Interview mit Otto Grube über die Befreiung des KZ Buchenwald durch die Häftlinge
„Die Waffen waren in den Kellern unter den Barracken versteckt.“

Otto Grube, geb. 1913, wurde 1935 als kommunistischer Widerstandskämpfer zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Die letzten Kriegsjahre verbrachte er im KZ Buchenwald, dessen Befreiung er am 11. 04. 1945 miterlebte. In der DDR war er 20 Jahre lang Staatsanwalt.


Wie haben Sie die Befreiung des Lagers erlebt?

Ich arbeitete damals in der Effektenkammer. In den Tagen vor der Befreiung hatten wir unter dem Dach einen Genossen postiert, der mit dem Fernglas die Umgebung beobachten sollte. Ein, zwei Tage vorher konnte man schon den Geschützdonner der Amerikaner hören, dann kam das Maschinengewehrfeuer hinzu – ein Zeichen, daß die vordersten Verbände wenige Kilometer entfernt waren. Am frühen Morgen meldete unser Beobachter, daß die SS-Bewacher in Panik gerieten. In diesem Augenblick schlug unsere geheime Militärorganisation zu, besetzte den Kommandanturbereich und nahm alle SS-Leute gefangen. Die wurden bei nächster Gelegenheit den Amis übergeben.

Wie lief das ab?
Unsere Genossen rannten im Sturmangriff über den Appellplatz und besetzten die SS-Gebäude. Ich selbst kam erst am Nachmittag aus der Effektenkammer heraus – da war der elektrische Strom für die Stacheldrahtumzäunung schon abgeschaltet.
Als erstes nahm ich einen amerikanischen Panzer wahr. Die Soldaten sagten uns, wir sollten das Lager selbst bewachen, sie müßten weiter, um die Wehrmacht zu verfolgen.

Waren Sie Mitglied der illegalen Lagerorganisation?
Ich gehörte einer der illegalen Gruppen an, war aber nicht in der Leitung. Am Abend des 11. April wurden wir als Wachposten eingeteilt, um zu verhindern, daß geflohene SS-Einheiten zurückkehren. Das war das erste Mal, daß ich einen Karabiner in der Hand hatte. In den Stoßtrupps waren nur Genossen, die schon eine militärische Vorbildung hatten.

Wo kamen die Waffen her?
Einen Teil der Waffen haben wir aus den Deutschen Ausrüstungswerken beschafft, die neben dem Häftlingsblock im Kommandanturbereich lagen. Da wurden u. a. Gewehre hergestellt. Dort eingesetzte Häftlinge hatten unter Lebensgefahr Bauteile, ganze Gewehre und auch Munition in das Lager geschmuggelt. Die Waffen waren in den Kellern unter den Baracken versteckt.

Was ist mit den SS-Leuten passiert?
So mancher KZ-Häftling hätte Gründe genug gehabt, den einen oder anderen am nächsten Baum aufzuhängen.
Die illegale Leitung hatte uns eingeschärft, auf Einzelaktionen zu verzichten. Der einzige Übergriff, von dem ich weiß, ging auf das Konto eines US-Soldaten. Der hat im Zellenbau einen SS-Mann zusammengeschlagen.

Es gibt Historiker, die bezweifeln, daß sich die Häftlinge selbst befreit haben.
Gegen eine solche Geschichtsverfälschung muß man mit aller Schärfe angehen. Das begann schon nach der sogenannten Wende mit Äußerungen von Helmut Kohl und anderen CDU-Funktionären. Das paßte nicht in ihr Konzept, daß deutsche Kommunisten mit der Waffe in der Hand die Nazis bekämpft haben.

Es wird auch immer wieder versucht, den Widerstand mit der Behauptung zu diskreditieren, es habe »rote Kapos« gegeben.
Das KZ wurde 1937 aufgebaut. Zur Verwaltung hatte die SS zunächst kriminelle Häftlinge eingesetzt – Blockälteste, Kapos für die Arbeitskommandos. Mit der Zeit stellte sich heraus, daß das meistens ein Fehlgriff war, es wurden also mehr und politische Häftlinge für diese Funktionen eingesetzt. Wir haben darauf geachtet, daß die innere Verwaltung – wie etwa die Küche – immer mit Genossen besetzt war.
Als ich 1943 in Buchenwald eingeliefert wurde, traf ich zufällig einen Genossen vom Leipziger Kommunistischen Jugendverband. Der meldete diese Begegnung gleich an die illegale Organisation weiter. Schon am selben Abend suchte mich der erste Genosse auf. Dann kam ein anderer und brachte einen Kanten Brot. Ich habe sofort gespürt: Hier im KZ war die Partei tätig.

aus der „jungen Welt“ vom 09.04.2005