Das
Gedicht entstand 1974, dreißig Jahre nach dem Warschauer Aufstand gegen die
deutsche Besatzung und ist der Warschauer Komponistin Barbara Newiadomska
gewidmet. Das Dorf Lidice in Tschechien wurde von den Nazis dem Erdboden gleich
gemacht und die männliche Bevölkerung erschossen, in Son My verübten die
US-Amerikaner ein Massaker an der vietnamesischen Bevölkerung und Wiriyamu ist
ein Ort in Mosambique, in dem die portugiesische Kolonialmacht im Befreiungskampf
ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung anrichtete, weil sie die Guerilleros
nicht ergreifen konnte. Die letzte Zeile der ersten Strophe zitiert die Bibel,
wo im Lukas-Evangelium der Mord des Königs Herodes an allen Kindern Bethlehems
geschildert wird.
TON,
aschengesichtig
über der Stadt.
O Lidice, meine Mutter,
meine Schwester Son My,
Wiriyamu, mein Töchterchen!
Hört ihn,
durch die Dürre
der Tage, den un-
überhörbar Unhörbaren;
Rahel beweint ihre Kinder.
GEBRANNTER TON;
mit der Bless der Nacht,
mit dem Zeichen,
mit der Väter verfluchtem,
vierfachen Galgen.
GEBROCHENER TON,
überkreuz ge-
schwiegen.
SCHERBENTON,
hinter die Stirn
gemeißelt,
bohre dir einen Mund,
bohre dir Augen,
hämmre dir eine Hand,
die die Fahne empor-
hält, du weißt schon,
das Segel, das den
Herzkammerton heran-
trägt an unser
Gestade.
Klaus
Körner
aus: Augenworte, lyrische Texte, Berlin/Hannover 1986