Mai 2003

Sozialforen und der Widerstand gegen neoliberale Angriffe

Immer wieder ist in letzter Zeit das Wort Sozialforum in den Medien aufgetaucht. Oft wird jedoch kaum genauer darauf eingegegangen worum es sich dabei eigentlich handelt.
Eines der wichtigsten Sozialforen ist sicherlich das jährliche Weltsozialforum in Porto Alegre (Brasilien), welches im Februar zum dritten Mal getagt hat. Angefangen hat das WSF 2001 als eine Gegenveranstaltung zum jährlichen Gipfel der Herrschenden in Davos (World Economic Forum). Dabei wurde deutlich, dass die neoliberale Offensive das Leben von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt beeinträchtigt. Das “Volk von Seattle“, diese einzigartige Mischung von AktivistInnen aller möglicher sozialer Schichten, von Landlosen, über Naturschützer hin zu ArbeiterInnen, von Anarchisten bis Sozialdemokraten trat wieder auf den Plan, um zu beraten wie der Offensive der Herrschenden zu begegnen ist. Die TeilnehmerInnenzahl stieg von 10.000 im Jahr 2001, über 60.000 auf ca. 100.000 in diesem Jahr. Die Foren wurden immer begleitet von eindrucksvollen politischen Aktionen.
Ein weiteres wichtiges Forum war das Genua Socialforum, was gegründet wurde, um die Proteste gegen den G8 Gipfel 2001 zu koordinieren, über 700 Organisationen waren daran beteiligt. Die Proteste in Genua brachten die globalisierungskritische Bewegung nach Europa. Die Medien beschäftigten sich vor allem mit den gewaltsamen Zusammenstößen und blendeten die Inhalte weitgehend aus. Ca. 300.000 waren damals unter dem Motto “Ihr seit 8, wir sind 6.000.000.000“ nach Genua gekommen. Im übrigen findet der nächste G8 Gipfel am 1.-3. Juni in Evian (Frankreich) statt. Ein politischer Sonderzug soll in diesem Jahr über 1.000 AktivistInnen aus Deutschland ermöglichen, gemeinsam und relativ günstig dorthin zu fahren.
Letzter Höhepunkt der Sozialforum Bewegung in Europa war sicherlich das sog. Europäische Sozialforum in Florenz im November 2002. Zehntausende AktivistInnen tauschten sich über die aktuellen Fragen des Widerstandes in Europa aus und informierten sich über den Stand der sozialen Kämpfe in den verschiedenen Ländern. Bei der Demo gegen Krieg und Sozialabbau nahmen 1 Mio. Menschen teil.
Eindeutig ist eine Entwicklung von spontanen Gipfelprotesten hin zu mehr bewußt koordinierten Widerstand und inhaltlicher Reflexion zu beobachten. So ging vom ESF bspw. der weltweite Aktionstag am 15.Februar gegen den Irakkrieg aus, an dem sich zeitlich abgestimmt Millionen in der ganzen Welt beteiligten. Das nächste Europäische Sozialforum wird vom 12. bis 15. November 2003 in Paris stattfinden.
Nach dem katastrophalen Mißlingen des ersten großangelegten Versuchs zur Überwindung des Kapitalismus findet sich nun aus der elementaren Betroffenheit heraus, eine neue weltweite Bewegung zusammen um grundlegende Alternativen zu denken und dafür zu streiten. Die Sozialforen sind, wie ich finde, die richtige Form um diesem wachsendem Widerstand Ausdruck zu geben, denn keine Gruppe oder Organisation kann heute ernsthaft behaupten, sie hätte das ultimative Konzept. Vielfalt wird in den Foren nicht als Makel, sondern als eine Stärke angesehen. Wichtiges Prinzip ist auch keine bindenden Beschlüsse im Namen des Forums zu fassen.
Auch werden momentan viele Versuche unternommen die Sozialforumidee auf die nationale und sogar auf die kommunale Ebene herunterzuholen. Ziel ist es, eine neue außerparlamentarische soziale Opposition zu bilden, die Schröders “Blitzkrieg nach innen”, wie die Junge Welt titelte, entgegen treten kann.
Berlin ist für ein Sozialforum geradezu prädestiniert, denn mit dem Regierungseintritt der Rot-Roten Koalition zeigte sich schmerzhaft, dass auch eine Linksregierung die neoliberale Demontage der Sozialsysteme nicht aufhalten kann. Bäder, Jugendeinrichtungen, Krankenhäuser, Bibliotheken, Schulen, usw. überall wird gespart und gekürzt, was das Zeug hält. Der Tarifabschluß der Gewerkschaft ver.di wurde vom Senat nicht akzeptiert.
Aus diesen Gründen fand sich in Berlin ein Initiativkreis aus verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen zusammen (Anti-Hartz-Bündnis, attac, Initiative Berliner Bankenskandal u.v.a.), um die Durchführung eines Berliner Sozialforums entweder im Herbst dieses Jahres oder im Frühjahr nächsten Jahres anzugehen. Hauptziel ist vorerst die Gewinnung weiterer wichtiger sozialer Gruppen, wie z.B. der Gewerkschaft ver.di für das Projekt. Denn nur durch die Teilnahme eines breiten politischen Spektrums kann das Projekt einer sozialen Gegenmacht von unten gelingen. Das nächste Treffen dieses offenen Vorbereitungskreises findet am 14.04. um 19.00 Uhr im “Familiengarten“ in der Oranienstraße 34 statt.

Uwe Lorenz

Porto Allegre 2002