Hagen in den 80ern

Hagen heute

 

 

The Incredible Interview:

Hagen, Ex-Bassist der Ärzte, stand Rede und Antwort


Hagen Liebing wurde 1961 in Berlin geboren und spielte dort von 1986 bis 1988 bei der Besten Band der Welt: Die Ärzte. Nachdem sich das Trio trennte und The Incredible Hagen den Bass in den Keller stellte, beendete er sein Studium als Medienwissenschaftler mit einer Diplomarbeit zur Lindenstraße und der Abhandlung „Das Frauen- und Männerbild in Russ Meyers Film `Faster Pussycat! Kill! Kill!´“. Er schrieb als freier Autor für Tagesspiegel, Tip, Rolling Stone und Max, wurde Gag-Autor für Thomas Koschwitz und Harald Schmidt, veröffentlichte das Buch „Endlich Buntes - 100 Prominente verjubeln ihr Begrüßungsgeld“, war Musikberater des Spielfilms „Wie Feuer und Flamme“ und ist seit 1997 Leitender Musikredakteur beim Tip Berlin.
Am 21.6.2002, beim großen Die Ärzte-Jubiläumskonzert „15 JAHRE NETTO“ vor 35 000 Zuschauern, stand Hagen zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder mit seiner alten Band auf der Bühne und wurde vom Publikum stürmisch gefeiert, als er den Song „2000 Mädchen“ spielte.


Sophie: Was haben deine Eltern davon gehalten, dass du dein Studium unterbrechen wolltest, um Rockstar zu werden?
Hagen: Die waren erstmal sauer. Auch wenn ich damals nebenbei zum Beispiel als Lieferant für Fernseher, Stereoanlagen und Ähnliches gejobbt habe, haben sie mir das Studium, meine damalige Wohnung, Essen etc. mitfinanziert.

Bevor du zu den Ärzten gekommen bist, war Sahnie der Bassist der Ärzte. War es für dich sehr schwer in die bestehende Band zu kommen, und dich von Anfang an beweisen zu müssen?
Auf der einen Seite war es natürlich schwer, weil Jan und Dirk ein zwischenmenschlich und musikalisch bestens eingespieltes Team waren und sind. Andererseits war das aber auch der große Vorteil, denn ich musste mich lediglich um meine eigenen Fortschritte kümmern, alles andere war bereits perfekt.

Manchmal ist es ja sehr schwer als „Neuankömmling“ in eine Band zu kommen und da, vor allem auf Tourneen, Anschluss zu finden. Wer waren deine Bezugspersonen auf den Tourneen?
Auf den Tourneen hatten wir meistens Doppelzimmer und da Jan und ich Nichtraucher sind, und auch nicht jeden Tag Alkohol tranken, haben wir uns meistens ein Zimmer geteilt. Auch sonst hatten wir in etwa die gleichen Interessen, und haben uns gut verstanden. Und dann war da auch noch Yentzi, unser T- Shirt Verkäufer, mit dem ich auch absolut auf einer Wellenlänge lag.

Eine Tour ist bestimmt sehr abwechslungsreich, vor allem wenn es die erste ist. Wie würdest du das Tourleben in fünf Stichpunkten beschreiben?
Puh, denk, denk…Ich würde das Tourleben als lustig, überwältigend, aufregend, aber gleichzeitig als monoton und wie einen Schulausflug beschreiben.

Wenn das Tourleben so aufregend ist, dann hast du doch bestimmt ein besonders schönes oder lustiges Erlebnis was sich dir ins Gedächtnis eingebrannt hat?
Das lustigste war eigentlich, dass mich eine Frau in Linz (Österreich) ohne mir ersichtlichen Grund heiraten wollte! Aber nur ein einziges schönstes Erlebnis gibt es eigentlich nicht. Dauerschön war das Gefühl, wenn man auf der Bühne steht, merkt dass das Publikum total mitgeht und das musikalische einfach stimmt. Das ist sowieso die beste Voraussetzung für ein Konzert, wenn’s allen Spaß macht ist es immer am besten.

Am 21. Juni 2002 fand auf dem Mariannenplatz in Kreuzberg das geniale Konzert „15 Jahre Netto“ statt. Auch du wurdest dazu von den Ärzten und ihrem Manager Axel Schulz eingeladen. Hast du diese Einladung sofort angenommen?
Als mich Axel am Telefon gefragt hatte war ich erstmal geschockt und überwältigt. Nach 15 Sekunden Denkprozess habe ich zugesagt und kurze Zeit später vor rund 35 000 Fans „2000 Mädchen“ gespielt.

Wie ist das Lied „2000 Mädchen“ entstanden?
Das Lied ist damals, ich glaube, irgendwo in Bayern entstanden. Da stand in einer Zeitung, dass ein Mann wildfremde Frauen angerufen hat und sie per Telefon belästigt hat (darum auch:“2000 Mädchen, ich ruf sie…“). Diesen Artikel haben wir damals gelesen und weil Jan aus allem möglichen Texte schreiben kann, hat er es bei diesem Artikel auch gemacht.

Wenn du in ca. 14 Jahren von Jan angerufen werden würdest, und der dich fragen würde, ob du an einem „30 Jahre Netto“ Konzert teilnehmen möchtest, würdest du zusagen?
Ich würde es auch dann wieder sehr gerne machen, aber ich glaube nicht, dass Die Ärzte mit 50 Jahren noch Lust haben werden, auf der Bühne zu stehen.

Wer macht deiner Meinung nach die besten Live–Auftritte, außer natürlich Die Ärzte?
Die in letzter Zeit besten Konzerte waren von „The Darkness“ und „Delays“. Die rocken richtig und bieten auch was fürs Auge.

Dank dem Fernsehen werden wir ja mit Casting- Shows, à la „ Deutschland sucht den Superstar“, „Popstars“ und wie sie alle heißen, bombardiert. Was hältst du davon?
Die Antwort kann ich sehr kurz machen: Alles Schwachsinn!

Meinst du dort gewinnen die stimmlich besten oder die, die sich mit ihrem Aussehen am besten verkaufen?
Das ist mir eigentlich ziemlich egal, die sind sowieso alle dressiert. Es kommt aber als Sänger nicht darauf an eine super Stimme zu haben, sondern aus der Stimme, die man hat, das Beste rauszuholen.

Gut, was ganz anderes, wie würdest du das aktuelle Album der Ärzte, „Geräusch“, beschreiben?
Auch kurz: Vielseitig, überraschend und gleichzeitig auch wieder erwartungsgemäß. Bei den Ärzten ist das schöne, das sie einen komplett eigenen, wieder erkennbaren Stil haben. Welche andere Band hat das schon?

Ihr vom TIP habt dieses Jahr die 100 besten Ärzte Songs von den TIP Lesern und den Hörern von Fritz wählen lassen. Was sind deine vier Lieblingslieder der besten Band der Welt?
Das ist bei diesem riesen Angebot eine verdammt schwere Frage! Aber ich denke „Für immer“, weil es auf der Bühne die meisten Gefühle rübergebracht hat, „Dinge von Denen“, „Mit dem Schwert nach Polen, warum Renè?“ und auf jeden Fall „Zu spät“.

Wie bist du Pressesprecher bei „Tennis Borussia Berlin“ geworden?
Der Verein hat erst in der 1. Liga gespielt, ist dann aber leider bis in die 4. Liga abgerutscht. Zu dem Zeitpunkt habe ich mir gedacht ich muss den Club noch mehr unterstützen und bin Mitglied geworden. Letztes Jahr wurde ich dann gefragt, ob ich nicht der Pressesprecher werden möchte und ich hab zugesagt. Als Pressesprecher formuliere ich Meldungen und leite Interviewanfragen weiter, vertrete den Verein bei Pressekonferenzen, kümmere mich um die Werbung und organisiere Feste.

Als abschließende Frage, hast du Sehnsucht danach wieder auf der Bühne zu stehen?
Nein, weil ich meine Bühnenerfahrungen in dieser positiven Erinnerung behalten möchte. Außerdem habe ich mit den Ärzten schon fast das Maximum erlebt. Dann bedanke ich mich für dieses ausführliche und spannende Interview und wünsche dir alles Gute für deine Zukunft.

Das Interview führte Sophie.