„Shoppen & Ficken“

Entblößung modernen Menschseins!

[Brian: „Sag mir, mein Sohn“, sagt mein Vater, „was sind die ersten Worte der Bibel?“ – „Ich weiss nicht Dad“ sage ich, „was sind die ersten Worte der Bibel?“ Und er sieht mich an, sieht mir in die Augen, und er sagt: „Mein Sohn, die ersten Worte der Bibel sind ... Das Geld zuerst. Das. Geld. Zuerst.“]

Im Ausschnitt des Theaterstückes „Shoppen & Ficken“ springt es hervor: Das konsumistische Manifest – richtig gelesen, „konsumistisch“ - !

„Shoppen & Ficken“ ist ein Gegenwartsstück, geschrieben auf der Folie eines Wirtschaftssystems. Der britische Autor Marc Ravenhill zeichnet ein ehrliches und zugleich erschreckendes Bildnis unserer Wohlstandgesellschaft: Marc, Robbie und Lulu konsumieren alles, was sich ihnen in den Weg stellt, geben Geld aus, dass sie nicht haben und glauben mit Shoppen ihre innere Leere füllen zu können. Die Figuren sehnen sich nach Liebe, nach einer anderen Welt, von der sie gleichzeitig wissen, dass sie utopisch ist. Ihre Sehnsucht nach Liebe wird nicht erwidert, aber das Verlangen danach hört nicht auf und Liebe ist für sie eine Art Antrieb. Fertiggerichte, Prostitution und Non – Kommunikation prägen ihr Dasein. Verzweifelte Leere und erstickende Ängste übertragen sie selbst auf den Zuschauer, der sich in so manch einer Figur wiederspiegelt. In ihren Beziehungen zueinander wollen sich die Gestrandeten um jemanden kümmern, bis die Sehnsucht, füreinander dazusein, sich zu lieben und geliebt zu werden, mit den Erfordernissen des Marktes kollidiert, wodurch sich die unlösbare Dialektik des Stückes ergibt. Als sich Mark entscheidet, aus diesem Kreislauf zwischen Fun und Apathie, zwischen Aufraffen und Scheitern auszusteigen, und sein Leben in geregeltere Bahnen zu bringen, sich dabei aber in den jungen Stricher Gary verliebt, wird das Gefühlschaos perfekt. Zusammen mit Robby und Lulu, die bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken, werden sie in ein Psycho-Spiel verwickelt, aus dem tödlicher Ernst wird ...

Berlin ist vor allem durch Namen wie Bertolt Brecht oder Heiner Müller mit dem Theater des 20. Jahrhunderts verbunden. Die heutige Theaterszene wirkt hingegen manchmal wie eine Spielwiese für willkürlich vor sich hin inszenierende Regisseure. Neben biederem Bürgertheater arbeiten in Berlin jede Menge ambitionierte Theaterleute. Zwar mussten auch die Bühnen eine Menge Kürzungen der staatlichen Zuschüsse über sich ergehen lassen, doch ein spürbarer Niedergang der Theaterlandschaft konnte bisher durch den vehementen Widerstand von Publikum und Intendanten verhindert werden. Allerdings haben sich dafür eine Reihe von Bühnen selbst das Ziel gesetzt, ihre Theater optimal auszulasten, um eine Spardebatte gar nicht erst aufkommen zu lassen. An den teuren staatlichen Bühnen kommen deshalb häufig konventionelle Inszenierungen auf den Spielplan. Nirgendwo in Deutschland findet sich eine so große Zahl an Theatermachern und Besuchern wie in Berlin. Theaterleute suchen sich ihr Publikum aus und umgekehrt. Daher lohnt sich in jedem Fall eine Expedition in die von manchen belächelte Off- oder Independent- Theaterszene.

Robby, Lulu, Marc und Garry sind in ihrer Auseinandersetzung mit Konflikten zwischen persönlichen Bindungen/Gefühlen und beruflichen/existentiellen Verpflichtungen auf der Theaterbühne am Lehniner Platz zu sehen. Die Schaubühne zeigt Tendenzen eines politischen und sozialkritischen Theaters und versteht sich selbst als Laboratorium, in dem die Kommunikation zwischen allen Theatermachenden, vom Autor, Schauspieler bis zum Publikum, gepflegt wird. Teils skandalös empfundene Stücke junger britischer Autoren wie Sarah Kane, Marc Ravenhill und Jon Fosse werden aufgenommen, da sie sich in ihrer Inszenierung um einen neuen, sozial engagierten Realismus bemühen.

Ravenhill wollte über eine Generation schreiben, die einzig allein unter den Bedingungen der Marktwirtschaft aufgewachsen ist, die keine anderen Werte als die des Marktes kennt und die sich mit extremem Manifestationen wie Drogendealen, Prostitution, Telefonsex, Aids und so weiter leben muss. Es geht ihm in erster Linie nicht darum, was einem passiert, sondern was passieren kann. Fragen wie „Hätte ich diesen Weg genommen, wäre ich jetzt da und da“ wollte er im Stück zum Ausdruck bringen. Wenn man sich das Stück genau ansieht, dann wird man feststellen, dass es keine Details liefert über den Verkauf z.B. von Ecstasy oder das leben als Stricher. Er wollte hingegen großtmögliche Extreme entwerfen, die zu allgemeingültigen Metaphern werden, und keine soziologische Forschungsarbeit leisten.

Die Sucht nach Konsum als Existenzgrundlage - Shoppen und Ficken als sinngebende Aktivitäten“ – das packende Stück aus den 90ern lässt fast vergessen, dass alles nur Theater ist und fordert zu Stellungnahme. Der Habt den Mut, Euch ihr zu stellen!

Stück: Marc Ravenhill; Regie: Heidelinde Leutgöb; Ausstattung: Renate Schuler; Lichtgestaltung: Gerald Kurowski; Soundtrack: Alexander Jöchtl

 

Cornelia Freitag