Leitartikel zum Bildungsnotstand:

Junge Kreative zum Protest!


Berliner Universitäten im Streik
Mit Schlafsack und Campingkocher vor dem Roten Rathaus wochenlang Mahn­wachen halten, in Sensenmann-Uniform wird die Bildung im Sarg zu Grabe getragen und die längste Vorlesung der Welt wird auch nachts 3 Uhr in eisiger Kälte gehalten. Ver­ausgabung und totale Erschöpfung waren meist die Folgen dieses selbstlosen Einsatzes gegen die Bildungs­kürzungen. „Frisch ge­strichen!“ steht auf den Transparenten. Und „Sparglöckchen klingelingeling“ wird auf dem Weihnachtsmarkt mit um­gedichteten Texten gesungen.
Noch bevor erste Forderungen geklärt werden konnten, meldeten sich Einige aus der aufgeheizten Masse zu Wort: „Lasst uns endlich in den Streik treten!“ „Vernetzt euch, Engagiert euch!“ rufen die Plakate der ASTA zum Protest auf. Die Institute wurden besetzt. In verrauchten Uni-Cafés wurde über Aktionen beraten: neu, länger und vor allem kreativ. Nach vier Wochen Uni-Streik äußerte sich der Wissenschaftssenator Berlins Dr. Thomas Flierl, er sei erstaunt über das Durch­haltevermögen und den Ideenreichtum des Studentenprotests.
Spaß macht das Ganze natürlich auch noch: bei Sleep-Ins über neue Gesellschaftssysteme diskutieren... Die Architekturstudenten der TU erwärmen sich ihre erstarrten Hände über brennenden Mülltonnen und halten ihre Seminare in selbstgebauten Slums.
„Wir hatten einfach die Idee, da jetzt reinzugehen!“ erzählt eine Erstürmerin der PDS-Zentrale, die ihr neu er­­obertes Reich in eine Streikzentrale ver­­wandelten. Die Genossen der PDS wurden sogar sozial: sie erklärten den Parteienbesitz in den Händen der diskussionsbereiten Besetzer für gut aufgehoben und schickten Abgesandte ihrer Partei vorbei. Diese blieben für die Diskussion gleich bis in die Nacht.

Protest kann anstrengend sein!
Ob das ganz banal dort ist, wenn man die Faust eines grünen Staatsdieners im Gesicht spürt oder „Das letzte Hemd für die Bildung“ gibt und dabei bei frostigen 3 Grad splitternackt über den Ku‘damm sprintet oder mit den anderen aufbegehrenden Hochschülern mit entschlossenem Sprung in der trüben Spree baden geht - so wie es uns die Bildung vormacht. Originelle Ideen, ungebremste Energie, wütende Schreie, wenn die Polizisten besetztes Privateigentu­­m räumen.

Protest ist wichtig!
Warum eigentlich überhaupt das Ganze?
Neben dem revolutionärem Pathos, der wie Phönix aus der Asche zu entstehen vermag, irrt diese eine Frage durch die Hochschullandschaft und ist Grundlage jeglichen studentischen Handelns.
Die Kritik – der Kampf – mag vereinen, der Protest gemeinsame Erfahrung bringen, doch um was kämpfen, wenn Realität und Utopie wie zwei aufeinanderfahrende Züge zusammenprallen?
Persönliche Betroffenheit bringen die Protestierenden auf die Straße, aus jeder Straße scheinen sie zu kommen und sich zu vereinen. Es geht um 75 Mio. €, die der Bildung in Berlin bis 2009 gekürzt werden. Alle wissen, daß die Sparumsetzung an den Universitäten nicht nur die Beschneidung der Lehrkörper beinhalteten wird, sondern auch einzelne Schließung ganzer Fachbereiche bedeuten könnte.
Dagegen wehren sich z. B. die Agrarwissenschaftler, die ihre Fahrzeuge aus dem Institut zur Verfügung stellen; der Mini-Traktor erinnert an die Demonstrationen im Wendland gegen die Castor-Transporte: „Kein Tag X für Faktor B“ könnte ein Spruch lauten!
Es geht also um etwas Grundsätzliches: das an sich kostenfreie Gut „Bildung“ wird auf eine harte Probe gestellt! In solchen Zeiten mit Studienkonten in der Öffentlichkeit hausieren zu gehen, bedeutet, die Hochschule unter ökonomischen Aspekten effizienter zu gestalten und sie von der Geschwindigkeit des Marktes überrollen zu lassen bzw. der Hochschuldebatte feige zu entgehen!
Es geht also vielmehr um die Frage, unter welchen Bedingungen das Gut „Bildung“ weiterhin kostenlos zur Verfügung gestellt werden kann. Wenn in der Bundeshauptstadt schon derartige Mittel zur Haushaltskonsolidierung herhalten müssen – wenn es schon soweit ist – dann liegt es nun an den Studierenden selbst , mit Unterstützung der Universitäten, alternative Finanzierungs- und Einnahmequellen zu erkunden und zu erschließen.
Der Protest kann auch hier wie ein Leitfaden wirken, den man als Grundlage zu einem gemeinsamen Dialog mit Entscheidungsträgern und Betroffenen aufgreifen sollte, denn:

Das ist nicht nur hier in Deutschland so,
nein, auf der ganzen Welt,
wird das, was einst für alle war, geraubt:
es zählt nur noch die Verwertbarkeit,
die drückt sich aus in Geld,
und daran wird wie einst an Gott geglaubt!
Darum geht es uns nicht allein um Hochschulpolitik,
die ist doch nur ein Teil vom großen Spiel,
unser Weg ist der Protest und unser Mittel die Kritik
und ne andere Gesellschaft unser Ziel!

(Hochschulprotestsong des Otto-Suhr-Instituts (FU))


Maria & Patrice