Mai 2003
Don‘t Drink / Don‘t Smoke / Don‘t Fuck
Sex, Drugs & Rock ‘n Roll – diese Begriffe sind seit Elvis’
Zeiten untrennbar mit Musik und Jugendkultur verbunden. Jede Szene hat ihre
Drogen, seien sie nun legaler oder illegaler Natur. Der Hippie rauchte seinen
Joint und ging mit Acid auf den großen Selbsterfahrungstrip, der Headbanger
ist auf Konzerten sturzbetrunken und auf Veranstaltungen mit elektronischer
Tanzmusik muss der geneigte Hörer seinen Körper chemisch stimulieren.
„Don’t Drink / Don’t Smoke / Don’t Fuck“ hört
sich in diesem Zusammenhang nach den Worten eines kopfschüttelnden und
mit erhobenen Zeigefinger argumentierenden Moralisten an, ist aber die simple
Definition einer mehr als 20 Jahre bestehenden Bewegung – Straight Edge.
Entstanden ist Straight Edge (am treffensten wohl mit „geradlinig“
zu übersetzen) zu Beginn der 80’er Jahre aus der Punk / Hardcore
Szene Amerikas. Die Anhänger wollten sich bewusst von der nihilistischen
und selbstzerstörerischen Attitüde des Punk abgrenzen, sie bekannten
sich zu einem drogenfreien Leben und lehnten Promiskuität (häufig
wechselnde Partnerschaften) ab. Namensgebend war ein Text von „Minor Threat“,
einer Band aus Washington, D.C., die in ihrer kurzen Schaffenszeit Straight
Edge maßgebend inhaltlich und musikalisch definierten. Das Symbol für
diese Lebenseinstellung ist das „X“, das Minderjährige in den
US-Clubs, als Zeichen dafür, dass an sie kein Alkohol ausgegeben werden
darf, auf den Handrücken gemalt bekamen.
Nach kurzer Zeit erweiterte der große Teil der Szene seine Definition
von Straight Edge, sie ernährt sich vegetarisch bzw. vegan und entwickelt
verstärkt ein Bewusstsein für Themen aus Politik und Umwelt. Auch
wenn jeder Anhänger individuelle Gründe für seine Abstinenz hat,
kann der grundsätzliche Ansatz im Prinzip mit dem einfachen Satz „Ich
will eine bessere Welt und bei mir fange ich an“ auf den Punkt gebracht
werden.
Seinen Höhepunkt hat die Bewegung Ende der 80’er Jahre. Im Schatten
von Bands wie Youth Of Today, Gorilla Bisquits oder Wide Awake entsteht eine
lebendige Musikszene, die den Gedanken von Straight Edge in die ganze Welt trägt.
Musikalisch immer noch fest im Hardcore verwurzelt ist die Musik schnell, laut
und wütend, die Texte (soweit sie verstanden werden können) setzen
sich kritisch mit Politik, Gesellschaft und familiären Strukturen auseinander,
die Konzerte sind für die Anwesenden ein Ventil für Aggressionen.
Mit dem Beginn der 90’er entwickelte sich die Szene in verschiedene Richtungen.
Manche finden eine spirituelle Heimat in der Hare-Krishna-Bewegung, einer jungen
Religionsgemeinschaft die aus dem Hinduismus hervorgegangen ist. Und nochmals
radikalisieren einige ihre Interpretation von Straight Edge, so wird unter dem
Schlagwort „Hardline“ z. B. das Selbstbestimmungsrecht der Frau
auf Abtreibung negiert oder der Tierschutzgedanke mit militanten Mitteln vertreten.
Man verwickelt sich in endlose Diskussionen, wer nun den wahren Gedanken von
Straight Edge vertritt, und wer nur „fashion-victim“ ist.
Es stellte sich bald heraus, dass diese Streitigkeiten der Szene nur geschadet
haben, viele Spielarten verschwanden so schnell wie sie entstanden sind. Seither
probiert man sich wieder auf die Grundwerte zurückzubesinnen und propagiert
„Strength throught Unity“ (Kraft durch Einheit).
Viele Anhänger wenden sich im fortgeschrittenen Alter von den Idealen ihrer
Jugend ab, aber immer noch entscheiden sich Jugendliche ihr Leben unter Berücksichtigung
der obengenannten Regeln zu führen. Aktuell erfährt Straight Edge
einen Popularitätsschub, Bands wie Shelter, Earth Crisis oder insbesondere
Snapcase haben ihre kleine Nische im musikalischen Mainstream gefunden. Die
dadurch gewonnene Öffentlichkeit wird genutzt, über den positiven
Gedanken von Straight Edge aufzuklären.
So meinte Daryl Taberski, Sänger von Snapcase, in einem Interview: „Ja,
alle in der Band sind straight, aber wir sind keine Prediger. Diese Einstellung
ist in erster Linie für uns als Individuen wichtig. Die Texte von Snapcase
sprechen eigentlich für sich selbst, wir wollen die Leute zum unabhängigen
Denken anregen, ihnen aber nicht unsere Philosophie aufdrängen. Wenn sich
jemand persönlich verändern möchte, dann wird er die Straight
Edge-Philosophie von selbst annehmen und sie auch leben. Ich kenne sehr viele
Leute, die durch Straight Edge endgültig von ihrer Drogenabhängigkeit
loskamen. Aber nicht weil wir ihnen das eingehämmert haben, sondern weil
sie von selbst darauf gekommen sind. Für mich ist Straight Edge ein Weg
der Selbstfindung.”
Marcel
"Earth Crisis" live