Archaische Kämpfer sind gewollt
In der letzten Ausgabe berichteten wir über die Initiative zur Beobachtung der Bundeswehr (Bundeswehr Monitoring). Die Ergebnisse dieser Arbeit ließen inzwischen auch die bürgerliche Presse aufhorchen. Was steckt hinter den Vorgängen: System oder Einzelfälle?
Aus „Einzelfällen“ wurde innerhalb weniger Tage ein Skandalfall
Bundeswehr. Soldaten, die, teils aktuell, teils vor Jahren systematische Übergriffe
Vorgesetzter erlitten haben, brechen ihr Schweigen, jeder „Einzelfall“
eine Einzelmeldung in den aufgeschreckten Medien.
Minister Strucks Klage, den Soldaten habe es unbegreiflicherweise an Zivilcourage
gemangelt, weist den Opfern die Schuld zu. Doch wer für die eigene Würde
eintreten soll, muss zunächst wissen, dass er eine hat, dann, wie er sie
vertreten kann. Oft halten Rekruten Übergriffe von Vorgesetzten für
normal im Rahmen der Ausbildung, weil sie gar nicht erkennen, dass ihre Grundrechte
verletzt werden. Sie sind einem ungeheuren Anpassungsdruck ausgesetzt und haben
in der hermetisch abgeschotteten Umgebung einer Kaserne berechtigte Angst vor
Repression. Aus Gesprächen mit Soldaten wissen wir, dass vielen nicht einmal
die Existenz eines Wehrbeauftragten bekannt ist, geschweige denn, dass man diesem
eine Petition senden kann.
Berufs- und Zeitsoldaten, freiwillig Längerdienende und Wehrdienstleistende
sind überdies oftmals Männer, deren berufliche Aussichten schlechter
sind als die Gleichaltriger. Eine moderne Form von Armutsrekrutierung: Wer schlechte
Chancen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt hat, ist eher bereit, sich zur
Bundeswehr zu verpflichten, sich dem Militär unterzuordnen und im Interesse
der möglichen Verlängerung seiner Dienstzeit notfalls Schikanen zu
ertragen.
Generalinspekteur Schneiderhan fordert nun in einem Brief an die Kommandeure:
„Nähren Sie die feste sittliche Überzeugung, dass der Schutz
der Würde des Menschen als erstes Gebot unseres Grundgesetzes in der Bundeswehr
auch künftig seine alles andere weit überragende Stellung behalten
muss“. Wieviel bleibt von der geringen Substanz solcher Sonntagsreden,
wenn sie bis zum letzten Unteroffizier gedrungen sind? Die Durchführung
der politischen Bildung obliegt wenigstens in Teilen genau jenen Vorgesetzten,
die militärisch ausbilden und dabei gelegentlich wie in Coesfeld „zu
weit gehen“.
Es ist nicht mangelnde Reife, sondern hat politische Hintergründe, wenn
Ausbilder, wie Heeresinspekteur Budde jetzt entschuldigend vermerkt, die Grenze
„zwischen erforderlicher Härte in der Ausbildung und Verletzung der
Menschenwürde“ nicht zu erkennen vermögen. Mit der Entscheidung
für Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland wurde auch entschieden,
wie das Leitbild des auszubildenden Soldaten aussieht. War das Konzept des „Bürgers
in Uniform“ mit der Verteidigungsarmee verbunden, so verlangt die Einsatzarmee,
wie Budde in diesem Jahr formulierte, „archaische Kämpfer“.
„Einsatznahe Ausbildung“ gehört dazu. Und weil PolitikerInnen
sowohl der Regierung als auch der CDU/CSU-Opposition das wissen, sprechen sie
von Einzelfällen, von mangelnder Courage der Opfer und fordern weder einen
Untersuchungsausschuss noch Strucks Rücktritt. Es geht nicht um das Fehlverhalten
einzelner Ausbilder, es geht um Auftrag und Struktur der Bundeswehr als weltweit
einsetzbare Streitmacht.
Kampagne gegen Wehrpflicht Zwangsdienste und Militär