September 2003

Die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe – weniger Sozialstaat gleich mehr Beschäftigung?


Die aktuell politische Diskussion der „Agenda 2010“ um die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme ist eng mit dem Konzept des abnehmenden Sozialstaates verknüpft. Der Hintergedanke ist, daß der Staat in der Vergangenheit zu viele Aufgaben übernommen hat und dadurch die Schieflage zwischen der Bereitschaft, erwerbsloser Personen, sich wieder aktiv in das Erwerbsleben zu integrieren, und den ihnen dazu gebotenen Möglichkeiten gefördert hat. Bundeskanzler Schröder setzt mit seiner „Agenda 2010“ daher neue Maßstäbe, indem er den Sozialstaat auf das Minimalste herunterschraubt, um die „Eigenverantwortlichkeit“ seiner Bürger stärker zu betonen. Ein Beispiel ist hier die schon im Hartz-Konzept angedachte und im Zuge der Agenda 2010 weiterführende Zusammenlegung der von der Bundesanstalt für Arbeit ausgezahlten Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe, deren Auszahlung die einzelnen Kommunen übernehmen. Mit der Zusammenlegung soll erreicht werden, daß arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger an das Arbeitsamt angegliedert werden und somit wieder in Arbeit gebracht werden können. Doch der Schein trügt, denn es werden de facto keine neuen Arbeitsplätze entstehen, sondern die Zumutbarkeitskriterien werden verschärft und der Niedriglohnsektor ausgebaut: selbst als seriös geltende Medien fragen zum Beispiel allen Ernstes ihr Publikum, ob qualifizierte Arbeitslose künftig schlechtere, weniger Qualifikationen erfordernde Jobs annehmen sollten. In Wirklichkeit stellt sich diese Frage schon lange nicht mehr. Seit 1997 ist er »Berufsschutz« bzw. »Qualifizierungsschutz« im Arbeitslosenrecht aufgehoben. Ähnlich naiv ist die Frage, ob Arbeitslosen bei Verweigerung eines zumutbaren Jobs das Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe gekürzt oder womöglich gestrichen werden solle. Auch das ist längst Gesetz und Praxis. Wer einen zumutbaren Job ablehnt, bekommt von den Arbeitsämtern sofort eine Sperrzeit - in der Regel zwölf Wochen - und damit keinen einzigen Cent Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe. All das und noch viel mehr ist schon seit Jahren in Kraft. Geändert an der hohen Arbeitslosigkeit hat das aber bis heute nichts! Die Arbeitslosigkeit stieg sogar noch weiter - während zur gleichen Zeit der Lebensstandard von Arbeitslosen, zumal von Langzeitarbeitslosen, immer weiter sank. Im Grunde ist also das den Plänen der Regierung zugrunde liegende Kalkül - mehr Druck auf Arbeitslose hilft beim Abbau von Arbeitslosigkeit – schon seit Jahren widerlegt. Trotzdem wird es erneut aufgetischt - in einer neuen, bislang nicht gekannten Brutalität. Was der Regierungsentwurf zur Zusammenlegung beider Leistungen verschweigt: Etwa eine Million Menschen, die bisher Arbeitslosenhilfe bezogen, werden aufgrund der schärferen »Bedürftigkeitsregeln« des neuen Arbeitslosengeldes II (ALG II) künftig gar kein Geld mehr erhalten. Opfer dieser Ausgrenzung von öffentlichen Leistungen werden vor allem Frauen sein, deren Partner »normal« verdienen.
Dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ist jede Arbeit zumutbar. Bisher galt: Zumutbar sind nur tariflich bezahlte oder »ortsüblich« bezahlte Jobs, sofern die Bezahlung nicht schlechter ist als das vom Arbeitslosen bezogene Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe. Diese Schranke fällt nun weg.
Selbst der mieseste, bezahlte Billigjob soll in Zukunft zumutbar sein. Wer einen zumutbaren Job ablehnt, wer nicht pünktlich zum Termin beim Arbeitsamt erscheint, wer angebliche
„Qualifizierungsmaßnahmen“ - und seien sie auch noch so unsinnig - verweigert, dem drohen in Zukunft mindestens 30 Prozent Abzüge, im Wiederholungsfall sogar 40 Prozent. Netto müssen solche Menschen dann mit weniger als 200 Euro im Monat auskommen (plus Warmmiete). Daß der Mensch von 200 Euro im Monat nicht leben und nicht sterben kann, wissen die Verfasser des Referentenentwurfs auch.
„Die Agenda 2010 ist der massivste sozialpolitische Kahlschlag seit Bestehen der Bundesrepublik“, hat die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Barbara Stolterfoht, die Regierungspläne genannt. Sie hat recht. Wobei sich schon jetzt abzeichnet, daß die mit diesem Kahlschlag von der Regierung erhoffte Wende am Arbeitsmarkt« nicht eintreten wird. Wirtschaftsinstitute wie z.B. das Ifo-Institut kündigen für nächstes Jahr zwar ein stärkeres Wachstum an, aber ohne Arbeitsmarkteffekt!
Mit anderen Worten: Die Zahl der Arbeitslosen wird weiter steigen - auch die der Langzeitarbeitslosen, der Bezieherinnen und Bezieher des künftigen Arbeitslosengeldes II.
Damit tritt an die Stelle des von der Regierung behaupteten „Job-Effekts“ ihrer sozialen Grausamkeiten ein anderer, von Wirtschaftswissenschaftlern befürchteter „Drehtür-Effekt“. Gemeint ist: Die Ersetzung von tariflichen, regulären Jobs, sogenannten Normalarbeitsverhältnissen, durch Billigjobs jeder Art.
Dies dürfte der nachhaltigste Effekt sein, den das neue ALG II sowie der Abbau des Kündigungsschutzes, die Verkürzung der Anspruchszeit beim Arbeitslosengeld und die Änderungen in der Krankenversicherung haben werden!

Patrice