Der Wert unserer Werte
Die konservative Wertedebatte zur Verschleierung der totalen Ökonomisierung

Die politische Instrumentalisierung des neunfachen Babymords in Brieskow-Finkenherd durch den brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hat mit der Lebenswirklichkeit der straffällig gewordenen Mutter nichts zu tun. Wenn der brandenburgische CDU-Chef Schönbohm in einem Interview die schrecklichen Vorkommnisse damit erklären will, dass die von der SED erzwungene Proletarisierung Ostdeutschlands und die Zwangskollektivierung ländlicher Gegenden die Menschen östlich der Elbe ums Verantwortungsgefühl für ihr Eigentum gebracht habe und daher um die inneren Werte, so zeigt er nur, wie viele seiner CDU/CSU-Kollegen auch, dass er kein Analytiker sondern ein Demagoge ist.

Die „deutsche Leitkultur“ bestand eben nicht in den christlichen Werten von Nächstenliebe und Menschenwürde, sondern in der Ökonomisierung aller Lebensbereiche sowie im Um- oder besser Abbau des Sozialstaats. Die Wertedebatte – von Sonntagsreden von der Überlegenheit des christlichen Abendlandes oder der westlichen Zivilisation einmal abgesehen – beschränkte sich darauf, den Wert von niedrigeren Steuern und sinkenden Lohnnebenkosten zu beschwören. „Und während die Steuern sanken, kroch in den Schulen und Kindergärten der Schimmel die Wände hoch,“ (Heribert Prantl *) und der Schuldenberg – Zeitbombe künftiger Generationen – wuchs ins unermessliche (1,44 Billionen Euro).
Die gleichen Politiker, die Ausländer bei der Einbürgerung auf das Grundgesetz vereidigen wollen, haben längst vergessen, dass das Sozialstaatsgebot zu den Grundprinzipien des Grundgesetzes gehört; haben längst verdrängt, dass im Grundgesetz der Satz: „Eigentum verpflichtet“ steht. Diese Damen und Herren begreifen anscheinend nicht, dass Massenerwerbslosigkeit Massenwürdelosigkeit bedeutet. „Die Bürger einer Demokratie brauchen Ausbildung und Auskommen, sie brauchen eine leidlich gesicherte Existenz, sie müssen frei sein von Angst um ihre eigenen Lebensver-hältnisse“(Heribert Prantl *).

Viele dieser „Christdemokraten“ sieht man Sonntags oder an Feiertagen in die Kirche gehen, „als politische Schausteller sozusagen, ihre Gebetsriemen breit und ihre Quasten groß zu machen‘ (Die Bibel, Neues Testament, Matthäus 23,5), aber gleichzeitig tiefe Einschnitte ins soziale Netz, die Kürzung der Sozialhilfe, die Absenkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle zu verlangen, ist ein richtiges Ärgernis“(Heiner Geißler **).
Den bundesdeutschen Konservativen fällt es immer schwerer mit den von ihnen gesetzlich formulierten kinderfeindlichen Strukturen in Arbeits- und Lebenswelt, mit ihrem Festhalten am Recht des Stärkeren, mit ihrer Verharmlosung von Korruption, Bestechung und Parteispendenskandalen auf den Schultern, den Wählern noch von inneren Werten, Verantwortung und Gemeinwohl oder gar von christlicher Nächstenliebe zu predigen.

Vielleicht begreifen sie oder zumindest die Kräfte, die sie ins Politrennen schicken, irgendwann einmal, dass man den Dax nicht streicheln und einen Wirtschaftsstandort nicht lieben kann. Der Mensch aber braucht andere Menschen wie das täglich Brot. Doch den Menschen, seine Würde und seine Bedürfnisse haben diese „Macher“ längst auf dem Altar des Götzen Geld geopfert.

Klaus Körner

 

Zum Weiterlesen:

* Heribert Prantl: »Kein schöner Land. Die Zersörung der sozialen Gerechtigkeit«
ISBN: 342.627.36.32
Der Autor ist sozial- und innenpolitischer Redakteur der Süddeutschen Zeitung.

** Heiner Geißler: »Was würde Jesus heute sagen?«
ISBN: 349.961.59.40
„In Zeiten, in denen man in der CDU den Abbau der sozialen Sicherungssysteme bejubelt, kommt das neue Buch von Heiner Geißler gerade recht. Während andere das C im Namen der Partei am liebsten streichen würden, plädiert der ehem. Generalsekretär der CDU dafür, das Evangelium als politische Botschaft ernst zu nehmen. Geißler zeigt, wie sich das, was Jesus vor 2000 Jahren gepredigt hat, auf die Probleme unserer heutigen Gesellschaft übertragen lässt. Geißler, der vor seinem Jurastudium bei den Jesuiten Philosophie studierte, ist dabei alles andere als ein religiöser Fundamentalist: Wenn er die Botschaften der Bibel interpretiert, geht er vom historischen Kontext aus und sucht nach Parallelen zu heute. Die Bergpredigt wird so zum Plädoyer gegen Sozialabbau („in einem modernen Industriestaat zeigt sich die Nächstenliebe nicht mehr allein in warmen Suppen“) und einen ungezügelten Sharholder-Value-Kapitalismus, in dem nur noch die Dividende zählt..“