Die ökonomische Unsinnigkeit von Hartz IV


Der folgende Artikel beschäftigt sich mit der ökonomischen Argumentation von Hartz IV und soll zeigen, dass die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nicht nur sozialpolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch unsinnig ist und keinen einzigen neuen Arbeitsplatz schaffen wird.

In allen europäischen Ländern befindet sich der Nationalstaat bzw. das traditionelle Verhältnis von Politik und Ökonomie gegenwärtig in einem radikalen Umbau. Es geht dabei um die Ablösung des Sozialstaates durch einen Staat, der seine Hauptaufgabe darin sieht, seine nationale Volkswirtschaft dem internationalen Wettbewerb zu öffnen und sie für denselben wettbewerbsfähig zu machen. Kennzeichnend ist eine Politik der Selbsterhaltung durch Entlastung von sozialpolitischen Funktionen und damit als Folge ein nach unten gerichteter Wettbewerb der Nationalstaaten um soziale Standards, die generell als Hindernis von Investitionen und Kapitalwachstum gelten. Das Phänomen Globalisierung hat daher einen massiven Souveränitätsverlust des Nationalstaates zur Folge, in der alle sozialstaatlichen Regelungen und Hilfeleistungen in Frage gestellt und alle gesellschaftlichen Bereiche dem Sachzwang der Markt- und Kapitallogik untergeordnet werden (sollen). Dieser globale Wettbewerb führt daher als Konsequenz in allen Nationalstaaten zu einem Anpassungsdruck, der die bestehenden Systeme der sozialen Sicherung abschafft und die Frage nach der zukünftigen Konstruktion wohlfahrtsstaatlicher Politik als auch der Ökonomie aufwirft.

Sind die sozialen Sicherungssysteme veraltet?
Die in diesem Zusammenhang immer wieder gebetsmühlenartig wiederholte sogenannte „Sinn-Krise der sozialen Sicherungssysteme“ wie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe besteht laut neoliberaler Argumentation -quer durch die etablierten Parteien Rot/Grün, Schwarz/Gelb- darin, dass beide wesentlich als Belastung der nationalen Volkswirtschaft und als potentielle Gefährdung der Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten gesehen werden. Leider aber nicht als eigenständige Faktoren begriffen werden, die mit über die Humanität und die Lebensqualität einer Gesellschaft entscheiden. Nicht der Schutz vor sozialen Risiken, sondern der Sozialabbau zur Sanierung der Staatshaushalte, der „zwanghafte Fetisch des Marktes“, um Marx zu zitieren, wird zum Erfolgskriterium einer „modernen“ Sozialpolitik. Man geht davon aus, dass das sozialstaatliche System mit seinen steuerfinanzierten Systemen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in dem selben Maße Auswirkungen auf die Wirtschaft hat wie zeitgleich Veränderungen in der Wirtschaft die Sozialpolitik verändern. Die Hartz IV-Reform wird daher von der Idee geleitet, dass die sozialen Sicherungssysteme eine schlechte Auswirkung auf die Wirtschaft hat. Sozialpolitik und die vor elender Armut schützenden Systeme „Arbeitslosen- und Sozialhilfe“ werden verantwortlich gemacht für die Investitions- und Wachstumsschwäche in der deutschen Wirtschaft, für die Probleme Deutschlands im globalisierten kapitalistischen Wettbewerb und für die dramatische Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die zentrale neoliberale These lautet: Das System der Sozialen Sicherung ist also nicht nur zu teuer und ineffizient, sondern gefährde auch noch die wirtschaftliche Grundlage. Doch was ist dran an solcher Argumentation? Hartz IV folgt einer neoliberalen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Logik, dessen Thesen zusammenfallen wie ein Kartenhaus, sobald man eine einzige Karte aus dem Haus zieht.

Verhindern Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe neue Arbeitsplätze?
Das immer wiederkehrende Hauptargument ist, dass die solidarische Arbeitslosenversicherung, in die jeder Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzahlt, mit der Arbeitslosenhilfe und die von den Kommunen ausgezahlte Sozialhilfe nicht dazu beiträgt Beschäftigung zu fördern und den Arbeitsmarkt funktionstüchtig zu halten. Denn die Höhe von Löhnen und Gehältern würden durch die Arbeitslosen- und Sozialhilfe des Staates nach unten begrenzt. Außerdem sei die Bezugsdauer von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu lang. Weiter gedacht hieße das, dass die Arbeitslosigkeit zu guten Teilen zurückführen sei auf die fehlende Bereitschaft der Langzeitarbeitslosen, niedrig bezahlte Arbeit anzunehmen. Die Einschränkungen im Bereich von Hartz IV sollen dazu beitragen, durch Zwang den Anreiz zur Arbeitsaufnahme der Stütze-EmpfängerInnen zu erhöhen. Oder aber es wird das Argument der hohen Lohnnebenkosten (also der Beiträge die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in die sozialen Sicherungssysteme wie u.a. Rente, Krankenkasse und Arbeitslosenversicherung) ins Spiel gebracht. Die Arbeitskosten seien wegen der überzogenen Tarife und Lohnnebenkosten zu hoch. Die Folge sei eine geringe Nachfrage nach Arbeit. Die Lohnnebenkosten verhindern das Entstehen von sogenannten Einfacharbeitsplätzen vor allem im Dienstleistungssektor. Als Ursachen der Arbeitslosigkeit werden hier die Tarifpolitik der Gewerkschaften genannt und die Sozialhilfe, die faktisch einen Mindestlohn fixiert, der von den Unternehmen nicht unterschritten werden kann. Die Leistungskürzungen, -ausgrenzungen und –umfinanzierung in der Sozialversicherung sollen die Arbeitgeberbeiträge und damit die Lohnnebenkosten senken. Diese Argumentation ist ebenso töricht wie dumm. Niedriglöhne müssen nicht erst geschaffen werden - sie existieren bereits! Da es in der BRD keine gesetzlichen Mindestlöhne gibt, wird die untere Auffanglinie gegenüber Niedriglöhnen in der Tat durch die Sozialhilfe gesetzt. Die orientiert sich an dem Tatbestand, dass die BRD ein Land mit einem insgesamt hohem Lebensstandard und Einkommensniveau ist. Der Versuch also, durch eine Niedriglohnstrategie Existenzminimum und Lohnsätze abzusenken, um Arbeit zu schaffen, ist nicht nur aus sozial-, sondern aus auch gesellschaftlicher Sicht problematisch. Unter diesen Bedingungen wird dann doch eher billige Arbeit „teure“ Arbeit verdrängen, das Gesamtvolumen der nachgefragten Arbeit sich aber nicht vergrößern. Daher kann es auch höchst fraglich gelten, ob dadurch zusätzliche Arbeitsplätze entstehen werden. Statt den Betroffenen zu helfen, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, kommt es zu einer „passiven Versorgung“ durch die Bundesagentur für Arbeit. Kritiker behaupten daher gerne, ein Großteil der Arbeitslosen suche in Wirklichkeit gar keine Arbeit, sondern melde sich nur arbeitslos, um die staatliche Unterstützung zu kassieren. Diese sei so hoch, dass es sich gar nicht erst lohne, eine Arbeit aufzunehmen. Wie bereits erwähnt lässt sich allerdings feststellen, dass beide Leistungen so bemessen werden, dass sie stets unterhalb des vorherigen Arbeitseinkommens liegen. Die These, ohne Arbeit lasse es sich besser leben, als mit, trifft also nicht zu. Die Befunde der Armutsforschung zeigen indes, dass der Sozialhilfebezug gerade bei den Arbeitslosen keine Dauererscheinung ist. Die Betroffenen versuchen, den Zustand der Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebedürftigkeit aktiv zu verändern. Der Sozialhilfebezug wird als belastend empfunden, die Betroffenen sind von sich aus bemüht, einen Arbeitsplatz zu finden. Der Sozialhilfe-Statistik ist zu entnehmen, dass gerade größere Bedarfsgemeinschaften die kürzeste Verweildauer in der Sozialhilfe aufweisen.

Umverteilung von Oben nach Unten anstatt umgekehrt!
Alles in allem ist die Argumentation von Hartz IV so durchlöchert wie ein Schweizer Käse.
Von Alt-68ern wie von den rot-grünen Damen und Herren hätte man eigentlich erwarten müssen, dass sie einen anderen Kurswechsel verfolgen. Nämlich einen Kurswechsel durch mehr Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten. Wegen der wachsenden Ungleichheit ist ein der sozialen Gerechtigkeit verpflichteter Wohlfahrtsstaat nötiger den je. Standortkonkurrenz und Wettbewerbswahn können daher als Nullsummen-Spiel betrachtet werden, bei dem die Ökonomie gewinnt, wenn die Bürger eines Staates verlieren. Vielleicht auch ein Kräftemessen, an dessen Ende alle Wirtschaftsstandorte weniger Wohlstand für die Mehrheit der Bevölkerung aufweisen; weitere Schäden für Umwelt, Frieden und Demokratie noch nicht berücksichtigt. Ein Konzept wie Hartz IV bzw. die gesamte Agenda 2010, dessen Potential es ist, die Schwächsten der Gesellschaft zu bestrafen, wird kaum einen Beitrag zu mehr sozialer Demokratie und sozialem Frieden leisten können. Daher muss der in diesem Zusammenhang immer wieder genannte Begriff der „Reformen“ anders interpretiert werden. War er früher ein Begriff, der für Verbesserung stand, handelt es sich heute bei dem Wort fast immer um Leistungskürzungen jeglicher Art. Die Politik der Bundesregierung und der schwarz-gelben Opposition beschränkt sich darauf, den Abbau des Sozialstaates voranzutreiben und tarnt dieses Unterfangen als Umbau.

Diese neoliberale Logik wird nicht aufgehen und kein zusätzlicher Arbeitsplatz wird mit den Hartz-Gesetzen entstehen, sondern die Lebensumstände der Betroffenen werden sich nur noch verschlimmern.

Patrice