September 2003
Studiengebühren heißen jetzt Studienkonten – sonst ändert sich nichts!
Eine Gegendarstellung zum Vorschlag vom Berliner Wissenschafts-Senator Dr.Thomas Flierl (PDS)
Seit Juni diesen Jahres ist in Berlin eine Debatte am Laufen, die als Konsequenz
zeigen wird, wieweit sich die PDS in der Regierungsverantwortung von ihren eigentlichen
Idealen und Zielen entfernt hat und wie leicht man einen miteinander vereinbarten
Koalitionsvertrag brechen kann.
Es geht –mal wieder- um die Einführung von Studiengebühren.
Noch verbietet das bundesdeutsche Hochschulrahmengesetz Gebühren für
ein Erststudium (Gott sei Dank!), doch gegen diese angebliche „Kompetenzanmaßung“
des Bundes führen einige CDU-Länder Klage beim Bundesverfassungsgericht.
Hätte diese Klage Erfolg, was wir uns als Studenten nicht wünschen,
wären die Bundesländer rechtlich frei, Gebühren nicht nur wie
bisher für das Zweitstudium und damit von Langzeitstudierenden, sondern
auch für ein Erststudium zu erheben. Aus diesem Grunde traten sowohl der
Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit (SPD) als auch der Kultur-
und Wissenschafts-Senator Dr.Thomas Flierl (PDS) im Juni diesen Jahres mit einem
sogenannten „Studienkonten“-Modell in die Öffentlichkeit, obwohl
der Berliner Koalitionsvertrag an der Studiengebührenfreiheit festhält:
„[...] Wir müssen weg von Strafgebühren hin zu Leistungsanreizen
und Motivation für ein zügiges Studium.[...] Das Konto muss dann durch
Gebühren neu aufgefüllt werden. Hier wären 500 Euro pro Semester
angemessen.“ –Thomas Flierl, Berliner Morgenpost, 19.Juni 2003.
„[...] Parallel dazu setzen wir die kreative Idee von Studienkonten um,
die dazu führt, daß Langzeitstudenten Gebühren zahlen müssen[...]“-
Klaus Wowereit, Berliner Morgenpost, 24.Juni 2003. Das Ziel von Studienkonten
sei daher, die defensive politische Abwehr von Studiengebühren in ein gesellschaftliches
Umbauprojekt mit linker Perspektive zu transformieren. Dass diese Aussage nicht
nur zynisch ist, sondern auch falsch, versteht sich fast von selbst. Doch was
sagt eigentlich das Modell? Das Berliner Studienkontenmodell basiert auf ein
sogenanntes Credit-Point-System, das im Rahmen des sogenannten Bologna-Pozesses
EU-weit eingeführt wird und Studienleistungen innerhalb Europa vergleichbar
machen soll. Das Modell basiert auf z.B. 30 Credits pro Semester, die für
einzelne Ausbildungsmodule angewandt werden und so die Arbeitsbelastung der
Studierenden messen sollen. Zu Beginn des Studiums erhält jeder Student
sogenannte „Credit-Points“, d.h. Leistungspunkte für ein kostenloses
Studium in der Regelstudienzeit. Die Länge des Zeitrahmens soll sich bei
den Bachelor-Master-Studiengängen an der Regelzeit plus vier Semestern
und in den einzelnen Diplomstudiengängen an der doppelten Regelstudienzeit
orientieren. Wenn auch das Studium dann nicht abgeschlossen ist, muß der
Student neue Creditpunkte kaufen, um weiter studieren zu können. Zurzeit
sind 500 Euro pro Semester geplant.
Die Vorteile wären laut Flierl für die Studenten, daß sie selbstbestimmter
und ergebnisorientierter studieren könnten und als Credit-Kontoinhaber
eine stärkere Stellung gegenüber den Universitäten einnähmen.
Die Universitäten und Hochschulen würden in ihren Lehrleistungen vergleichbar
und profitierten von guter Lehre, da eine Uni, die viele Credits in kurzer Zeit
umsetzt, entsprechend mit leistungsbezogener Mittelzuweisung honoriert würde.
Es wurde argumentiert, daß das Credit-Punkte-System eine Alternative zu
Langzeitstudiengebühren darstelle, die den Zugang zu Bildung sozial selektieren
würden. Zwar könne man, und darin besteht die Gefahr bei der Debatte,
sagen, daß das ja noch alles human klingt, da die Studienkonten ja nur
bei den „faulen“ Langzeitstudenten greifen, doch das ist Augenwischerei!
Differenziert werden muss zwischen Studierenden, die ihr Studium nicht in der
Regelstudienzeit abschließen können, es aber dennoch versuchen, und
einer absoluten Minderheit von Studierenden, die mit Absicht lange studiert,
den Studentenstatus genießt, aber auch so gut wie nie an der Uni ist und
damit auch keine Ressourcen verbraucht –wie z.B. keine Seminarplätze
belegt und ergo auch nichts kostet. Diese allerdings quasi zu „Sozialschmarotzern“
zu sterilisieren und im Sinne einer Gebühr zu bestrafen, ist bislang auch
durch die PDS abgelehnt worden. Es darf hier nicht um ein moralisch bewertbares
Verhalten einer Minderheit gehen, denn eine überwiegende Mehrheit der Studenten
sehen sich aufgrund der überfüllten Hörsäle, der ausgeliehenen
Bücher und der unzureichenden Betreuung der Unis nicht in der Lage, die
gesetzliche Regelstudienzeit einzuhalten! Zudem kommt noch, daß die momentan
stattfindende Umwandlung der einzelnen Diplomstudiengänge in Bachelor-Master-Studiengänge
mit Restriktionen wie begrenzter Teilnehmerzahl und obligatorischer Anwesenheit
einhergehen werden und damit auch die Einhaltung der Regelstudienzeit erschweren,
da die Zumutsbarkeitskriterien verschärft werden. Ein anderer nicht ganz
unwichtiger Faktor ist die Finanzierung des Studiums. Die oftmals einzige Quelle
zur Sicherung des Einkommens ist neben der –so vorhandenen familiären
Unterstützung- die oftmals nicht geschützte Erwerbsarbeit, da trotz
der BaföG-Reform von 2001 nur 14,94% aller Studierenden überhaupt
BAföG beziehen. Von diesen erhalten 66,8% eine Teilförderung zwischen
10 und 465 Euro im Monat (Deutsches Studentenwerk, Wichtige Zahlen des 15.Berichts
der Bundesregierung nach §35 BAföG). Daß man als Konsequenz
dessen nur begrenzt Kurse wahrnehmen kann, weil man arbeiten muss, weil das
BaföG nicht reicht und daher seine Regelstudienzeit überschreitet,
scheint jedem klar. Verstärkt wird das Ganze durch die stetig abnehmende
Hochschulinvestitionen der öffentlichen Hand, die zur Einschränkung
von Studienplätzen und damit zur Verschlechterung von Studienbedingungen
beitragen. Die Universitäten mit dem schnellsten Studienabschlüssen
sollen laut Studienkonten-Ordnung zudem höhere Finanzzuweisungen erhalten.
Diese Vorgehensweise festigt die Ellenbogengesellschaft und reduziert Bildung
auf einen institutionalisierten Wettbewerb unter den Unis, Bildung verkümmert
zur Ware. Die Folge wäre die Einstellung nichtlukrativer Studiengänge,
während unter dieser Verringerung wiederum die Studierenden zu leiden haben.
Glücklicherweise ist die Sache noch nicht beschlossen und der Widerstand
innerhalb der PDS groß dagegen. Aus Protest gegen Flierls Pläne trat
sogar sein Staatssekretär Peer Pasternack zurück. Wir alle sollten
daher geschlossen gegen die Einführung von Studienkonten protestieren,
da momentan mit der Studienkonten-Idee die Debatte über die Hochschulbildung
nicht mehr unter der Prämisse des Wertes, sondern des Preises geführt
wird:
„[...] Die ideologische Konstruktion des ‚Langzeitstudenten‘
als hochschulpolitischer Allzweckwaffe entspricht daher klassischer Sündenbockpolitik,
indem sie von der politischen Verantwortung für das institutionelle Reformdefizit
der Hochschulen ablenkt. Damit wird auch die überfällige Hochschulreform
in eine völlig falsche Richtung gelenkt. An die Stelle einer inhaltlich
ausgewiesenen Studienreform tritt die Regelementierung des persönlichen
Studienverhaltens durch Sanktionsdrohungen finanzieller Art, weshalb Studienkonten
nicht nur aus sozialpolitischen- , sondern auch aus bildungspolitischen Ordnungsvorstellungen
abzulehnen sind![...]“ (Benjamin Hoff, wissenschafts- und wirtschaftspolitischer
Sprecher der Berliner PDS-Abgeordnetenhausfraktion, Kritiker von Thomas Flierl).
Patrice
Links zu dem Thema:
www.bmbf.de/pub/bafoegbericht.pdf
www.benjamin-hoff.de
www.unabhaengige-linke.de - Radikaldemokratische
Studierendengruppe an der FU Berlin
www.gute-bildung.de