Peter Grottian

 

"... den Studierenden ein ermutigendes Zeichen setzen!"

Interview mit dem Politikwissenschaftler Prof. Peter Grottian - ungekürzte Internetfassung -

Peter Grottian wurde am 27. Mai 1942 in Wuppertal geboren, studierte Sozial­wissenschaften. Er promovierte 1973 und ist seit 1979 Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, seit 1985 hat er eine Teilzeit-Professur inne.
Er sitzt im Vorstand des „Komitees für Grundrechte und Demokratie“ und hat u. a. die „Initiative Banken­skandal“ mitgegründet. Weiterhin ist er im Berliner Sozialforum aktiv.
Zeitgleich mit dem Streik an den Berliner Universitäten legte der Hochschul­professor mit zwei anderen Kollegen demonstrativ seine Arbeit nieder, um sich mit den Studenten zu solidarisieren.
Mit ihm sprach der Rotdorn über den Uni-Streik, den Bankenskandal in Berlin und den Sozialabbau im Zuge der rot-grünen „Agenda 2010“.

ROTDORN: Professor Grottian, warum sind Sie in den Streik getreten, obwohl es Ihnen eigentlich verboten ist?

Grottian:
Die drei Hochschullehrer Prof. Wolf-Dieter Narr, Prof. Dr. Fritz Vilmar und ich haben
das vor allem getan, weil wir selbst als Hochschullehrer zeigen wollten, daß wir die
Lehr- und Studienbedingungen für nicht mehr akzeptabel halten und deshalb die
Hochschullehrer selbst ein Zeichen setzen müssen, daß sie mit diesen Verhältnissen
nicht mehr einverstanden sind. Und da wir Hochschullehrer in der Regel immer nur
klagen, in Seminaren schlau herumreden, schlaue Aufsätze mit 37 Fußnoten schreiben,
aber sich nicht selbst als Personen mit dem studentischen Streik verwickeln, so war es
uns wichtig, ein auch für die Studierenden ermutigendes Zeichen zu setzen, daß auch
Hochschullehrer Regeln verletzen und das nicht für eigene Privilegien einsetzen; mehr
Personal oder bessere Besoldung, sondern daß es primär um die Studienbedingungen
geht, die primär erst einmal den Studierenden nutzen, aber auch den Lehrenden.
Natürlich darf ein Beamter (Hochschullehrer sind Beamte) nicht streiken, wenn sie es
trotzdem machen, müssen sie wissen, daß sie möglicherweise bestraft werden, und die
Bestrafung geht nicht gleich bis zum Rausschmiss in aller Regel, weil das Beamtenrecht
ein sehr pädagogisches Instrument ist, aber es könnte eine Gehaltsreduzierung auf Zeit erbringen,
wenn der Präsident scharf durchgreift, was er bisher aber nicht getan hat, weil er, glaub‘ ich, auch ein
bißchen Angst davor hat, daß die Studierenden sich mit den streikenden Professoren wiederum
solidarisieren könnten, und das wäre eine Front, die dem Präsidenten etwas unangenehm werden
könnte.

ROTDORN: Welche Streikformen sind Ihnen persönlich wichtig, um Wirkung zu erzielen?

Grottian:
Ich glaube, wenn man das generell noch mal angeht, und die Frage der „Agenda 2010“ in einem
Zusammenhang sieht auch mit dem Bildungsabbau, dann sind ganz andere Protest- und Konfliktformen
eigentlich notwendig. Und dazu gehört auch, daß Menschen, die in Kirchen, im Öffentlichen Dienst, in
Wohlfahrtsverbänden arbeiten, daß, wenn die unter unsäglichen Bedingungen arbeiten, sie durch
Arbeitsniederlegung auch versuchen einzuklagen, daß mehr Personal für bestimmte Bereiche
öffentlicher Dienstleistung bereitgestellt werden. Ein paar Beispiele: Wenn ein Hochschullehrer wie ich
im Grundstudium Veranstaltung machen muss mit 90 oder 120 Leuten für Veranstaltungstypen, für die
eigentlich 30 bzw. 35 Studierende vorgesehen sind, dann muss er eigentlich auch den Mut haben zu
sagen, unter solchen Bedingungen arbeite ich nicht mehr. Er muß allerdings auch dann konstruktiv
sagen, wie im Lande Berlin möglicherweise an der Universität mit Handlungsspielräumen anders
umgegangen werden kann, auch auf der Ebene des Institutes. Also man muss dann ein Gegenkonzept,
was wir übrigens auch geschrieben haben, entwickeln für diese drei Ebenen. In dem Schreiben an den
Präsidenten haben wir sowohl für die Institutsebene als auch für die Landesebene Alternativvorschläge
gemacht, die es möglich machen, nicht nur für die Hochschulen, nicht nur für die Lehr- und
Lernbedingungen Verbesserungen zu erreichen, sondern wo die Gesamthaushaltssituation verändert wird. Beispiel 1: Es geht auf der Universitätsebene nicht an, daß wir ständig nur über die Kürzungen der Fächer reden, sondern, wenn man universitär diskutiert über mögliche Prioritäten der Einsparungen, dann muß man sich ein paar Dinge ankucken. Man muss sich ankucken, wie ist das Verhältnis der Ausgaben für die zentrale Universitätsverwaltung zu den Fächern. Ich habe den Eindruck, daß die zentrale Universitätsverwaltung sehr viel weniger spart als im Durchschnitt die Fächer. Das kann nicht richtig sein! Man muss sich die Privilegien der Professoren ankucken. Ich vermag doch nicht einzusehen, daß viele Hochschullehrer neben ihren Normaleinnahmen eine Menge Einnahmen auch über die Dienstleistung der Universität erwirtschaften! Warum greifen wir da nicht sehr viel stärker ein und widmen dieses Geld z.B. zugunsten der Verbesserung der Lehrbedingungen? Ich habe ja auch selbst vorgeschlagen, wenn es um die Privilegien geht und um die Verbesserung von Lehr- und Lernsituation, daß wir auf der Landesebene nur mäßige Erfolge haben werden, was ja wahrscheinlich absehbar ist, dann zur Debatte steht, daß Hochschullehrer 10% ihres Einkommens umsetzen müssen in Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen! Wenn wir das wirklich machen würden, dann würden wir die Hälfte der Professoren, die wir streichen müssen, nicht streichen müssen. Und auf Landesebene genau das Gleiche: Wir können uns nicht damit abfinden mit der sogenannten „Sparrazin Logik“, die eigentlich nur auf der Ebene der Ausgaben versucht, alles reinzuholen, sondern wir brauchen ganz andere Debatten.

ROTDORN: Welche Debatten meinen Sie konkret?

Grottian:
Eine Debatte wäre z.B. daß wir den Schaden, den die Bankgesellschaft angerichtet hat, bei dem das Land und seine Bürgerinnen und Bürger immerhin jetzt 2 Mia.Euro eingezahlt haben, in Raten oder sonst auch immer zurückbekommen! Das würde also heißen: wenn die These der Politiker Sarrazin und des Vorsitzenden der Bankgesellschaft Vetter zutreffend ist, daß die Bankgesellschaft sich auf einem moderaten Sanierungskurs befindet, dann würde das natürlich heißen, daß die Bankgesellschaft das, was sie von den Bürgern und Bürgerinnen über das Abgeordnetenhaus bekommen hat –nämlich jene 2 Mia.Euro-, zurückzahlt. Und dann bin ich radikal dafür, daß Berlin eine Initiative ergreift in der Auseinandersetzung über eine föderale Finanzverfasung, was Berlin erlaubt, in einer solchen Notsituation, in der das Gemeinwesen selbst in der Lage ist, durch eine Art „Notsteuer“ oder durch eine Art kommunale Einkommenssteuer bei denjenigen Haushalten zusätzliche Einnahmen zu beziehen, die es ökonomisch vertragen können. Wir haben uns das mal angekuckt: Wir haben festgestellt, es gibt ungefähr 400 000 Haushalte, die auf der „ökonomischen Sonnenseite“ in Berlin leben, und es ist doch wohl nichts dagegen einzuwenden, wenn man diese ökonomischen Haushalte moderat heranzieht. Jedenfalls, wenn man das täte, dann würden zusammen mit der Bankgesellschaft 2 bis 3 Mia. Euro, je nachdem, wie man rechnet, zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Das ist doch keine Kleinigkeit und würde eine Beweglichkeit in zwei Richtungen ergeben: die Verschuldungsdynamik könnte leicht gebremst werden, und man kann darüber reden, ob man möglicherweise nicht ein Sonderprogramm auflegt, was heißen würde, für Kinder, für Jugendliche, für Schule, für Bildung! Also bitte, nicht nur für die Universität, sondern wir sollten gerade als Leute aus der Universität, egal ob Studierende oder Hochschullehrer, uns dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen und verpflichtet sehen und sagen, daß es nicht nur um die Ausfinanzierung von Studienplätzen geht, es geht nicht darum, Studienkonten nicht einzuführen, sondern es geht um eigentlich eine demokratische Aufgabe, wie ein Gemeinwesen, was droht, an die Wand gefahren zu werden (das ist die reale Situation), zu retten. Wenn man so weitermacht, dann hat man auch nicht nur diese Hofferei auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, wo das höchste Gericht in einiger Zeit entscheiden wird, ob Berlin in seinem Haushaltsnotstand geholfen werden soll. Aber ich warne davor: erstens wird das Verfahren sehr lange dauern und anschließend, nachdem das Gericht gesprochen hat (auch wenn es positiv entschieden hat für Berlin), dann geht der Aushandlungsprozess zwischen Bund und Ländern weiter. Ministerpräsident Teufel aus Baden-Württemberg hat ja schon gesagt: „Kein Cent für Berlin!“, und ich nehme an, daß Bayern und Hessen das nicht anders halten werden, d.h. wir haben gar nicht soviel zu erwarten von anderer Seite. D.h. wir müssen auch kucken, wo jenseits von bescheidenen Wachstumsraten und der Restabilisierung Berlins als wichtiger ökonomischer, sozialer und kultureller Ort wir das Geld herkriegen, damit das Gemeinwesen sich einigermaßen finanziert. D.h. wir dürfen uns nicht nur in eine Debatte verlieren, in der Bündnis90/Die Grünen gerade eine Millionärs-Steuer verabschiedet haben, bei der sie genau wissen, sie wird im Bundesrat scheitern. Wir dürfen uns nicht besoffen reden über die Frage, daß die Erbschaftssteuer erhöht werden, da diese auch im Bundesrat gestoppt würden. Nein, wir müssen auch auf Sachen zielen, die in Berlin entschieden werden können, und wo wir (deswegen sind wir u.a. mit der Betteldemonstration in den Grunewald gegangen) auch auf Landesebene der Versuch gemacht wird, einen neuen Ausgleich von Reichtum und Armut zu produzieren und ich gehe noch einen Schritt weiter, ich sage: auch die Wohlhabenden und Reichen dieser Stadt müssen ein Interesse daran haben, daß die Stadt nicht kaputtgeht! Sie werden kein lebenswertes Leben haben, wenn es ihnen in zehn Jahren so geht wie Wohlhabenden in den Vororten von New York oder Los Angles, das ich gerade besichtigen konnte, wo sie nur noch mit den Bodyguards in das Theater gehen können oder zu einem Restaurant-Besuch in ihrer städtischen Mitte. D.h. es gibt auch von denen selbst ein Interesse, daß die Stadt lebbar bleibt, daß wir eine Stadt sind, in der sich viele Bürger in unterschiedlichen Lebenslagen orientieren können und daß 600 000 Menschen, die in dieser Stadt in Armut leben, ist ein Skandal, der nicht bleiben kann, und deswegen müssen wir da auch auf unterschiedlicher Ebene neue Typen von Armutsprotesten neu organisieren!

ROTDORN: Welche Wirkung hat Ihrer Meinung nach der Studierenden-Streik in der Öffentlichkeit?

Grottian:
Bisher eine erstaunlich positive. Wenn ich mir die Medienlandschaft ankucke, dann ist ja sogar bis zur Springerpresse relativ viel Wohlwollen da. Wenn man die Umfragen, die ein bißchen mit Vorsichtigkeit zu interpretieren sind, sieht, dann gibt es auch viel Bereitschaft. Das interpretiere ich ja auch so, daß viele Leute irgendwie merken, daß diese „Agenda 2010“ und diese rot-rote Stadtpolitik in irgendeiner Weise eines mit Sicherheit bringt: neue soziale Ungerechtigkeit! Das spüren die Leute schon. Wenn also ein BVG-Ticket gekürzt wird für die Sozialhilfeempfänger, dann scheinen die Politiker wirklich ein „Smog“ im Hirn zu haben – ich kann es nicht anders bezeichnen! Also, wenn man nicht mehr begreift, daß ein Mensch, der wenig Geld oder fast gar kein Geld hat, das ihm zumindest eröffnet sein muß, eine Art räumliche Mobilität, daß er irgendwie teilnimmt, daß er einen Freund in einem anderen Stadtteil besuchen kann, daß er Verwandte besuchen kann und nicht darauf schauen muss, daß jetzt die Karte soundsoviel Euro kostet, das halte ich für eine blanke demokratische menschenrechtliche Grundfrage. Und wenn man das als rot-roter Senat nicht mehr sieht, dann hat nichts verstanden von Gesellschaft, dann ist man offenkundig sehr abgehoben und fröhnt der Formulierung: „Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen!“, wobei diejenigen, die davon reden, ihn ja weitgehend nicht enger schnallen. Das ist ja der eigentliche Punkt, den habe ich ja vergessen.
Wenn man mal kuckt: seitdem Rot-Grün der Regierung ist, was wir an Steuerreform gehabt haben und wieviel Geld das war, dann stellt man fest, seit 1998 bis (ich habe jetzt mal die Steuerreform der Realisierung unterstellt) 2004 sind es ungefähr 132 Mia. Euro, die verteilt worden sind, wo man wieder Geld zurückgegeben hat an die Bürgerinnen und Bürger, an die Unternehmer. Und wenn man jetzt ankuckt, wer es bekommen hat, dann haben’s in der Regel nur diejenigen bekommen, die eigentlich schon viel haben und nicht etwa die 600 000 Armen in Berlin. Die haben davon gar nicht profitiert, weil sie gar keine Steuern zahlen in aller Regel oder nur ganz wenige, oder sie eigentlich gar nichts bekommen haben. Gleichzeitig muss man aber wissen, daß die Sozialhilfesätze für SozialhilfeempfängerInnen von 1998 bis 2003 pro Haushaltsvorstand um 20 Euro gestiegen sind. Also eine reale Einkommensverschlechterung. D.h. die Schere zwischen Arm und Reich geht weiterhin dramatisch auseinander. Wir haben zwar keine amerikanischen Verhältnisse, bei uns verhungert niemand oder muss niemand verhungern, so gut ist unser Sozialsystem dennoch gestreckt, aber sie geht weiter auseinander und das ist auch nicht ökonomisch zu begründen. Man sagt ja immer, man muß eine Steuerreform machen, damit die Pferde der Ökonomie zum Saufen gehen, damit Wachstum anspringt und Arbeitsplätze bringt, aber das ist eine unglaubliche Lebenslüge, die wird uns aufgetischt als „Agenda 2010“, und ich sage zusammen mit meinen Freunden Wolf-Dieter Narr und Gundulath Roth in unserem Memorandum zur selbigen, es ist das gigantischste Täuschungsprojekt mit ökonomischen Mäntelchen, aber mit einer Wirkung, die man nennen kann: Disziplinierung von Menschen.
Es ist keine „Agenda 2010“, sondern eine „Repressanda“, also eine Unterdrückungsinsitution!

ROTDORN: Sie würden also soweit gehen zu sagen, daß die Bildungskürzungen in Berlin
repräsentativ für den Sozialabbau in der BRD stehen?

Grottian:
Man darf nicht vergessen: einerseits wird immer wieder politisch gesagt, Bildung ist ungeheuer wichtig, unser Rohstoff, da dürfen wir nicht kürzen, und dann ist interessant, daß –unabhängig vom Reichtum der Länder- (Bildung ist ja weitgehend Ländersache) auch Bayern enorm einschränkt, daß auch Baden-Württemberg kürzt, daß Hessen kürzt, und Nordrhein-Westfalen kürzt, nur Berlin natürlich dramatisch, mehr im Prinzip, weil die Finanzsituation in Berlin nochmal eine ganz besondere ist, was natürlich mit der geteilten Stadt zusammenhängt, mit dem Wiedervereinigungsprozess, mit der besonderen Struktur Berlins, daß Berlin auf beiden Seiten eine Verwaltungshauptstadt war, daß auf beiden Seiten eine Stadt war mit wenig Industrie und dann sozusagen eine Mischung aus fortschreitender/entwicklungsfähiger Industrie und moderner Dienstleistungen auf beiden Seiten der Stadt nicht entstehen konnten, und wir auch gar nicht soviele Chancen haben, daß in dieser Richtung in irgendeiner Form zu entwickeln. Berlin wird einerseits eine Glitzer-Metropole sein und gleichzeitig eine scharfe Armutsmetropole.

ROTDORN: Wie beurteilen Sie die Regierungsbeteiligung der sozialistischen PDS im Berliner
Senat?

Grottian:
Die PDS ist eigentlich eingebunden in eine weitgehend „sozialdemokratische Agenda“. Sie versucht schon hier und dort, ein paar Sachen zu entschärfen wie z.B. bei den Kita-Gebühren oder bei den Studiengebühren, wo ja Wowereit sich explizit dafür einsetzt, daß Studiengebühren eingeführt werden sollen, die PDS ja auch kräftig dagegen hält, auch Flierl in seiner Art dagegen hält, aber insgesamt kann man schon davon reden, daß die Sozialdemokratisierung der PDS „große Fortschritte“ macht und daß die PDS als Partei z.B. auch stadtpolitisch auch gar keine Alternativen auf den Tisch legt. Wenn man die PDS wirklich ernst nimmt, dann müßte sich sie sich an den Dingen, die ich vorhin genannt habe (kommunale Einkommenssteuer, Belastung von Unternehmen, denen es gut geht), orientieren. Was ich besonders bedauere ist, daß die PDS eigentlich alle Diskussionen über Alternativen systematisch vermeidet. Sie vermeidet auch die Frage, wie man mit dem Bankenskandal einigermaßen vernünftig umgeht. Der Senator Wolf hat nur das Rezept „Deckel drauf, die Bankgesellschaft machen lassen und Sarazzin solle es irgendwie richten“. Das geht nicht! Es geht vor allem deshalb nicht, weil, wenn Berlin nicht in Alternativen denkt und handelt, die Verschuldungsdynamik des Landes schneller läuft als jede Sanierungsdynamik. Und deswegen muß man versuchen, diese Logik zu durchbrechen! Und diese Logik müssen wir selbst durchbrechen im Land Berlin. Wir müssen zeitgleich versuchen, von Bund und Ländern Hilfen zu erbringen. Ich sage mal ganz hart: Frankreich oder Schweden würden die jeweiligen Hauptstädte Stockholm und Paris nicht so verrotten lassen wie momentan Deutschland Berlin verrotten läßt! Jeder Spaziergang in Berlin belehrt darüber, egal ob man über die Reichenberger Straße in Kreuzberg läuft oder durch Neukölln oder durch Teile von Prenzlauer Berg oder von Hennigsdorf, belehrt darüber, wie kaputt die städtische soziale kulturelle Infrastruktur ist. Und wenn da ein Stadtstaat wie Berlin keine Möglichkeiten hat, angemessen zu reagieren, dann geht das demokratische Gemeinwesen schlichtweg einfach vor die Hunde! Das ist meine größte Sorge, die ich habe, das einfach das menschliche Zusammenleben (das ökonomische, das soziale, das bildungsmäßige) einfach kaputt geht! Wenn man das jetzt mal mit anderen Städten vergleicht in der Republik, mit Stuttgart mit München z.B., selbst auch mit Frankfurt, Köln, dann sind wir in einem Erosionsprozess, der unvergleichbar höher ist. Das hängt auch damit zusammen, daß viele Stadtteile ersteinmal überhaupt saniert werden müßten, daß sie lebensfähig sind, das hängt aber auch mit der geteilten Stadt, nun mit der wiedervereinigten Stadt und der Wiedervereinigung umzugehen, aber es hängt natürlich auch daran, daß die Möglichkeiten der Bezirke, die Möglichkeiten des Landes Berlin ganz arg eingeschränkt sind.

ROTDORN: Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich bei der „Initiative Bankenskandal“ zu
engagieren und wie schätzen Sie die Erfolgschancen ein, daß das
Risikoabschirmungsgesetz durch ein Volksentscheid zurückgenommen wird?

Grottian:
Das Interesse, sich dort zu engagieren, wurde deshalb vor allem provoziert, weil wir (d.h. die Menschen, die die „Initiative Bankenskandal“ dann gegründet haben und sie seitdem versuchen, zu einem kleinen oder mittleren Erfolg zu machen), gesehen haben, daß weder die Öffentlichkeit kritisch versucht, eine Aufarbeitung und Alternativen zu präsentieren, daß die Wissenschaft, außer ein paar einzelnen Stimmen, die sich zu Wort gemeldet haben, aber auch aus den Oppositionsparteien auch sehr wenig gekommen ist, mit Ausnahme der Bündnis90/Die Grünen, die schon eine relativ kompetente Gruppe von Leuten haben, die den Bankenskandal kritisch verfolgt haben, aber das war alles relativ wenig. Wir waren dann diejenigen, die die Fondsgeschäfte und die Fondszeichner wirklich veröffentlicht haben zum großen Sturm in der Stadt. Wir waren diejenigen, die dann im Grunewald gewesen sind und die strukturelle Komplizenschaft zwischen Politik und Ökonomie und auch individueller Bereicherung von Bankmanagern auf die Agenda gebracht haben. Wir waren auch diejenigen, die zusammen mit einem wissenschaftlichen Arbeitskreis mit dem Kollegen Prof.Schüttowsky Alternativen präsentiert haben. Und wir haben natürlich gemerkt, das fällt alles auf weiche Watte. Die Berliner sind inzwischen so geplagt und dermaßen zerzaust von allen Korruptionsskandalen und Bereicherungen und Mißwirtschaft und ähnlichem mehr, daß sie schon langsam müde werden, darüber nachzudenken. Das hat uns aber dann dazu gebracht zu sagen, wenn die Öffentlichkeit so wenig macht, wenn die Oppositionsparteien zu zahm sind, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig als eine außerinstitutionelle Kraft zu etablieren, die furchtlos und respektlos und provozierend versucht, etwas zu machen. Unser Konzept war sehr stark, seriöse Alternativvorschläge zu bieten, zu provozieren, und unser Rezept war, möglichst viele Menschen zu sammeln, die mit uns zusammen diesen politischen Druck eröffnen. Dann haben wir uns überlegt, nachdem wir dann natürlich zunächst nicht sonderlich durchgedrungen sind, daß wir ein Volksbegehren machen. Das Volksbegehren gegen den Bankenskandal hat den Sinn, den Senat und das Abgeordnetenhaus dazu zu zwingen, daß sie zumindest den Bankenskandal nochmal neu verhandeln. Sie wissen, daß im schlimmsten Fall Berlin mit 21,6 Mia.Euro –manche sagen sogar noch sehr viel mehr- „bluten“ muss, wenn der schlimmste Fall der Fälle eingetreten sein könnte, also die Vermietung nicht funktionieren und die Fonds pleite sind. Und da sagen wir ganz einfach: eine solche Unglückskette zu ungunsten der Bürgerinnen und Bürger darf nicht bestehen bleiben. Wir müssen das neu verhandeln und wir sind der Meinung, wenn Herr Vetter von der Bankgesellschaft meint, daß sein Bankgesellschaftsunternehmen auf einem positiven Sanierungskurs ist, daß dann eigentlich klar ist, daß das, was an Geld vom Abgeordnetenhaus herübergeflossen ist, in irgendeiner Form zurückgegeben werden muss. Damit ist allerdings das Risiko für die Bankgesellschaft allerdings noch lange nicht beseitigt, denn das Schlimme ist ja im Moment, daß keine Sau eigentlich weiß, wie es intern in dieser Bankgesellschaft eigentlich aussieht. Man weiß gar nicht, wie faul und in welchem Ausmaß faul die Kreditgeschäfte sind. Wir wissen gar nicht zurecht, wie diese Fondsgesellschaft einzeln funktionieren oder diese einzelne Fonds, die dort aufgelegt sind. Wir wissen nicht, wie die Immobilien bewertet sind, die da drin stecken. Alles das wird verschwiegen, wird den Abgeordneten vorenthalten, das weiß ein kleiner Kreis um Sarazzin und das weiß ein kleiner Kreis in der Bankgesellschaft, aber es schon sehr absurd zu wissen, daß wir eine Öffentlich-Rechtliche Bank haben, in der Berlin immerhin mit 81% beteiligt ist, und daß die Bürgerinnen und Bürger Berlins als auch die kritische Öffentlichkeit im Grunde genommen keinen Schimmer hat, wie der innere Zustand wirklich aussieht. Also komplett undemokratisch und intransparent, und die Abgeordneten wehren sich eben nur zum Teil. Wenn Sie mal die Berichte lesen, die Herr Sarazzin als zuständiger Finanzsenator den Abgeordneten herüberreicht, muss man sagen: das ist Klopapier! Da erfahren Sie überhaupt nichts, das wird in watteweiche Sätze gepackt. Wenn Sie den Geschäftsbericht der Bankgesellschaft Berlins lesen, da gibt es einen schönen Teil über die Frage des Risikos der Bankgesellschaft, wenn Sie sich also die 25 Seiten durchgelesen haben, sind Sie um keinen Schlag schlauer! Sie erfahren gar nichts über die realen Risiken, Sie erfahren immer, daß die Bankgesellschaft ein neues System COLIBRI eingeführt hat, und das das jetzt ganz effizient ist. Aber wie das tatsächlich ausschaut und was dabei herumgekommen ist, erfahren Sie nicht!
Zum Erfolg des Ganzen: Was haben wir erreicht?
Das Volksbegehren mit den 25 000 Unterschriften werden wir knapp vor Weihnachten erreicht haben. Damit ist uns nicht ersteinmal viel gewonnen, weil die Zulässigkeit des Volksbegehrens vom Senat bestätigt werden muss. Und da es sich hier um Haushaltsfragen geht, kann der Senat ohne weiteres ablehnen, denn die Gesetzgebung über Volksbegehren bzw. die Vorschrift über das Volksbegehren gehen ja in die Richtung, daß man mit einem gewissen Recht sagt, alles, was den Haushalt betrifft, ist sozusagen in Volksbegehren nicht thematisierungsfähig. Damit meint man natürlich, daß nicht jedes Jugendprojekt, was gestrichen worden ist, jetzt ein Volksbegehren machen könnte, aber wir wollen ja eigentlich mit dem Volksbegehren erreichen, daß das Land Geld bekommt. Wir wollen weder, daß umverteilt wird, noch mehr Kompetenzen gefordert werden, daß z.B. mehr Studenten gefördert werden, sondern der Punkt ist ja, daß das Gemeinwesen in diesem Bankenskandal etwas verloren hat, was durch korrupte Machenschaften und durch eine Komplizenschaft von Politik und Ökonomie sozusagen versaubeutelt worden ist. Und das wollen wir zurückholen und sagen: das geht doch nicht an, daß einerseits die Kitas dezimiert werden und Jugendprojekte geschlossen werden, die Studenten in der Ausbildung immer weniger Personal vorfinden und gleichzeitig diese Verbecher nicht nur juristisch laufen gelassen werden, sondern, was ja für das Gemeinwesen ja noch viel schlimmer ist, in den Folgen im Grunde genommen dazu führt, daß andere Bereiche von Ausgaben für das Gemeinwesen systematisch beschnitten werden. Ich will aber nicht der Illusion nachgehen, daß, wenn es kein Bankenskandal gegeben hätte, würde es Berlin ganz prima gehen, das ist Quatsch! Also, es würde Berlin etwas besser gehen, aber die generelle Verschuldung der Stadt ist so groß, daß im Grunde genommen eigentlich es schwierig ist, auch ohne Bankenskandal diese Finanzsituation zu meistern, doch der Bankenskandal hat sie nochmal sozial verschlimmert. Und wenn man jetzt von Erfolg redet, dann ist vielleicht ein Erfolg –wenn auch nicht direkt sichtbar-, daß der Vorsitzende der Bankgesellschaft zumindest jetzt sagt, die jährlich zugesagten 300 Mio. Euro noch zusätzlich zu den 1,7 Mia. werden nicht abgerufen, d.h. die Bankgesellschaft merkt, daß es politisch sehr brisant ist, Geld von den Bürgerinnen und Bürgern einzukassieren für ein Projekt, was möglicherweise das Geld in diesem Maße gar nicht mehr braucht. Das könnte möglicherweise ein direkter oder indirekter Erfolg gewesen sein. Aber was wir natürlich anstreben, ist, daß diese „babylonische Gefangenschaft“ Berlins –daß dieser Bankenskandal- möglicherweise noch über 25 Jahre dem Land um den Hals hängt, das man diese Gefangenschaft in irgendeiner Weise beendet. Vielleicht ist es jetzt sogar besser, man muss vielleicht jetzt sogar noch bluten für diese Bankgesellschaft, aber irgendwie müssen wir das vom Hals kriegen! Und ich bin auch dafür, daß der Senat auch mit den Fondsgesellschaftern und den Fondszeichnern nochmal verhandelt und sagt, die Situation war damals eine ganz andere, sie ist heute eine andere und ihr dürft eben nicht Laufzeiten haben über 25 Jahre. Es tut uns auch leid, daß die Zinsen nicht 8 oder 9% sein können, sondern vielleicht nur noch 6%. Allein, wenn man das machen würde, dann, glaube ich, daß man nicht unbedingt viele Klagen der Fondszeichner kriegt, weil die letztlich auch froh sind, wenn sie aus diesem maroden Laden draußen sind, und man gleichzeitig zumindest versucht, den Schaden für das Gemeinwesen in Berlin in irgendeiner Weise zu mindern! Also kurzum: wir haben viel Öffentlichkeit erreicht, wir haben vielleicht die Schamschwelle erhöht, daß man sich weiter ungeniert bedient, wir haben vieles problematisiert, aber an der Grundstruktur haben wir nicht allzuviel ändern können!

ROTDORN: Herr Grottian, wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten Patrice und Maria