden, die Studierenden, dass die Abschaffung von Diplom- und Magisterstudiengängen und nur noch einäugiges Gucken auf den Master (MA)- und Bachelorabschluss (BA) dazu führen wird, dass nur 30 Prozent der Studierenden vom BA zum MA wechseln kann, dass heißt 70 Prozent der Studierenden mit einem Fast-Food-Studium ausgeschieden werden sollen. Das finden sie besonders empörend.

Und der aktuelle Anlass an der FU ist natürlich auch, dass hier ein Verfahren, ein so genanntes Campusmanagement, eingeführt worden ist, wo man nur noch sagen kann, dass ist Ekstase bürokratischen Wahnwitzes. Und wo die Studierenden im Grunde genommen behandelt werden wie Vollidioten und die Dozenten dazu. Und das hat sie auch empört. Das heißt, die Diskussion läuft zunächst an der FU sehr stark universitätsbezogen.

Der Brasst der Studierenden ist da, vor allen Dingen bei den jüngeren Semestern, die noch was von der Universität haben wollen. Und das ist eigentlich ein guter Motor vor Weihnachten und hoffentlich auch nach Weihnachten, da doch einiges an Dampf zu machen. Und die Universitätsleitung hat schon bei manchen Sachen eingelenkt, so dass auch schon ein erster Erfolg des Studentenstreiks zu verzeichnen ist.

Rotdorn: Inwieweit spielt eine mögliche Einführung von Studiengebühren für den Streik an der FU eine Rolle? Es gibt ja jetzt auch bundesweit eine gewisse Streikbewegung.

Peter Grottian: Ich glaube, dass die Solidarisierung gegenüber Hamburg und den Studenten in Tübingen oder in Stuttgart, die spielt an der FU schon eine Rolle. Wir sind ja jetzt bei den Studiengebühren in Berlin noch nicht aktuell bedroht. Nur kann man sich natürlich ablesen, wenn jetzt sechs oder sieben Bundesländer die Studiengebühren einführen, dann wird in der SPD und selbst auch in der Linkspartei in Berlin die Diskussion losbrechen über Studiengebühren. Und es ist völlig offen, was passiert. Zunächst ist es aber mal der Ärger über die miserablen Studienbedingungen und die Enttäuschung darüber, dass die Universität nicht einigermaßen vernünftige Studienbedingungen überhaupt praktizieren kann, das ist der Hauptpunkt des Ärgernisses.

Rotdorn: Eine Protestform ist jetzt der Studentenstreik. Sie haben ja auch weitergehende Überlegungen, was zivilen Ungehorsam anbetrifft. Vielleicht können Sie noch einige Gedanken dazu darstellen, wie man auch auf anderen Ebenen etwas erreichen kann.

Peter Grottian: Ich habe den Studierenden heute in der Vollversammlung gesagt, dass man Alternativen zu dem Studium ausarbeiten muss und dazu auch, wie man mit einem Studium vernünftig umgehen kann. Man muss dafür kämpfen, dass eine Pluralität von Studienordnungen da ist. Und man muss in den Protest- und Konfliktformen auch Formen des zivilen Ungehorsams haben.

Ich habe heute als Hochschullehrer auch erklärt: Ich würde mich an das Campusmanagement nicht halten. Ich würde keine Liste herumgeben, wo sich die Studenten eintragen müssen. Ich würde den Zwang, die Hausarbeiten nach drei Wochen zu benoten und die Noten einzugeben, ich würde das alles nicht tun. Und ich meine damit natürlich nicht nur die Kritik am Campusmanagement, sondern eigentlich auch an dieser Form von McDonaldisierung des Bildungswesens, das in Päckchen abgepackte, demnächst nur noch mit Multiple-Choice abgefragte Wissen, was das exemplarische Studium nach hinten bringt.

Ich glaube, dass die Studierenden schon verstanden haben und auch selbst einige Überlegungen dazu haben, wie diese Vorstellungen von Alternativen und zivilem Ungehorsam aussehen. Ihnen ist klar, dass man den Herrschenden weh tun muss und zwar erheblich.

 

Das Gespräch führte sk