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Immer wieder montags ...

Warum scheiterten die Montagsdemos?

Damit hatten die Regierenden nicht gerechnet. Eigentlich sprach alles für das Funktionieren der Standartprozedur: unpopuläres Gesetz durchwinken und den Unmut aussitzen. Die nächste Wahl ist lange hin und bis dahin kann man ja neue Luftschlösser voller falscher Versprechungen und Lügen errichten.
Doch plötzlich organisierten sich Betroffene, um einen sozialen Kahlschlag ungekannten Ausmaßes, der auf den Namen „Hartz IV“ getauft wurde, zu verhindern. Auf einmal produzierte der Hauptwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft zwischen Kapital und Arbeit spontanen Protest, wie es in den Schriften der marxistischen Theoretiker prognostiziert wird.

In Magdeburg meldete im Juli 2004 ein Betroffener von Hartz IV Demos für jeden Montag an, rief zu ähnlichen Aktionen in anderen Städten auf und nannte das Ganze Montagsdemo. Diese Protestform, die mit dem Sturz der DDR-Regierung 1989 untrennbar verknüpft ist, ließ das Establishment aufheulen. Das wöchentliche demonstrieren sollte erst wieder eingestellt werden, wenn das Gesetz Hartz IV von der Regierung zurückgenommen werde. Schnell waren ehemalige so genannte Bürgerrechtler zur Stelle, die mittlerweile ihre Pfründe bei der CDU gesichert haben. Man könne den Sturz eines Gesetzes in der Demokratie nicht mit dem Sturz des DDR-Unrechtsregimes vergleichen. Eine Grundregel der Demokratie ist es aber, dass sich die Betroffenen selbst ihre Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele wählen. In der DDR ließ man das Volk nur zu von der Regierung bestimmten Konditionen demonstrieren. Anscheinend hat sich dies zu sehr in den Köpfen der konservativen Gralshüter der friedlichen Revolution wie Bärbel Bohley und Günther Nooke festgesetzt.

Von Woche zu Woche wurde in immer mehr Städten demonstriert, bis es schließlich 250 waren. Kreativität und Vielfalt bestimmten anfangs die Montagsdemos. Der eine oder die andere fühlten sich an die selbstbewussten Proteste in der DDR im Herbst 1989 erinnert. Gerade am Anfang gelang es Bürger zu erreichen, die mindestens 15 Jahre nicht demonstriert hatten und 1990 mit Hoffnungen gegenüber der BRD angetreten waren. Das war das Spannende. Protest breiter Bevölkerungsschichten, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und nicht, wie auf manchen Demos üblich, die versammelte Linke die sich gegenseitig agitiert.

„Wir sind das Volk!“ hallte es durch die Straßen. Manchen fiel nicht besseres ein, als darüber zu diskutieren, ob dieser Slogan völkisch sei. Das der Ausspruch aber eine Abgrenzung zur Regierung ist und nicht gegenüber anderen Völkern, die eben auch „das Volk“ sind, war jedem klar, der nicht unter notorischer Nörgelei leidet. Hartz IV schien ein Fass der sozialen Ungerechtigkeiten zum überlaufen gebracht zu haben, das sich seit 1990 insbesondere im Osten stetig gefüllt hatte.

Nach einigen Wochen stagnierten die Teilnehmerzahlen an den Montagsdemos und wurden sogar rückläufig. Nach der großen Demonstration am 2. Oktober in Berlin mit über 50000 TeilnehmerInnen, hatten sich die Montagsdemos totgelaufen. Im November war die Montagsdemobewegung endgültig gescheitert. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Diese Analyse scheint unerlässlich, da das Scheitern eine Niederlage einer breiten Bewegung bedeutete, die zunächst lähmt und sich nicht wiederholen sollte.
Die Antwort muss in einem Geflecht von Gründen zu suchen sein, von denen einige im folgenden benannt werden sollen:

Die Rolle der Gewerkschaften
Insbesondere die Sozialdemokratie, aber auch die Grünen galten als Vertreterinnen des „kleinen Mannes“. „Meine Stimme für soziale Gerechtigkeit“ hatten die Gewerkschaften zur Unterstützung der SPD im Wahlkampf 1998 plakatiert. Entgegen der Erwartung vieler WählerInnen leitete die rot-grüne Bundesregierung aber nicht eine Umverteilung von oben nach unten ein, Jahrzehnte ein Hauptanliegen der Sozialdemokratie, sondern den größten Angriff auf die bestehenden sozialen Sicherungssysteme der BRD seit 1949. Damit verloren die mittleren und unteren Schichten der Gesellschaft eine maßgebliche Vertreterin ihrer Interessen. Die einzige Organisation, die dieser Funktion heute gerecht werden könnte, sind die Gewerkschaften. Ihr Mobilisierungspotential stellten sie im April 2004 unter Beweis, als eine halbe Million in Berlin gegen Sozialabbau protestierten. In Buskolonnen waren die Kollegen aus dem Ruhrpott, Wolfsburg, Sachsen und aus dem ganzen Land angekarrt worden. Danach klüngelten die Gewerkschaftsbosse aber mit der SPD, bis das „Reformprojekt“ Agenda 2010 vom DGB abgesegnet wurde. Als nun die Betroffenen gegen ein Gesetzeswerk der Agenda vorgingen, versagten die Gewerkschaften ihrer Basis die Gefolgschaft. Zwar riefen Einzelgewerkschaften einiger Bundesländer zu den Protesten auf. Der DGB stellte sich jedoch nie als ganzes bundesweit auf die Seite der sozialen Protestbewegung. Aus Loyalität zur SPD blieb eine vorbehaltlose Unterstützung aus. Diese wäre aber maßgeblich für eine Durchsetzung der Forderungen gewesen. Weiterhin wäre die Mobilisierung durch die Gewerkschaften für ein überschwappen der Proteste in den Westen unerlässlich gewesen. So demonstrierten z. B. in Köln 450 Leute. Der Charakter der Gewerkschaften muss sich also von innen heraus ändern oder die Bewegung muss sich neue Interessenvertreter suchen.

Die Hetze der Medien
Wäre diese Solidarisierung der Gewerkschaften unmissverständlich erfolgt, wäre auch die Hetze der bürgerlichen Medien gegen die neue Bewegung erschwert worden. Die bürgerliche Presse stellte den Montagsdemonstrierer als dummen Ossi dar, der nur nicht kapiert hat, dass man mit demonstrieren keine Arbeit bekommt. Gezielt wurden Bilder von den Demos gesucht, die diesem Bild entsprachen. Wenn irgendwo Nazis auftauchten, war dies der Inhalt des Berichtes.
Nun darf es nicht verwundern, dass bürgerliche Medien soziale Proteste nicht unterstützen. Es gelang aber auch nicht eine adäquate Gegenöffentlichkeit zu mobilisieren. Auch hier muss die Linke weitere Aufbauarbeit leisten, will sie für die kommenden Konflikte gewappnet sein. Die „Junge Welt“ als linke Tageszeitung oder „indymedia“ (http://de.indymedia.org) als unabhängiges Medienzentrum sind hier ein hoffnungsvoller Anfang.

Die Spaltung der Linken
Gerade in dem interessanten Moment, als der Proletarier sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen begann, spielten Teile der Linken verrückt. Die einen versuchten die sozialen Proteste zum Aufschrei des dummen deutschen Michels umzuinterpretieren. Andere konnten sich gar nicht unmöglich genug machen, um als Vorreiterin für die Interessen des Proletariats bei den Demonstrierenden zu gelten. Letzteres führte dazu, dass in Berlin jeden Montag um 18.00 Uhr zwei Demonstrationen gegen Hatz IV stattfinden mussten. Neben einem breiten Bündnis mobilisierte die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands. Natürlich konnte keiner verstehen, warum mit roten Fahnen zwei Demonstrationen zur selben Zeit in derselben Stadt gegen das gleiche Gesetz stattfinden mussten.

Versuchte Vereinnahmung des Protestes durch Nazis
Faschisten probierten den wachsenden Unmut für ihre Zwecke zu nutzen. In manchen Städten mischten sie sich unter die Demonstranten. Zwar wurden sie in der Regel wieder achtkantig aus den Demozügen rausgeschmissen, mancherorts blieb aber ein fahler Nachgeschmack. Die Strategie der Nazis, soziale Proteste für sich zu vereinnahmen, darf nicht überraschen, sondern gehört schon seit längerem zu ihrer Praxis. „Faschos machen auf sozial“ lautet der Titel einer Broschüre der Antifaschistischen Linken Berlin (zu bestellen bei www.antifa.de), in der die Doppelzüngigkeit der Alt- und Neonazis eingehend untersucht wird. Denn eines ist klar: faschistische Ideologie ist das genaue Gegenteil von sozial, sie ist menschenverachtend.

Nachbesserungen der Regierung
Auch wenn Hartz IV als Ganzes für die Regierenden nie zur Diskussion stand, gelang es immerhin einige absolute Absurditäten zu verhindern. So wurde der Freibetrag für Sparguthaben, die für die Ausbildung der Kinder vorgesehen sind, angehoben. Bei den geänderte Nuancen des Gesetzes sprach der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering von „Konkretisierungsbedarf“. Aber anstatt dies als ersten Teilerfolg anzusehen und gestärkt in die weiteren Auseinandersetzungen zu gehen, ebbte die Bewegung ab. Die
Protestierenden gingen nicht mehr davon aus, dass noch mehr zu erreichen sei.

Die Wahl des politischen Mittels
Ein Reiz der Montagsdemo bestand darin, dass es 1989 geglückt war, vor allem durch die Montagsdemos die Regierung zu stürzen. Es hatte bereits funktioniert und anfangs war es tatsächlich nicht nur das Ziel vieler Demonstrierender das bereits beschlossene Gesetz zu Fall zu bringen, sondern die ganze Regierung. Festzuhalten bleibt aber, dass die Montagsdemos in zwei völlig unterschiedlichen Systemen stattfanden. Während es 1989 schon eine Kampfansage war, eine selbst organisierte Demonstration durchzuführen, gehören Demos in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten zur Tagesordnung. Mit einer Demo ist heute keiner zu schocken. Insofern können die Montagsdemos an sich, als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele nicht als günstig erachtet werden. Hier ist Phantasie und Kreativität gefragt, um auf die heutige Gesellschaft zugeschnittene politische Mittel zu finden. Dabei ist die Gewaltfreiheit die Basis der Überlegungen. Es müssen Formen des sozialen Ungehorsams gefunden werden, die das Establishment wirklich in Schwierigkeiten bringen. Denkbar wären z. B. dauerhafte friedliche Belagerungen von entscheidenden Infrastrukturpunkten wie dem Bundeskanzleramt, dem Reichstag, der Börse etc. Diese Knotenpunkte lahm zulegen wäre eine unmissverständliche Kampfansage. Dies wäre auch ein politischer Generalstreik, der allerdings in Deutschland zum letzten Mal 1920 stattfand. Der Streik bleibt aber eines der wirksamsten politischen Mittel im Kapitalismus. Sicher sind solche Gedankenspiele an eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung gebunden. Es steht jedoch auch fest, dass weitere soziale Konflikte entstehen werden. Darauf sollte die Linke vorbereitet sein. Denn wie schnell soziale Proteste auf dem Nichts entstehen können, das haben die Montagsdemos bewiesen.

SK