Gegen die Kürzungslogik: Besetzung einer ehemaligen Kita in Kreuzberg durch das Berliner Sozialforum

 

Berlins Pleite

An dieser Stelle veröffentlichen wir die ge­kürzte Fassung des Positionspapiers von Dr. Thomas Enke, Referent für Haushaltspolitik der PDS–Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, dass die Ursachen der Finanznot von Berlin sehr gut veranschaulicht.

Berlin hat Ende 2003 ca. 51 Mrd. Euro eigene Schulden auf den Kreditmärkten.
Hinzu kommen über 20 Mrd. Euro Risiken der Bankgesellschaft sowie weitere Verbindlichkeiten von mindestens 15 Mrd. Euro jener formal privatrechtlichen Unternehmen, für die Berlin als Alleineigentümer oder Gewährträger letztlich haften muss (Wohnungsbaugesellschaften, Verkehrsbetrieb, Entwicklungsträger usw.). Allein an unmittelbaren öffentlichen Schulden lasten damit auf jedem Bewohner Berlins rund 15100 Euro – das Zweieinhalbfache dessen, was durchschnittlich auf den Schultern der übrigen Bundesbürger an Landes – und Kommunalschulden ruht. Davon stammen 500 Euro, also reichlich 3 %, aus dem Banken–Skandal.
Seit dem rot–roten Regierungsantritt waren zwar 600 Mio. Euro dafür eingestellt worden – tatsächlich floss aber seitdem bisher kein Cent öffentlicher Mittel an die Bankgesellschaft.
Das wird zwar vermutlich künftig nicht so bleiben, aber die Garantie für einen Teil der Risiken der Berliner Bankgesellschaft kostet die Allgemeinheit auch langfristig höchstens die Hälfte dessen, was es bei deren ansonsten unabweisbaren Konkurs 2002 gewesen wäre.
Woher rührt der Berliner Schuldenberg von 51 Mrd. Euro? Ein Drittel sind Schulden, die im alten West–Berlin trotz der üppigen Bundeshilfen (1989 z.B. 6,4 Mrd. Euro direkte Zuschüsse ans Land und weitere 4,7 Mrd. Euro spezielle Steuersubventionen für Westberliner Unternehmen und Beschäftigte) angehäuft wurden, plus die daraus resultierenden Zinsen.
Der Gerechtigkeit halber darf dabei nicht unerwähnt bleiben, dass wiederum allein ein Viertel davon aus der Wendezeit 1989/90 stammen, als das Funktionieren der plötzlich wieder offenen, geeinten Kommune gesichert werden musste. Die beiden von Berliner Nachwende-Po­liti­k zu vertretenden Hauptursachen der übrigen zwei Drittel Schuldenberg sind die frühere Berliner Wohnungsbau– und Personalpolitik. Erstere war höchst unsozial, letztere höchst sozial. Wäre derselbe Wohnungs–Neubau und Sanierung im vergangenen Jahrzehnt nicht mit den überkommenen westberliner, sondern den sonst bundesweit üblichen Instrumenten gefördert worden, so hätte die Stadt sich bisher mindestens 10 Mrd. Euro sparen können. Nutznießer der extremen Subventionen sind nicht die Mieter, sondern Grundstückseigentümer, „Projektentwickler“ und Banken, die von den selber ausgehandelten, bundesweit einmalig hohen nominalen Baukosten profitierten und profitieren.
Das Land subventioniert noch heute bereits 1967 errichtete Wohnungen, die mittlerweile mindestens dreimal bezahlt wurden. Erst unter Rot–Rot hat dieser Irrsinn mit dem Ausstieg aus der sogenannten Anschlussförderung zum Jahresbeginn 2003 endgültig ein Ende gefunden. Rot–Rot hat dabei sicher gestellt, dass keiner der davon betroffenen MieterInnen deshalb obdachlos wird oder erheblich mehr fürs Wohnen bezahlen müsste (befristete Miet–Abfederung und Umzugshilfen).Berlin hat derzeit 39 Prozent mehr öffentlich Bedienstete als der Durchschnitt der übrigen
Länder und Kommunen.
Allein die jährlichen Mehrkosten für Personal und Versorgungsbezüge (Pensionen usw.) bei „Landesbediensteten“ betragen gegenüber dem Länderdurchschnitt rund 1,1 Mrd. Euro.
Der Berliner öffentliche Dienst ist aber deshalb so groß und teuer, weil 1992 auf die außerordentliche Kündigungsmöglichkeit nach Einigungsvertrag für 1990 übernommene Ost–Beschäftigte und bis heute stets auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet wurde, weil Mitte 1994 beginnend und seit Oktober 1996 endgültig gleiche Entlohnung für Ost– und Westbeschäftigte gilt – und zu solchen Entscheidungen stand und steht die PDS ja wohl bundesweit.
Mit dem Anwendungstarifvertrag vom 31.7.03 und dem Sonderzahlungsgesetz hat Rot–Rot diese Philosophie weiter entwickelt:
Verbleib im Flächentarifvertrag plus Kündigungsschutz bis 2009 bei Verkürzung der Arbeitszeit und damit der Entgelte um durchschnittlich 10% für Nicht–Beamte, Rückführung der Arbeitszeit auf bundesweit übliches Niveau bei Reduzierung der Sonderzahlung auf einheitliche – damit sozial verträglichere – Sockelbeträge bei Beamten. Dadurch kann der planmäßige Abbau von 25000 der derzeit 133400 Vollzeit–Stellen bis 2012 erstmals wieder mit einen verbindlichen Einstellungskorridor in den völlig überalterten Berliner öffentlichen Dienst gekoppelt werden. Allein bis 2006 können mindestens 4970 junge Menschen in den Dienst übernommen werden, dessen Kosten trotzdem um 500 Mio. Euro im Jahr sinken.Die finanziell wohl wichtigste, aber naturgemäß nicht exakt bezifferbare Ursache der Berliner Haushaltsmisere liegt jedoch in der Politik der Bundesregierungen Kohl und Schröder mit ihren exorbitanten Einnahmeausfällen bei gleichzeitigen sozialen Mehrausgaben der Stadt begründet. Deshalb klagt Rot–Rot schließlich in Karlsruhe gegen den Bund.Kohls Lüge von den „blühenden Landschaften“ allein durch die Tatsache der Einheit hatte für Berlin besonders verheerende Folgen: Päppelte der Bund 1989 Westberlin noch mit 11,1 Mrd. Euro Steuervergünstigungen und direkten Zuschüssen, so stürzten diese für ganz Berlin bis 1994 auf das auch noch heutige Niveau der für alle Ost–Länder geltenden Bundes–Ergänzungszuweisungen, hier von 2,5 Mrd. Euro jährlich. Nicht zuletzt wegen dieses rabiaten Ausstieges aus einer jahrzehntelangen Subventionierung befindet sich Berlin wie kein anderes Land in einer bereits lang anhaltenden strukturellen Wirtschaftskrise mit entsprechenden Auswirkungen auf sinkende Steuereinnahmen bei gleichzeitig wachsenden Sozialausgaben.
Bundesweit war 1993 letztmalig ein Rezessions–Jahr, die anderen ostdeutschen Länder rutschten im vergangenen Jahr erstmals wieder in eine solche. In Berlin jedoch gab es seit 1996 nur ein Jahr – 2000, als sich der Regierungs– und Parlamentsumzug auswirkte –, wo die Wirtschaftsleistung gegenüber dem Vorjahr nicht zurück ging. Heute ist Berlin – preisbereinigt – auf die Wirtschaftskraft von 1991 zurück gefallen – bundesweit werden durchschnittlich 116,8 % der damaligen erreicht. Die Berliner Steuereinnahmen waren 2002 so niedrig wie seit 1993 nicht mehr. Andererseits stieg in der selben Zeit die Zahl der ausschließlich von Sozialhilfe Abhängigen von 200000 auf 260000 – auf der Stadt lasten damit zweieinhalbmal so hohe Sozialhilfeausgaben pro Kopf wie auf den anderen ostdeutschen Kommunen. Außerdem brechen die öffentlichen Einnahmen wegen der von allen bundespolitisch relevanten Parteien – ausgenommen PDS – betriebenen Steuerpolitik weg und werden immer unkalkulierbarer. So wurden nach dem Beschluss der „Steuerreform 2000“ Berlin für 2002 Einnahmen an Steuern und Zuflüssen aus dem Länderfinanzausgleichs–System von 12,42 Mrd. Euro prognostiziert – tatsächlich konnten dann nur 10,46 Mrd. Euro vereinnahmt werden. Nach der jüngsten Steuerschätzung vom November werden 2003 Berlin 480 Mio. Euro Einnahmen – d. h. fast 5 Prozent gegenüber einer nur ein halbes Jahr zurückliegenden Planung! – fehlen.All das sind gute objektive Gründe für eine Klage gegen die bestehende Finanzverfassung der BRD.

Dr. Thomas Enke