Nachdem Italien die europäische Ratspräsidentschaft Anfang Januar 2004 an Irland abgab, scheinen die Verhandlungen um die Europäische Verfassung reibungsloser zu verlaufen. „König Silvio“ ist wieder zu Hause und muß sich dem massiven Protest im eigenen Land gegen seinen neoliberalen Politikstil stellen. Zurück in Brüssel bleiben Fragen, was nun die Ratspräsidentschaft unter Berlusconi gebracht habe. Der Thron des Königs bröckelt, doch wer ist dieser Mensch eigentlich, was macht seinen Politikstil aus?


Reif für die Insel oder Europa?

Silvio Berlusconi – reif für Europa?


Mit Silvio Berlusconi feiert im Mai diesen Jahres ein Regierungschef sein dreijähriges Dienstjubiläum, der bis Ende Dezember 2003 turnusgemäß den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehatte, gegen den aber – auf der anderen Seite – auch lange selbst Sanktionen innerhalb der Europäischen diskutiert wurden. Solche Maßnahmen, wie sie einst im Fall Österreich mit der Regierungsbeteiligung der rechts-populistischen FPÖ in Erwägung gezogen wurden, sind allerdings nur dann innerhalb der Staatengemeinschaft der Europäischen Union denkbar, wenn bewiesene Verstöße gegen europäische Vertragsgrundsätze vorliegen. Da im Verhältnis souveräner Staaten grundsätzlich das Interventionsverbot – d. h. die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eines Staates gilt – hat jeder Staat für sich das Recht, sein eigenes Gesellschaftssystem frei zu wählen. Dies gilt daher trotz der massiven Kritik am Politikstil des Ministerpräsidenten auch für Italien und damit für Silvio Berlusconi. Das Souveränitätsprinzip wird im Rechtsraum Europa allerdings in vielfältiger Hinsicht durchbrochen, denn im Rahmen verschiedenster Verträge und Institutionen – deren wichtigste die Europäische Union, die Europäische Menschenrechtskonvention und der Europarat sind – räumen sich die europäischen Mitgliedsstaaten immer stärkere Mitspracherechte bis in die Kernbereiche nationaler Souveränität ein. Insbesondere die Europäische Union beschränkt sich schon lange nicht mehr auf eine bloße Wirtschaftsintegration. Da sich jeder Bürger an das von ihr gesetzte Recht halten muß, verfügen die Mitgliedsländer untereinander über das Recht, von ihren Vertragspartnern die Einhaltung von Mindeststandards demokratischer Rechtsstaatlichkeit ein-zufordern. Im einzelnen zählen dazu die Gewährleistung der Europäischen Menschenrechte und die Verfassungsprinzipien einer o?enen Gesellschaft wie etwa die demokratische Legitimation der Staatsführung, die Mehrheitsentscheidungen und der Minderheitenschutz, die Herrschaft des Rechts, die Unabhängigkeit der Justiz und die Grundsätze der Gewaltenteilung. Die EU kann also von ihren Mitgliedsstaaten verfassungsrechtliche Mindeststandards fordern. Die Hauptpoblematik offenbart sich allerdings darin, daß ein Land zwar formal mit den EU-Verträgen in Einklang steht, aber in der konkreten Anwendung (oder Nichtanwendung) derselben zeitgleich auch gegen diese verstoßen kann; ein in Italien momentan häufig anzutreffender Befund. In Sachen Berlusconi sind es u. a. drei Bereiche, in denen ein Verstoß gegen Artikel 7 der EU-Verträge in Betracht kommt: seine Medienmacht, die Instrumentalisierung des Parlamentes und der Eingriff in die unabhängige Justiz.

Berlusconis Medienmacht
Als Unternehmer in die Politik gegangen, um dem Sumpf von Korruption und Bestechung zu bekämpfen, doch selbst aus ihm entstammend, ist Berlusconi Firmeninhaber von „Fininvest“ und „Mediaset“ und betreibt die drei ein?ußreichsten Privatsender Rete 4, Canale 5 und Italia 1. Als Berlusconi offiziell seinen Eintritt in die Politik verkündete, war er laut Meinungsumfragen bereits die Person, die sich die meisten Italiener als Ministerpräsidenten wünschten, obgleich er keinerlei politische Erfahrung vorweisen konnte. Seit seiner Macht-übernahme im Mai 2001 kontrolliert er zusammen mit der „Alleanza Nazionale“ und der „Lega Nord“ dazu noch alle drei Sender der RAI, des öffentlich-rechtlichen Fernsehen Italiens. Nun mag man darüber denken, wie man möchte, doch bedient sich Berlusconi eindeutig unfairer Mittel, um seine politischer Interessen zu artikulieren. Der politische wie unternehmerische Zwiespalt liegt darin, daß er sich nicht von den jeweiligen Posten in den Aufsichtsräten seiner Firmen trennen wollte und mit dem Amt des Ministerpräsidenten zeitgleich seine Funktion als Wirtschaftsmanager und Staatsmann vermischte. Dieser Zustand stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen das europäische Rundfunkgesetz dar, denn der Artikel 7 des EU-Vertrages garantiert in den Mitgliedsstaaten eine pluralistische Rundfunkordnung. Die EU-Mitgliedsstaaten sind aber verpflichtet, in ihrem Land die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß ein Mindestmaß an Informations- und Meinungsvielfalt herrscht.

Mißbrauch des Parlamentes für persönliche Zwecke
Gegen Berlusconi liefen und laufen mehrere Ermittlungsverfahren wegen Untreue, Bilanzfälschung, Korruption, Geldwäsche und anderer Verbrechen. Um Verurteilungen zu entgehen, ändert Berlusconi seit 2001 mit seiner Stimmenmehrheit im italienischen Parlament und dem Senat ein Gesetz nach dem anderen. So beschloß im Oktober 2002 das Parlament ein Gesetz, wonach ein Angeklagter nur beim bloßen subjektiven Verdacht auf Befangenheit der Richter eine Verlegung des Prozesses in eine andere Stadt beantragen kann. Zuvor hatte die Regierungsmehrheit bereits beschlossen, daß Bilanzfälschungen nicht mehr strafbar sein sollen und damit Berlusconi einen weiteren Prozeß vom Halse geschafft. Mit der Stimmenmehrheit der rechtsextremen „Alleanza Nazionale“ und der separatistischen „Lega Nord“ im Parlament schafft Berlusconi de facto die Geltung des Rechts ab, soweit es seinen privaten Interessen zuwiderläuft. Kritiker von Berlusconi behaupten stets, die Gesetzesentwürfe stammen direkt aus den Anwaltskanzleien von Berlusconis Firmen. Das ist, wenn auch nicht bewiesen, zumindest plausibel, da sämtliche Gesetze, die vor allem den Zweck hatten, Berlusconi vor dem Zugriff der Justiz zu schützen, im wesentlichen von den Anwälten des Ministerpräsidenten verfaßt worden sind. Das Recht dazu haben sie ja, sie sitzen als Abgeordnete der Berlusconi-Partei „Forza Italia“ im italienischen Parlament.

Eingriff in die unabhängige Justiz
Berlusconi sah sich bekannterweise wie oben erwähnt mit einer Reihe von Prozessen konfrontiert. Er und seine Anhänger tun diese allerdings als politische Schikane ab. Im Wahlkampf konnte er durch seine Rechtfertigungsstrategie bei den Wählern punkten und ging in die Offensive. Er fühle sich von einer politisierten Justiz geradezu verfolgt, insbesondere von einer bestimmten Gruppe von Staatsanwälten und Richtern in Mailand. Diese betonen hingegen die Rechtmäßigkeit und Nachprüfbarkeit ihrer Nachforschungen und Anklagen. Berlusconi und seine Medien lassen daher keine Gelegenheit aus, Italiens Richter und Staatsanwälte als „Kommunisten“ und „Rote Roben“ zu bezeichnen. Die Justiz werde ihm nichts anhaben, glaubt Berlusconi zuversichtlich, nur das Volk‘ dürfe über ihn urteilen. Das habe ihn schließlich gewählt. Gegen die Mafia ermittelnde Staatsanwälten entzieht er Personenschutz, mißliebige Richter versucht er mit Hilfe seines Justizministers abzusetzen. Er plant unter anderem zur Disziplinierung der Richter die Einführung eines neuen Straftatbestandes, den des „Fehlurteils“, das mit drakonischen Strafen belegt werden soll. Mit all diesen Einschüchterungsversuchen der Justiz setzt Berlusconi zum Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip an. Damit ebenfalls gegen die im Artikel 7 des Europäischen Vertrages festgehaltenen Kernprinzipien des Europäischen Verfassungsstaates.


Der Widerstand in Italien wächst – muss Berlusconi unter Aufsicht der EU?
In Italien des Silvio Berlusconi liegt damit erstmals in der Geschichte der Europäischen Union ein klarer Bruch europäischer Verfassungsprinzipien vor. Die beachtlichen Proteste und Gegenbewegungen bis hin zum mehrfachen erfolgreichen Generalstreik in Italien, inklusive der Widerstand der Richterschaft sprechen dafür, daß noch Hoffnung in Italien selbst besteht und es nicht zu einer Intervention aus Brüssel oder Straßburg kommen muß. So läßt die italienische Staatsanwaltschaft vom Europäischen Gerichtshof prüfen, ob die selbstverordnete Amnestie Berlusconis durch die Abschaffung des Bilanzstrafrechts mit europäischem Bilanzrecht vereinbar ist. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte eingeschaltet werden, wenn Berlusconi mit seinen Verleumdungsklagen gegen seine Kritiker von der italienischen Justiz Recht bekäme. Mit Silvio Berlusconi wagte ein italienischer Unternehmer den entscheidenden Schritt von der Wirtschaft in die Politik mit dem Anspruch, das Land von dem Regime der „tangentopoli“ zu befreien. „Tangen-topoli“ wird in etwa mit „Schmiergeld-Republik“ übersetzt und bezeichnet ein Netz von Bestechung und Korruption, das sich über das ganze Land ausgebreitet hatte.

Daß er allerdings selbst diesem Sumpf der Korruption entstammt, indem er als Medienunternehmer über Jahre mit Dekreten und Gesetzen u. a. von seinem besten Freund – dem Sozialistenchef Bettino Craxi – bevorzugt wurde, verdeutlichen die vielen Strafanzeigen, denen er sich stellen mußte und sich noch zu stellen hat. So wurde Berlusconis Regierungsübernahme von einer Flut publizistischer wie politikwissenschaftlicher Literatur kommentiert, die durch seine Medienmacht den Wandel der italienischen Demokratie vorhersahen. Betont werden muß daher, daß es der Europäischen Union im Falle Italiens nicht per se gegen Berlusconi geht, sondern für eine Einhaltung der europäischen Vertragsgrundsätze, auch wenn besonders betont werden muß, daß er Postfaschisten und Mussolini-Anhänger an die Macht verhalf. Berlusconi müßte die diversen Rechtsrüche abstellen und könnte dann weiterhin sein politisches Programm verfolgen, unabhängig von der politischen Wertung, die sich der EU enthält. Da dieses noch nicht sichtbar wird, verdient in dieser Hinsicht das „Phänomen Berlusconi“ weiterhin kontinuierlich beobachtet zu werden.


Patrice

Info:
„Berlusconi und das EU-Recht“
von Christoph Palme in: „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Ausgabe April 2003
„Italien im Aufbruch – eine Zwischenbilanz“
von Bernd Rill (Hrsg.): , Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen Nummer 37, Hanns-Seidel-Stiftung, Akademie für Politik und Zeitgeschehen, abrufbar unter:
www.hss.de/downloads/argumente_materialien_37_Italien_im_Aufbruch.pdf