Die Leiden der jungen Bewerber

Wenn in der Politik vom »Wachstum« gesprochen wird, lohnt es sich genau hinzuschauen. Zur Zeit sind es nämlich vor allem die Versorgungslücken, die wachsen. Oder anders: Es gibt mehr vom Weniger. Auch bei der Ausbildung steht die Politik derzeit auf dem Schlauch. Wie jedes Jahr ist die Zahl der Jugendlichen, die beim Bewerbungsmarathon um einen Ausbildungsplatz auf der Strecke geblieben sind, erneut angestiegen. Und das Wachstum scheint kein Ende zu finden. Warum?

Fakt ist, dass inzwischen nur noch 23 Prozent der Unternehmen ausbilden und nicht einmal die Hälfte aller Ausbildungsplatzbewerber im dualen Berufsbildungssystem unterkommt. Die andere Hälfte geht entweder komplett leer aus, muss sich mit einer vollschulischen Ausbildung ohne Betriebspraxis und damit schlechteren Jobchancen zufrieden geben oder wird in eine so genannte »Warteschleife« abgeschoben. Je größer die tatsächliche Versorgungslücke bei der beruflichen Ausbildung wird, um so mehr Leute werden in eben diesen »Warteschleifen« bzw. Maßnahmen der Arbeitsämter abgesetzt und gelten dann schlichtweg als statistisch versorgt. Damit ist die statistische Wirklichkeit von der Realität aber um Meilen entfernt. Denn wenn die BewerberInnen, die in den Maßnahmen landen, dazugerechnet werden, klaffte im Jahr 2005 sogar eine reale Lücke von mehr als 130 000 fehlenden Ausbildungsplätzen.

Die Berufsbildung steht also unter einem enormen Veränderungsdruck. Wie dieser aber politisch umgesetzt wird, ist wieder eine andere Frage. Im Bundestagswahlkampf z. B. trat Günter Lambertz vom Deutschen Industrie- und Handelstag eine Debatte vom Zaun, die Ausbildungsvergütungen drastisch zu senken, um mehr Lehrstellen zu schaffen. Dieser Impuls wurde gerade aus den Reihen der CDU wie FDP positiv aufgenommen und gab Öl ins Feuer der angesetzten Placebo-Debatten um die so genannte »Ausbildungsunfähigkeit« und das »verfehlte Anspruchsdenken« der Jugend. Diese Debatten verhehlen im weiten Bogen die wirklichen Ursachen der Ausbildungsmisere und sollen letztlich wohl nur Schubmasse für die Schlagrichtung der neoliberalen Bildungsökonomie sein.

Dabei liegen wirkungskräftige Konzepte zur Schaffung von qualifizierten Ausbildungsplätzen schon lange in den Schubladen. Die SPD kann die auf ihren Parteitagen beschlossenen Anträge für eine Ausbildungsplatzumlage kaum mehr zählen, knickte aber im letzten Jahr erneut vor den Wirtschaftslobbys ein und bremste ihr eigenes Umlagegesetz aus. Statt eines Gesetzes, mit dem die ausbildungsunwilligen Unternehmen zur Kasse gebeten werden, installierte sie dann den sogenannten Ausbildungspakt und setzte damit abermals auf eine freiwillige Vereinbarung mit der Wirtschaft. Abermals vergebens – die Lücke wächst weiter.

Um dieser unhaltbaren Situation etwas entgegenzusetzen, gründen sich zur Zeit bundesweit Jugend-Ausbildungsbündnisse. In

diesen Bündnissen wollen die Gewerkschaftsjugenden und Jugendverbände wie ['solid] - die sozialistische jugend, die Falken, SDAJ oder die Jusos gemeinsam für eine Ausbildungsumlage Anlauf nehmen. Mit vielfältigen Aktionen soll das Thema wieder in die Öffentlichkeit getragen und auf die Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen aufmerksam gemacht werden. Wer ständig eingetrichtert bekommt, dass er selbst Schuld habe, wenn er ohne Ausbildung dasteht, hat hier die Möglichkeit, eine alternative Plattform zu finden und zusammen mit anderen für die eigenen Rechte und Perspektiven streiten.

 

Haimo, ['solid] Berlin