Das Geschlecht als Bremse

Allen Bemühungen zum Trotz die mittelalterliche Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern zu durchbrechen, wurde mit dem 01.01.2005 ein erneuter emanzipatorischer Rückschlag eingeläutet, wenn Frauen aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit sowie verschärfter Arbeitsmarktgesetze wieder zunehmend von Männern abhängig werden. Besonders Hartz IV wird hier eine unrühmliche Rolle spielen. Frauen, die durch die Anrechnung des Partnereinkommens jeglichen Anspruch auf eigenständige Existenzsicherung verlieren, haben es schwer, ihr Selbstbewusstsein in der Partnerschaft zu behaupten.

Gleichzeitig ist durch neue Studien ablesbar, wie schlecht es noch immer, und gerade jetzt wieder, um die Mitbestimmung von Frauen in Parteien und Gewerkschaften steht. Die Autorin Barbara Stiegler beschäftigt sich in ihrem Buch „Das Geschlecht als Bremse?“ vornehmlich mit den Bedingungen in den Gewerkschaften und den Gründen der schrumpfenden weiblichen Beteiligung.

Dabei stellt sie zuerst fest, dass beim Studieren der Mitgliederstatistiken „in allen Großorganisationen die relativ geringe Beteiligung der Frauen auffällt“ und durch „alarmierende Rückgänge des Engagements bei Berufsanfängern und –anfängerinnen“ sowie immer schwieriger werdenden Mitgliederwerbung diese Entwicklung über kurz oder lang auch nicht schnell zu kippen ist. Als Beispiel erwähnt sie die Entwicklung der IG Metall, bei welcher der Mitgliederrückgang innerhalb von drei Jahren beträchtlich ist, bei jungen Frauen um 54%, bei jungen Männern um 39%. Auffallend ist, dass der Rückgang im Osten generell extremer ist als im Westen und dort am krassesten bei den jungen Arbeiterinnen zu Tage tritt, hier liegt er bei minus 75%.

Zur Interpretation dieser Zahlen wirft Barbara Stiegler die Frage auf, ob die potentielle Mitgliedschaft einer Gewerkschaft „überhaupt eine gleiche Verteilung der Geschlechter aufweist.“ Ihrer Meinung nach, sind potentielle Mitglieder durch geschlechtsspezifische Strukturen des beruflichen Bildungssystems und des Erwerbsarbeitsmarktes bereits „vorsortiert durch die Krisen auf dem Ausbildungsstellenmarkt und durch Probleme im Beschäftigungssystem noch verstärkt, weil diese Krisen Frauen härter als Männer treffen, insbesondere im Osten der Republik.“

Mit einigen Thesen versucht die Autorin darzustellen, weshalb es für Frauen so schwierig ist sich in einer Gewerkschaft zu beteiligen:

Junge Frauen nehmen nicht im gleichen Umfang wie junge Männer am Erwerbsleben teil, dies ist aber eine Grundvoraussetzung für die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Die Erwerbsquote junger Frauen (zwischen 15 bis 20 Jahren) ist geringer als die junger Männer: 1993 lag diese Quote im Westen bei jungen Frauen mit 33% um 5 Prozentpunkte niedriger als bei jungen Männern, im Osten sogar um 6,5 Prozentpunkte. Besonders im Osten sind die Chancen für junge Frauen, einen Ausbildungsplatz im dualen System zu bekommen, schlecht. Obwohl junge Frauen 52% aller Bewerber stellen, ist ihr Anteil an denen, die einen betrieblichen Ausbildungsplatz erhalten, nur 45%. Dafür sind sie zu 71% in den über die Gemeinschaftsinitiative Ost finanzierten außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen für „marktbenachteiligte“ Jugendliche vertreten.

Die geschlechtsspezifischen Zuweisungsprozesse in bestimmte Berufe befördern Frauen eher in Positionen, in denen eine gewerkschaftliche Organisation nicht die Regel ist. Der Trend zu typischen Frauen- und Männerberufen ist ungebrochen, auch die erstaunliche Tatsache, dass die geschlechtstypische Berufswahl für junge Männer noch stärker zutrifft als für junge Frauen - allerdings mit dem Effekt, dass junge Männer in den für sie typischen Berufen mehr Sicherheit, Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten finden. Die Entscheidung für einen Frauen- bzw. Männerberuf, in dem sichtbar viele Frauen bzw. Männer arbeiten, bringt dabei zumindest keine Irritation der Geschlechtsidentität - wenn auch die konkreten Erfahrung in den Berufen viele dennoch zum Ausbildungsabbruch treibt. Die geschlechtsspezifische Struktur des Ausbildungsstellenmarktes und Arbeitsmarktes ist eine wichtige Weichenstellung für die subjektive Orientierung. Einige junge Frauen setzen es sich in den Kopf, einen geschlechtsuntypischen gewerblich-technischen Beruf zu ergreifen und wenige werden auch mit den dort vorhandenen Widerständen fertig. Ebenso geht es einigen jungen Männern, die im sozialen Dienstleistungsbereich arbeiten wollen, wenn auch die Widerstände, die ihnen hier entgegentreten, weniger massiv sind. Ganz im Gegenteil werden in ihnen häufig sogar die zukünftigen Vorgesetzten gesehen. In diesen Fällen produzieren geschlechtsspezifische Berufe die Geschlechterhierarchie in doppelter Weise: Zum einen erhalten sie die unteren Positionen überwiegend für Frauen, zum anderen offerieren sie bessere Positionen den wenigen Männern. Junge Frauen im gewerblich-technischen Bereich, in der Männerdomäne, bleiben allerdings weiterhin vereinzelt. Im industriellen Bereich ist der Platz für weibliche Auszubildende das kaufmännische oder technische Büro oder das Labor. So münden junge Frauen überwiegend in Berufsbereiche ein, in denen gewerkschaftliche Organisierung weniger zur Tradition und Betriebskultur gehört als es in den Bereichen der Fall ist, in denen junge Männer überwiegend arbeiten.

Junge Frauen landen häufiger als junge Männer in Betriebsstrukturen und betrieblichen Segmenten, in denen eine gewerkschaftliche Organisierung nicht traditionell zur Betriebskultur gehört. Junge Frauen bekommen überwiegend und noch stärker als junge Männer in Klein- und Mittelbetrieben einen Ausbildungsplatz: Hier ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad generell geringer. In Klein- und Mittelbetrieben ist branchenübergreifend die Entscheidung, einer Gewerkschaft beizutreten, weitaus seltener als in Großbetrieben. Auch Büros oder Labors sind betriebliche Segmente, in denen die gewerkschaftlichen Organisationsgrade auch bei Männern niedriger sind als in den Produktionsbereichen. Junge Frauen haben damit häufiger als junge Männer Teil an einer betrieblichen Kultur, bei der die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft eher eine Seltenheit darstellt.

„Politik“ wird von vielen als männlich geprägtes Feld empfunden, junge Frauen haben zwar eine Nähe zu vielen Problemen, für die politische Lösungen gefunden werden müssen, die Formen allerdings, mit der die Politik diese Lösungen angeht, sind ihnen noch fremder als jungen Männern, weil sie neben der Undurchsichtigkeit der Prozesse auch ganz wenige weibliche Vorbilder dort finden, die ihre Sprache sprechen und Distanz zum politischen Geschäft formulieren. Wenn junge Frauen sich eher an unkonventionellen Politikformen beteiligen, ist dies ein Ausdruck dafür, dass es ihnen leichter fällt, ihre Anliegen gleichberechtigt dort einzubringen, wo sie Organisationsformen finden, in denen auch Männer von den traditionellen Geschlechterbildern abweichen.

Gewerkschaften als Großorganisationen sind Systeme, die eine hierarchische Geschlechterdifferenz selber reproduzieren und Frauen dadurch eher ausgrenzen. Die Strukturen und Interaktionskulturen in Gewerkschaften widersprechen den Anforderungen, die junge Frauen artikulieren: sie fordern flache Hierarchien, kooperative Arbeitsformen, Transparenz und projektorientierte Arbeitsweisen. Die mangelnde Innovationskraft der Großorganisationen in diese Richtung schließt indirekt junge Frauen aus.

Gewerkschaften müssen die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung in ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung bewerten und eine Politik entwickeln, die beide Arbeitsbereiche in ihren strukturellen Zusammenhängen im Blick hat. Dann sehen sich auch junge Frauen weniger gezwungen, diese Probleme zu individualisieren und könnten sich eher an gewerkschaftlicher Arbeit beteiligen. Junge Frauen wollen nicht als defizitäre Menschen betrachtet werden, sondern brauchen Organisationsstrukturen, in denen sie selbstverständlich und erfolgreich mitgestalten können. Dazu müssen innere Reformprozesse durchgeführt werden, die die Voraussetzung dazu schaffen, dass sich Frauen mit dem ihnen zugewiesenen doppelten Arbeitsfeld und den daraus resultierenden anderen Sichtweisen als gleichberechtigte Mitglieder an der Gestaltung der gewerkschaftlichen Politik beteiligen können.

Zitiert aus: „Das Geschlecht als Bremse? Lebenswirklichkeiten junger Frauen und gewerkschaftliche Organisation“ von Barbara Stiegler, hrsg. vom Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Dr. Barbara Stiegler, Dipl.-Psychologin, Dipl.-Pädagogin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Arbeits- und Sozialforschung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Arbeitsschwerpunkt: Frauenforschung.


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