BRD auf Kriegskurs
Das Jahr 2003 markiert in mehrerer Hinsicht ein Jahr der Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Es begann allerdings mit einem Nein der Bundesregierung zum Krieg gegen den Irak. Hunderttausende demonstrierten auf den Straßen gegen den Krieg, viele von ihnen solidarisierten sich ausdrücklich mit dem „Friedenskurs“ der Bundesregierung. Dieses Nein der Regierung war aber kein Nein. Die BRD hat den Angriffskrieg der USA tatsächlich massiv unterstützt und stellte de facto das viert stärkste Kontingent für den Angriffskrieg zur Verfügung.
BRD weiterhin Drehkreuz für US-Aggressionen
Das diplomatische Säbelrasseln zwischen der BRD und den USA in der Irak-Frage
führte auch nicht dazu, dass sich die USA mit ihren Truppen aus Deutschland
weitestgehend zurückziehen. Das Ende November 2003 bekannt gewordene überarbeitete
Stationierungskonzept der US-Streitkräfte sieht vor, dass lediglich etwa
15000 der gegenwärtig 70000 US-Soldaten aus Deutschland abgezogen werden.
Damit bleibt Deutschland der wichtigste überseeische Standort für
das US-Militär. Diese moderate Absenkung der US-Präsenz in Deutschland
erfolgt in ausdrücklicher Anerkennung der deutschen Unterstützung
für den Irak-Krieg. Überflugrechte wurden ebenso wenig in Frage gestellt
wie die Nutzung der US-Militärbasen, Soldaten der Bundeswehr bewachen bis
heute als Ersatz für US-Soldaten deren Militäreinrichtungen, um diese
im Irak einsetzen zu können. Deutschland bleibt somit weiterhin das Drehkreuz
für US-Aggressionen. Ramstein ist die größte überseeische
US-Airbase, in Stuttgart befindet sich das EUropean COMmand (EUCOM) der US-Streitkräfte
mit Zuständigkeit für Europa, Afrika, Russland, Türkei, Naher
Osten, ehemalige Sowjetrepubliken und Zentralasien. Das Operationsgebiet umfasst
über 90 Staaten. Das Stationierungskonzept hebt insbesondere das „freundliche
und sichere Umfeld“ für US-Soldaten hervor, was für einen Verbleib
in Deutschland sprechen würde.
Bundeswehr auf Interventionskurs
Das offizielle Nein der Bundesregierung zum Irak-Krieg wird nicht, wie man vielleicht
vermuten könnte, von eigener Abrüstung und einer Entmilitarisierung
deutscher Außenpolitik begleitet. Im Gegenteil: Rüstungsminister
Struck will die Bundeswehr bis zum Ende dieses Jahrzehnts komplett zu einer
Angriffsarmee, die weltweit eingesetzt werden kann, ausbauen. Im Mai und Oktober
2003 hat er den Kurs der Bundeswehr in zwei Weisungen klargestellt: Da kein
Gegner existiert, muss sich die Bundeswehr auch nicht länger um die Landesverteidigung
kümmern und alle Kräfte sollen darauf ausgerichtet werden, die Bundeswehr
fit für Auslandseinsätze zu machen. 35000 Soldaten sollen als „Eingreifkräfte“
schnell „an jeden denkbaren Ort der Erde“ in längere Kriegseinsätze
geschickt werden können. Diese werden durch „Stabilisierungskräfte“
in einer Größenordnung von 70.000 SoldatInnen ergänzt, die -
nach Vorbild gegenwärtiger Einsätze in Afghanistan und auf dem Balkan
- weniger Kampf-, vielmehr Besatzungstruppen darstellen. Insgesamt soll ungefähr
die Hälfte der 250000 SoldatInnen umfassenden Bundeswehr für internationale
Einsätze zur Verfügung stehen.
Die Wehrpflicht wird dabei der Einsatzarmee Bundeswehr angepasst. Das Modell
der Interventions-Wehrpflicht sieht vor, dass nur noch etwa jeder sechste Soldat
der Bundeswehr Wehrpflichtiger sein wird. Der Rüstungsminister hat sich
nun auch offiziell von der allgemeinen Wehrpflicht verabschiedet. „Die
Wehrpflicht ist nicht daran geknüpft, dass jeder eingezogen wird”,
so Struck. Wehrgerechtigkeit interessiert ihn nicht.
Kein europäischer Staat wird in der Lage sein, ein auch nur annähernd
vergleichbares Militärpotenzial wie die USA aufbauen zu können. Deshalb
setzen insbesondere Frankreich und die BRD auf die europäische Karte, um
von den USA unabhängige und eigene Interessen entsprechende Interventionen
durchführen zu können.
EU-Militarisierung
Parallel zum Beitritt von 10 Staaten in die EU zum 1. Mai 2004 soll eine gemeinsame
EU-Verfassung die politischen Strukturen verbindlich festgelegen. Im gegenwärtigen
Entwurf wird der Militarisierung ein großer Stellenwert beigemessen. Insbesondere
die BRD und Frankreich drängen seit Jahren darauf, die EU zu einem eigenständigen
Militärfaktor auszubauen. Ende 1999 beschloss die EU, eine „Europäische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (ESVP) aufzubauen, um eigenständige
EU-Militäreinsätze durchführen zu können. Militärischer
Arm wird die 60000 SoldatInnen umfassende EU-Eingreiftruppe sein, die Anfang
2004 einsatzbereit sein soll. Die Bundeswehr stellt mit 18000 Soldaten das größte
Kontingent.
Umstritten ist das Verhältnis zwischen der EU und der Nato. Insbesondere
die USA und Großbritannien versuchten eine zu große Selbstständigkeit
eines europäischen Militärpotentials zu verhindern. Frankreich und
Deutschland haben sich innerhalb der EU aber mit ihrem Kurs der Militarisierung
und der schrittweisen Abkoppelung von der US-dominierten Nato durchsetzen können.
Ende November 2003 lenkte Großbritannien ein. Der Verfassungsentwurf sieht
nicht nur eine Beistandspflicht im Falle der Verteidigung vor, sondern auch
den gemeinsamen Aufbau einer EU-Kommandozelle zum Planen und Führen eigenständiger
Einsätze. Einzelnen Mitgliedsländern steht es darüber hinaus
frei, im Rahmen einer „strukturierten Zusammenarbeit“ eine weitergehende
und tiefere Kooperation zu verwirklichen.
Die Militarisierung der EU ist weiterhin gekennzeichnet durch eine faktische
Aufrüstungs-Verpflichtung. Der Verfassungsentwurf sieht vor, dass alle
Mitgliedsstaaten ihr Militärpotenzial zu verbessern haben. Ein „Europäisches
Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“
soll darüber hinaus eingerichtet werden, um innerhalb der EU die Rüstungsmaßnahmen
zu koordinieren.
Militäreinsätze der EU unterliegen nicht der Zustimmung des europäischen
Parlaments. Der Ministerrat entscheidet autonom. Da das EU-Recht nationalstaatliches
Recht bricht, droht die Aushebelung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen
des Grundgesetzes. Der Bundestag wäre nicht mehr das Organ, das über
Krieg und Frieden entscheidet, sondern ausschließlich die Bundesregierung
im Falle von EU-Militäreinsätzen. Auch Präventivkriege gehören
dabei zu den Optionen. Ein Strategiepapier, von den EU-Regierungschefs gebilligt,
sieht u. a. vor: „Unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidigung,
das bis zum Ende des Kalten Krieges galt, ging von der Gefahr einer Invasion
aus. Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im
Ausland liegen. ... Daher müssen wir bereit sein, vor dem Ausbrechen einer
Krise zu handeln.”
Fazit
Eine kleine Aufzählung militarisierender Highlights des Jahres: Aufrüstung
der Bundeswehr, Entsendegesetz, Armee im Einsatz, Mandatsverlängerung „Enduring
Freedom“ für den weltweiten „Anti-Terror-Einsatz“, Ausweitung
des Afghanistan-Einsatzes, Spekulationen über einen Einsatz zwischen Israel
und den palästinensischen Gebieten, erster EU-Einsatz Mitte des Jahres
in Afrika, Aufstockung des Rüstungsetats. Es gibt viel zu tun.