Mai 2003

Georg Büchner
Ein vergessener Revolutionär der zu früh starb

" Ein Kopf merkwürdiger Frühreife,
ein Freidenker in politischen Dingen,
wie keiner sonst von allen, die im damaligen
Deutschland politisch hervorgetreten sind."

Franz Mehring, 1897

Die Meinungen über einen der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller und radikalsten Politiker seiner Zeit, Georg Büchner, gehen weit auseinander. Doch selbst diejenigen Kritiker, die ihm die Politikfähigkeit absprechen und seine neuartige Sozialkritik an der feudalistischen Gesellschaftsordnung nicht würdigen, sind ge-zwungen Büchners revolutionäre Vorleistungen für 1848 und fortschrittliche Gedan-ken über Menschlichkeit und Schizophrenie anzuerkennen.
Doch trotz des jährlich mit 40.000 Euro dotierten und vergebenen "Georg-Büchner-Literaturpreises" ist das Werk und Erbe von Georg Büchner eher einer kleinen Grup-pe von Deutsch-Leistungskursschülern oder Germanistik-Studierenden vorbehalten und ansonsten unbekannt.
Georg Büchner wurde am 17. Oktober 1813 in einer Zeit geboren in der das deutschsprachige Gebiet in unzählige kleine Staaten zergliedert war und die Fürsten, nach dem Rückzug Napoleons Truppen mit der Restauration der feudalen Monar-chie, die französischen bürgerlichen Rechte Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit besei-tigten. Stattdessen wurde eine konservative, spießige Kleinstaaterei, gewürzt mit an-dauernder Zensur, Unterdrückung der armen Landbevölkerung zu Gunsten des rei-chen Bürgertums und Adels sowie Verhaftungswellen gegen freiheitliche Oppositio-nelle, etabliert.
Georgs Eltern entstammten einem gutbürgerlichem Hause, richteten sich im feudalen Beamtenstaat ein und verhielten sich relativ loyal, obwohl die Büchner'sche Familie wegen des Vaters Verehrung Napoleons nie wirklich in der Bourgeoisie angesehen war. Durch die Arztpraxis des Vaters kam Georg Büchner schon früh in die Berüh-rung mit physisch und seelisch Notleidenden und entwickelte Einfühlungsvermögen für den Schmerz und das Leid anderer Menschen.
Büchners soziales Gewissen blieb ihm bis zum Tod erhalten und wurde in der Schule weiter geprägt. Allerdings langweilte sich Büchner in den "Erziehungsanstalten" we-gen des stupiden Abschreibens und Auswendiglernens von Gedichten oder Reden und widersetzte sich der gelehrten Obrigkeitshörigkeit. Viel lieber las er mit Freunden in außerschulischen Zirkeln philosophische Texte und setzte sich mit Shakespeare sowie den französischen Aufklärern (Rousseau, Voltaire) auseinander. Doch wäh-rend sich Georg Büchner immer mehr mit politischen Themen und der Geschichte der französischen Revolution beschäftigte und erste Kritik am feudalen Leben und der Zensur äußerte, blieben seine Mitschüler bei der oberflächlichen Bewunderung Shakespeares. Büchner hielt wenig von der idealistischen Unterhaltungsliteratur und dem "Dienen und Dulden" einer abgehobenen Elite, in den heftigen Diskussionen mit dem Vater erhob Büchner immer die Stimme für das ausgenutzte und mit den höchs-ten Steuern belegte, ausgebeutete Volk.
Nachdem er das Gymnasium beendet hatte reiste er für zwei Jahre nach Frankreich und studierte an der Straßburger Uni Medizin. Büchner lebte sich sofort in die offene und freie Stadtatmosphäre ein und genoss das nicht unterdrückte intellektuelle Le-ben. Er schloss sich auch sofort der Studentenbewegung "Eugenia" an mit deren Mitgliedern Büchner an Demonstrationen teilnahm sowie an regelmäßigen Treffen über die deutschen und französischen Entwicklungen debattierte. Dabei stellte sich schnell heraus, dass Büchner mit seinen radikalen demokratischen und republikani-schen Forderungen auf wenig Verständnis stößt, insbesondere wegen seiner Kritik an der neuen französischen Verfassung, die der sozialen Gleichberechtigung keiner-lei Raum ließ und nur reiche Bürger im Parlament zuließ. Er karikierte diese Zustän-de mit dem Ausspruch: " Das Ganze ist doch eine Komödie. Der König und die [Par-laments-] Kammern regieren, und das Volk klatscht und bezahlt." Auch die wenigen, fehlgeschlagenen Versuche einer bürgerlichen Revolution in Deutschland erhalten von Büchner keine Unterstützung. Zwar erklärte er sich mit den freiheitlichen Zielen solidarisch, verurteilte aber den Zeitpunkt der Aufstände, da seiner Meinung nach, nur eine Bewegung mit einer breiten Masse des Volkes erfolgreich sein würde. Doch die bürgerlichen Forderungen nach Bürgerrechten wie Pressefreiheit oder nationaler Einheit interessierten die einfache Landbevölkerung und die Proletarier wenig, ihnen ging es um eine Verbesserung ihrer sozialen Situation. Mit der Erkenntnis, dass nur durch die Lösung der sozialen Frage und dem Willen der Volksmassen eine politi-sche Umwälzung möglich sei, entwickelte Georg Büchner eine eigene Revolutions-theorie, die den Lohnabhängigen und dessen Interessen in den Mittelpunkt stellte. Die revolutionäre Umgestaltung sollte das materielles Elend der Massen aufheben und Eigentum, dass nicht auf Arbeit beruhte, abschaffen. Diese Forderungen setzten sich von den deutschen Nationalisten und ihren Absichten ab, nur ein Eigentümer von Kapital sei Bürger mit gewissen Rechten.
Nach den zwei Jahren Straßburg kehrte Georg Büchner nach Gießen zurück um dort zu Ende zu studieren. Angeregt durch das französische Vorbild einer Gesellschaft der Menschen- und Bürgerrechte sammelte der politisierte Büchner junge Freunde um sich und gründete eine Giessener und in seiner Heimatstadt eine Darmstädter Sektion der "Gesellschaft der Menschenrechte". Dieser Geheimbund nach französi-schem Vorbild hatte sich die Überwindung des feudalen Systems, Entmachtung der Aristokratie sowie des Großbürgertums und die Kollektivierung des Besitzes zur Auf-gabe gemacht. Büchner ist fest entschlossen mit "Mund und Hand" gegen das Sys-tem zu kämpfen und veranstaltete mit seinen Freunden heimliche Waffenübungen. Tagsüber widmet er sich der Medizin und seinem Werk "Dantons Tod" über den Wi-dersacher Robespierres während der letzten Periode der Herrschaft der Jakobiner. Nachts schreibt er emsig an seiner ersten politischen Flugschrift "Der Hessische Landbote", die er zusammen mit dem hessischen oppositionellen Schuldirektor Friedrich Weidig unter den Bauern verteilen und damit die Reaktion und den Revolu-tionswillen der Bevölkerung ermitteln will. In einer genialen Verbindung von agitatori-scher Rhetorik und statistischen Angaben aus dem hessischen Staatshaushalt ent-larvt Büchner die wirtschaftliche Ausbeutung der Landbevölkerung und Armen zu Gunsten einer kleinen Gruppe Privilegierter und deren immenser bürgerlicher Beam-tenapparat. Doch aufgrund des Verrats der Aktion durch einen Mitstreiter wurden die Flugblätter eingezogen und Büchner und seine Freunde wurden wegen Verbrechen der Aufwiegelung, Majestätsbeleidigung und Hochverrat mehrere Male verhört. Nachdem eine Verhaftung Büchners immer näher rückte, floh er 1835 aus Deutsch-land in das ihm bekannte Straßburg. Dort beschäftigte sich Büchner immer mehr auf sein lyrisches Werk und seine medizinischen Studien - er sieht zu dieser Zeit keine Möglichkeit für eine revolutionäre Umwälzung und schränkt seine politischen Aktivitä-ten ein. Vielmehr konzentrierte er sich auf die lyrische Aufdeckung der politischen Misere und schrieb eine kritische Komödie über das feudal-aristokratische Lebensge-fühl (Leonce und Lena) sowie das erste soziale Drama "Woyzeck" über die Vorbe-stimmtheit des Lebens eines sozialen Verlierers.
Georg Büchner ist aber zu vielseitig als das er sich auf die Literatur beschränken würde, er schrieb nebenbei eine philosophische Doktorarbeit und erhielt die Profes-sur an der Universität Zürich. Doch bevor dieses Multitalent dazu kam seine ersten Vorlesungen zu halten, erkrankte er im Januar 1837 an Typhus und starb einen Mo-nat später am 19. Februar 1837 im Alter von 23 Jahren.
Er hinterließ ein nur sehr kleines lyrisches Werk, aber das hatte es in sich. Seine Fallbeschreibung des an Wahnsinn erkrankten Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Mi-chael Reinhold Lenz war der deutschen medizinischen Forschung um 60 Jahre vor-aus. Georg Büchner war die einmalige Erscheinung eines Künstlerpolitikers der durch seine unterschiedlichen Blickwinkel aus Naturwissenschaft, Philosophie, Poli-tik, Kunst und Geschichte zu einer neuen radikalen Sichtweise und illusionslosen Realismus fähig war.

Oskar Krüger