Die Yorck 59 ist tot, es lebe die Yorck!

Am 6. Juni wurde die Yorckstraße 59 geräumt. Das Projekt besteht seit 1989, eine alte Fabrik wurde von den neuen Mietern zu einem Wohnhaus umgebaut. Räume für acht große WG entstanden und alternative Projekte, wie die Antirassistische Initiative, das Solidaritätskomitee für Mumia Abu-Jamal, das Berliner Figurentheater oder der Nachrichtenpool Lateinamerika, fanden ein zu Hause. Eine kleine Nachbetrachtung zu einem außergewöhnlichen Stadt­ereignis und der Frage, warum die eigentlich Verantwortlichen versagt haben.

Der Vorgang

Die Yorck59 wurde den Gewinninteressen eines neuen Eigentümers geopfert. Der Kampf der Yorck59 galt dem selbstorganisierten Lebens- und Veranstaltungsort und steht als Symbol für die Umkehr gegenwärtiger Stadtpolitik im Sinne der Betroffenen. Die rechtliche Situation, daß die „Eigentümerinteressen gegen Bewohnerinteressen“ gestellt werden können, ist in Berlin zu einem massenhaften Phänomen verkommen. Das Ergebnis ist Verdrängung. Nur weil Gesetze das Recht des Eigentümers höher stellen als das der Bewohner, ist es möglich, daß Gerichte sich regelmäßig zum Handlanger von Profitinteressen machen. Obwohl genügend Raum für alle vorhanden wäre, werden das Eigentum und die daran geknüpften Verwertungsabsichten, also der schnöde Mammon, über die Interessen der Anwohner gestellt. Verdrängung, Segregation, Sicherheitsdienste und Polizeigewalt sind zum Alltag in dieser Stadt geworden. Eine sehr geringe Minderheit verwaltet und bestimmt die Wohn- und Lebensbedingungen einer sehr großen Mehrheit. Anhand der Yorck59 und ihrem Überleben oder Scheitern lassen sich grundsätzliche Fragen darüber stellen, wie die derzeitige Stadtpolitik zu verändern wäre. Sie steht stellvertretend für viele andere Projekte, für Integration und Politisierung. Selbstorganisiertes Leben ist höher zu bewerten als das Interesse einer Minderheit, auch wenn diese rechtlich die besseren Karten hat. Die Gier nach Verwertung verhindert eine sinnvolle Nutzung, und die Kommerzialisierung des gesamten Alltagslebens macht die Stadtbewohner zu Konkurrenten. Was sich hier vollzieht, ist ein Prozeß, der bereits mehrfach beschrieben wurde und sich tagtäglich wiederholt: die Verdrängung von Bewohnern aus ihren Wohnungen, die Räumung ganzer Gebiete, die Zerschlagung von Nachbarschaftsbeziehungen, von Kiez-Strukturen. Und es passiert immer aus einem einzigen Grunde: Ihre Wohnlagen sind mehr wert, als sie gegenwärtig abwerfen, eine höhere Miete ist möglich. Aber ist auch eine andere Stadtpolitik möglich? Der Prozeß der Verdrängung wird gern mit dem Begriff des neoliberalen Stadtumbaus beschrieben. Innenstadtbereiche werden für zahlungskräftige Mieter umgebaut. Wer sich in der Arbeitsgesellschaft, die immer noch offiziell die Vollbeschäftigung auf ihre Fahne schreibt, durchsetzt, kann sich die besseren Wohnlagen auch leisten. Wer weniger Geld hat, muß eben die Konsequenzen tragen und wird in den sich verfestigenden „sozialen Brennpunkten“ mit einem Programm, das sich „Soziale Stadt“ nennt, von Quartiersmanagern bespielt.

Die Akteure

Parteien treffen sich auf Parteitagen und diskutieren das Programm der „Sozialen Stadt“, Bezirkspolitiker verfassen Drucksachen mit Willenserklärungen zur Unterstützung der Bewohnerinteressen, und dennoch bleibt das Gefühl, daß die Betroffenen sich wie Hamster im Laufrad bewegen. Es ist diese Haltung, die man hinterfragen muß, denn sie steht symptomatisch für eine Politik, die glaubt, Gutes zu tun, und doch in neoliberalen Denkstrukturen verfangen bleibt. Und genau an dieser Stelle entscheidet sich linke Politik, egal in welchem Parteiengewand sie daher kommt: Wie haltet ihr es mit der Macht, wenn ihr sie denn habt? Hauptakteur der Räumung war der Eigentümer Marc Walter. Er kaufte das Gebäude mit einer Gewinnerwartung, erhöhte die Miete und erwirkte die Räumung wegen ausbleibender Mietzahlungen. Die Yorckstraßenbewohner verweigerten die Mietzahlung und kämpften um ihr gemeinsames Wohn- und Lebensprojekt. Mit zahlreichen Aktionen politisierten sie den Vorgang der Mieterhöhung und anstehenden Räumung, sie demonstrierten, besetzten Parteizentralen und das Bürgermeisterbüro und zwangen so die politisch Verantwortlichen zum Handeln. Das Handeln, sprich Verhandeln, hielt sich zunächst in Grenzen.

Die Chance

Verhandlungen als Chance, wer hat sie verpaßt, wer hatte daran Interesse? Wohl ausschließlich die Bewohner der Yorck59. Sie gelten als naiv, weil sie nicht freiwillig gehen, weil sie die Mieterhöhungen nicht akzeptieren. Die einen sagen: Kinder, werdet erwachsen; die anderen: Macht weiter so, wir kommen vorbei. Es ist wohl weniger naiv als mutig zu glauben, das Eigentum, seine Gesetze seien nicht alles. Könnte uns nicht genau diese Haltung von den Zwängen des Marktes befreien und uns glauben lassen, es gebe noch Ziele und Werte, für die es sich lohne zu kämpfen? Die Yorck59 steht stellvertretend für viele andere Initiativen wie z.B. die der widerständigen Waldekiez-Bewohner. Solche Projekte sind nicht nur dazu verdammt, angesichts der Privatisierung aller Lebensbereiche als Konkurrenten um Geld zu buhlen, sie können stattdessen über eine Solidarisierung miteinander auch neue Wege aufzeigen. Neue Bündnisse sind nötig. Partner sind alle, die von dieser Politik der Privatisierung und Liberalisierung in Mitleidenschaft gezogen sind: Betroffene repressiver Ordnungspolitik gegen subkulturelle Strukturen, im sozialen Wohnungsbau oder in den Sanierungsgebieten mit Mietobergrenzen. Neben den Mitstreitern in alternativen Projekten, den Bewohnern im sozialen Wohnungsbau, den potentiell Verdrängten in Aufwertungsgebieten sind aber auch die Verbraucher privatisierter Dienstleistungen, die Arbeits- und Erwerbslosen und die Obdachlosen Bündnispartner für die Forderungen nach sinnvoller Nutzung von Häusern und städtischen Räumen. Das Ende der Mieterstadt, der Subkultur wird eingeläutet. Veränderung, auch in den Einsichten der politisch Verantwortlichen, sind nur über die Mobilisierung der Betroffenen und deren Initiativen möglich. Genau das hat die Yorck59 in Angriff genommen, mit einer Vision, die Wandlungen wollte, z.T. mit Gewalt. Sicherlich ist Gewalt keine Lösung, aber sie spitzt die Interessen zu, und sie wird ebenso von der Gegenseite angewandt. Als das SEK das Haus stürmte, setzte es mit roher Gewalt das Eigentumsrecht durch. In diesem Moment gab es nur Verlierer, die Yorck59-Bewohner, denen die Lebensgrundlage entwendet wurde, und die vermummten Eindringlinge, die sich selbst Gewalt antun mußten, um im Auftrag des Staates anderen Gewalt anzutun. Angesichts der weiteren Konzentration von immer mehr Reichtum in immer weniger Händen und der Unfähigkeit von Politik umzuverteilen, ist die Verteidigung städtischer Räume die letzte Chance, eine Verslumung ganzer Viertel zu vermeiden. Nur wenn alternative Lebensräume und die dazugehörigen sozialen Netze erhalten bleiben, kann der mit Armut einhergehenden Kriminalisierung entgegengewirkt werden. Mittlerweile haben ehemalige Bewohner der Yorck59 Teile des Künstlerhauses Bethanien, das leergezogene Sozialamt, besetzt. Nach erneuter Besetzung ist die Politik verhandlungsbereit. Nun sitzen Bezirkspolitiker, der Liegenschaftsfonds und die Yorck59 an einem Tisch und verhandeln. Sie werden im Bethanien gedulde­t, bis ein Alternativangebot geprüft werden kann. In Kürze soll ein befristeter Nutzungsvertrag abgeschlossen werden. Gratulation!

Der vorliegende Text von Karin Baumert ist eine gekürzte Fassung. Die ungekürzte Version ist auf der Internetseite des Berliner Stadtmagazins „scheinschlag“ (scheinschlag-online.de) nachzulesen, in dem der Artikel ursprünglich erschien.