Reif für die Insel oder Europa?
Silvio Berlusconi – reif für Europa?
Mit Silvio Berlusconi feiert im Mai diesen Jahres ein Regierungschef sein dreijähriges
Dienstjubiläum, der bis Ende Dezember 2003 turnusgemäß den Vorsitz
im Rat der Europäischen Union innehatte, gegen den aber – auf der
anderen Seite – auch lange selbst Sanktionen innerhalb der Europäischen
diskutiert wurden. Solche Maßnahmen, wie sie einst im Fall Österreich
mit der Regierungsbeteiligung der rechts-populistischen FPÖ in Erwägung
gezogen wurden, sind allerdings nur dann innerhalb der Staatengemeinschaft der
Europäischen Union denkbar, wenn bewiesene Verstöße gegen europäische
Vertragsgrundsätze vorliegen. Da im Verhältnis souveräner Staaten
grundsätzlich das Interventionsverbot – d. h. die Nichteinmischung
in innere Angelegenheiten eines Staates gilt – hat jeder Staat für
sich das Recht, sein eigenes Gesellschaftssystem frei zu wählen. Dies gilt
daher trotz der massiven Kritik am Politikstil des Ministerpräsidenten
auch für Italien und damit für Silvio Berlusconi. Das Souveränitätsprinzip
wird im Rechtsraum Europa allerdings in vielfältiger Hinsicht durchbrochen,
denn im Rahmen verschiedenster Verträge und Institutionen – deren
wichtigste die Europäische Union, die Europäische Menschenrechtskonvention
und der Europarat sind – räumen sich die europäischen Mitgliedsstaaten
immer stärkere Mitspracherechte bis in die Kernbereiche nationaler Souveränität
ein. Insbesondere die Europäische Union beschränkt sich schon lange
nicht mehr auf eine bloße Wirtschaftsintegration. Da sich jeder Bürger
an das von ihr gesetzte Recht halten muß, verfügen die Mitgliedsländer
untereinander über das Recht, von ihren Vertragspartnern die Einhaltung
von Mindeststandards demokratischer Rechtsstaatlichkeit ein-zufordern. Im einzelnen
zählen dazu die Gewährleistung der Europäischen Menschenrechte
und die Verfassungsprinzipien einer o?enen Gesellschaft wie etwa die demokratische
Legitimation der Staatsführung, die Mehrheitsentscheidungen und der Minderheitenschutz,
die Herrschaft des Rechts, die Unabhängigkeit der Justiz und die Grundsätze
der Gewaltenteilung. Die EU kann also von ihren Mitgliedsstaaten verfassungsrechtliche
Mindeststandards fordern. Die Hauptpoblematik offenbart sich allerdings darin,
daß ein Land zwar formal mit den EU-Verträgen in Einklang steht,
aber in der konkreten Anwendung (oder Nichtanwendung) derselben zeitgleich auch
gegen diese verstoßen kann; ein in Italien momentan häufig anzutreffender
Befund. In Sachen Berlusconi sind es u. a. drei Bereiche, in denen ein Verstoß
gegen Artikel 7 der EU-Verträge in Betracht kommt: seine Medienmacht, die
Instrumentalisierung des Parlamentes und der Eingriff in die unabhängige
Justiz.
Berlusconis Medienmacht
Als Unternehmer in die Politik gegangen, um dem Sumpf von Korruption und Bestechung
zu bekämpfen, doch selbst aus ihm entstammend, ist Berlusconi Firmeninhaber
von „Fininvest“ und „Mediaset“ und betreibt die drei
ein?ußreichsten Privatsender Rete 4, Canale 5 und Italia 1. Als Berlusconi
offiziell seinen Eintritt in die Politik verkündete, war er laut Meinungsumfragen
bereits die Person, die sich die meisten Italiener als Ministerpräsidenten
wünschten, obgleich er keinerlei politische Erfahrung vorweisen konnte.
Seit seiner Macht-übernahme im Mai 2001 kontrolliert er zusammen mit der
„Alleanza Nazionale“ und der „Lega Nord“ dazu noch alle
drei Sender der RAI, des öffentlich-rechtlichen Fernsehen Italiens. Nun
mag man darüber denken, wie man möchte, doch bedient sich Berlusconi
eindeutig unfairer Mittel, um seine politischer Interessen zu artikulieren.
Der politische wie unternehmerische Zwiespalt liegt darin, daß er sich
nicht von den jeweiligen Posten in den Aufsichtsräten seiner Firmen trennen
wollte und mit dem Amt des Ministerpräsidenten zeitgleich seine Funktion
als Wirtschaftsmanager und Staatsmann vermischte. Dieser Zustand stellt einen
schwerwiegenden Verstoß gegen das europäische Rundfunkgesetz dar,
denn der Artikel 7 des EU-Vertrages garantiert in den Mitgliedsstaaten eine
pluralistische Rundfunkordnung. Die EU-Mitgliedsstaaten sind aber verpflichtet,
in ihrem Land die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß ein Mindestmaß
an Informations- und Meinungsvielfalt herrscht.
Mißbrauch des Parlamentes für persönliche Zwecke
Gegen Berlusconi liefen und laufen mehrere Ermittlungsverfahren wegen Untreue,
Bilanzfälschung, Korruption, Geldwäsche und anderer Verbrechen. Um
Verurteilungen zu entgehen, ändert Berlusconi seit 2001 mit seiner Stimmenmehrheit
im italienischen Parlament und dem Senat ein Gesetz nach dem anderen. So beschloß
im Oktober 2002 das Parlament ein Gesetz, wonach ein Angeklagter nur beim bloßen
subjektiven Verdacht auf Befangenheit der Richter eine Verlegung des Prozesses
in eine andere Stadt beantragen kann. Zuvor hatte die Regierungsmehrheit bereits
beschlossen, daß Bilanzfälschungen nicht mehr strafbar sein sollen
und damit Berlusconi einen weiteren Prozeß vom Halse geschafft. Mit der
Stimmenmehrheit der rechtsextremen „Alleanza Nazionale“ und der
separatistischen „Lega Nord“ im Parlament schafft Berlusconi de
facto die Geltung des Rechts ab, soweit es seinen privaten Interessen zuwiderläuft.
Kritiker von Berlusconi behaupten stets, die Gesetzesentwürfe stammen direkt
aus den Anwaltskanzleien von Berlusconis Firmen. Das ist, wenn auch nicht bewiesen,
zumindest plausibel, da sämtliche Gesetze, die vor allem den Zweck hatten,
Berlusconi vor dem Zugriff der Justiz zu schützen, im wesentlichen von
den Anwälten des Ministerpräsidenten verfaßt worden sind. Das
Recht dazu haben sie ja, sie sitzen als Abgeordnete der Berlusconi-Partei „Forza
Italia“ im italienischen Parlament.
Eingriff in die unabhängige Justiz
Berlusconi sah sich bekannterweise wie oben erwähnt mit einer Reihe von
Prozessen konfrontiert. Er und seine Anhänger tun diese allerdings als
politische Schikane ab. Im Wahlkampf konnte er durch seine Rechtfertigungsstrategie
bei den Wählern punkten und ging in die Offensive. Er fühle sich von
einer politisierten Justiz geradezu verfolgt, insbesondere von einer bestimmten
Gruppe von Staatsanwälten und Richtern in Mailand. Diese betonen hingegen
die Rechtmäßigkeit und Nachprüfbarkeit ihrer Nachforschungen
und Anklagen. Berlusconi und seine Medien lassen daher keine Gelegenheit aus,
Italiens Richter und Staatsanwälte als „Kommunisten“ und „Rote
Roben“ zu bezeichnen. Die Justiz werde ihm nichts anhaben, glaubt Berlusconi
zuversichtlich, nur das Volk‘ dürfe über ihn urteilen. Das habe
ihn schließlich gewählt. Gegen die Mafia ermittelnde Staatsanwälten
entzieht er Personenschutz, mißliebige Richter versucht er mit Hilfe seines
Justizministers abzusetzen. Er plant unter anderem zur Disziplinierung der Richter
die Einführung eines neuen Straftatbestandes, den des „Fehlurteils“,
das mit drakonischen Strafen belegt werden soll. Mit all diesen Einschüchterungsversuchen
der Justiz setzt Berlusconi zum Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip
an. Damit ebenfalls gegen die im Artikel 7 des Europäischen Vertrages festgehaltenen
Kernprinzipien des Europäischen Verfassungsstaates.
Der Widerstand in Italien wächst – muss Berlusconi unter
Aufsicht der EU?
In Italien des Silvio Berlusconi liegt damit erstmals in der Geschichte der
Europäischen Union ein klarer Bruch europäischer Verfassungsprinzipien
vor. Die beachtlichen Proteste und Gegenbewegungen bis hin zum mehrfachen erfolgreichen
Generalstreik in Italien, inklusive der Widerstand der Richterschaft sprechen
dafür, daß noch Hoffnung in Italien selbst besteht und es nicht zu
einer Intervention aus Brüssel oder Straßburg kommen muß. So
läßt die italienische Staatsanwaltschaft vom Europäischen Gerichtshof
prüfen, ob die selbstverordnete Amnestie Berlusconis durch die Abschaffung
des Bilanzstrafrechts mit europäischem Bilanzrecht vereinbar ist. Auch
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte eingeschaltet
werden, wenn Berlusconi mit seinen Verleumdungsklagen gegen seine Kritiker von
der italienischen Justiz Recht bekäme. Mit Silvio Berlusconi wagte ein
italienischer Unternehmer den entscheidenden Schritt von der Wirtschaft in die
Politik mit dem Anspruch, das Land von dem Regime der „tangentopoli“
zu befreien. „Tangen-topoli“ wird in etwa mit „Schmiergeld-Republik“
übersetzt und bezeichnet ein Netz von Bestechung und Korruption, das sich
über das ganze Land ausgebreitet hatte.
Daß er allerdings selbst diesem Sumpf der Korruption entstammt, indem er als Medienunternehmer über Jahre mit Dekreten und Gesetzen u. a. von seinem besten Freund – dem Sozialistenchef Bettino Craxi – bevorzugt wurde, verdeutlichen die vielen Strafanzeigen, denen er sich stellen mußte und sich noch zu stellen hat. So wurde Berlusconis Regierungsübernahme von einer Flut publizistischer wie politikwissenschaftlicher Literatur kommentiert, die durch seine Medienmacht den Wandel der italienischen Demokratie vorhersahen. Betont werden muß daher, daß es der Europäischen Union im Falle Italiens nicht per se gegen Berlusconi geht, sondern für eine Einhaltung der europäischen Vertragsgrundsätze, auch wenn besonders betont werden muß, daß er Postfaschisten und Mussolini-Anhänger an die Macht verhalf. Berlusconi müßte die diversen Rechtsrüche abstellen und könnte dann weiterhin sein politisches Programm verfolgen, unabhängig von der politischen Wertung, die sich der EU enthält. Da dieses noch nicht sichtbar wird, verdient in dieser Hinsicht das „Phänomen Berlusconi“ weiterhin kontinuierlich beobachtet zu werden.
Patrice
Info:
„Berlusconi und das EU-Recht“
von Christoph Palme in: „Blätter für deutsche und internationale
Politik“, Ausgabe April 2003
„Italien im Aufbruch – eine Zwischenbilanz“
von Bernd Rill (Hrsg.): , Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen Nummer
37, Hanns-Seidel-Stiftung, Akademie für Politik und Zeitgeschehen, abrufbar
unter:
www.hss.de/downloads/argumente_materialien_37_Italien_im_Aufbruch.pdf