Mai 2003
Deutschland im Irak-Krieg: Einsatz ohne Beteiligung
TeilnehmerInnen der beeindruckend großen Antikriegsdemonstration am 15. Februar glaubten ihren Augen nicht zu trauen: „Schröder, Fischer - weiter so!“ oder „Ich bin endlich mal stolz, ein Deutscher zu sein“ war - neben gelungeneren Parolen - auf Transparenten zu lesen. Die Zustimmung meinte die Enthaltsamkeit der Bundesregierung, sich am Krieg gegen den Irak zu beteiligen. Doch mit dieser gelobten Enthaltsamkeit ist es nicht weit her: Die Bundesrepublik Deutschland ist in den Krieg gegen den Irak involviert.
1. Die Gewährung uneingeschränkter Überflug- und Transitrechte
sowie der Nutzung der US-Militärbasen ist eine Form deutscher Kriegsbeteiligung,
auf die die USA nicht ohne weiteres verzichten könnte. Sie macht Deutschland
zum internationalen Drehkreuz für Nachschub, Logistik und Operationsplanung.
Die Bundesregierung steht bis auf weiteres auf dem Standpunkt, Überflug
und Transit von US-Militär seien generell genehmigt, und zwar aufgrund
eines Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut, das US-Militärflugzeugen
auch bei voller Souveränität der BRD, d.h. auch nach dem endgültigen
Abschluss der Besatzungszeit 1994, Transit- u Überflugrechte pauschal gewährt.
Da aber das Grundgesetz die Beteiligung an einem Angriffskrieg verbietet, können
solche Regelungen trotz der viel zitierten Bündnisverpflichtungen außer
Kraft gesetzt werden, sobald die USA einen völkerrechtswidrigen Krieg führen.
Dann käme es gewissermaßen auf jeden einzelnen Flug und seinen Zweck
an. Praktischerweise existiert jedoch kein Vertrag, der klärt, ob und wie
deutsche Stellen über den Zweck von Flügen informiert werden. Gut
für die rotgrünen Koalitionspartner, die sich damit beruhigen können,
ein Entzug der Überflugrechte gefährde neben den „Bündnisverpflichtungen“
auch die Einsätze auf dem Balkan. Was im übrigen die völkerrechtliche
Rechtfertigung eines US-Krieges angeht, verriet SPD-Sprecher Dieter Wiefelspütz
der taz schon im Dezember, die Bundesregierung gehe davon aus, dass die Verbündeten
das Völkerrecht einhalten. Auf die Frage, wer das denn nun feststelle,
antwortete er, die deutsche Politik werde sich hüten, den Verbündeten
„vorzuschreiben, wie das Völkerrecht richtig ausgelegt wird“.
2. Bereits im November 2002 sagte Schröder der US-Regierung auf deren Anfrage
Unterstützung bei der Bewachung von US-amerikanischen Militäreinrichtungen
zu, die durch die Bundeswehr „vor Terroranschlägen“ geschützt
werden sollen. Gemeint war ganz normaler Wachdienst an Kasernen und Einrichtungen,
der normalerweise von US-Soldaten geleistet wird. Ab dem 24. Januar wurden Militäreinrichtungen
bewacht, Ende Februar waren bereits 2.500 Bundeswehrsoldaten an insgesamt 59
Kasernen im Einsatz, und inzwischen tun 3.800 Bundeswehrsoldaten Wachdienst
an US-amerikanischen Militäreinrichtungen. Da dies rund um die Uhr zu geschehen
hat, werden am Ende mehr Bundeswehrangehörige involviert sein, die Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung sprach schon im letzten Jahr von bis zu 7.000. Jeder
einzelne dieser Soldaten ersetzt einen Soldaten der US-Army, der demzufolge
allein aufgrund der bundesdeutschen Beteiligung für den Krieg zur Verfügung
steht.
3. Im März forderte der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes ebenso wie
die FDP ein Bundestagsmandat für Einsätze von Awacs-Aufklärungsflugzeugen.
Im Interesse der in den Maschinen eingesetzten Soldaten müsse, so Gertz,
„Rechtssicherheit“ hergestellt werden, denn defensive und offensive
Aufgaben seien in den Awacs-Flugzeugen nicht zu trennen. Wird der Einsatz nämlich
nicht durch ein Bundestagsmandat abgesichert, wäre es möglich, dass
diese Soldaten sich strafbar gemacht haben, sollte die Information, dass der
Krieg gegen den Irak völkerrechtswidrig ist, doch noch zu deutschen Gerichten
durchdringen. Tatsächlich kann man den Awacs-Einsatz nicht einmal theoretisch
auf die „Sicherung des türkischen Luftraums“ reduzieren. Diese
Flugzeuge erfassen über dem irakischen Gebiet mögliche Luftziele,
deren Position an das türkische Luftwaffenoberkommando und an die Nato
weitergeleitet wird. Damit stehen sie automatisch den USA zur Verfügung.
Das, und nicht die Sorge um die türkische Sicherheit, hat sie vermutlich
auch dazu bewegt, den Awacs-Einsatz „zum Schutz der Türkei“
bereits im Januar im Nato-Hauptquartier zu beantragen. Der verteidigungspolitische
Sprecher der CDU, Christian Schmidt, brachte es schon im Dezember auf den Punkt,
als er Schröder Irreführung der Öffentlichkeit vorwarf. Nur der
Vollständigkeit halber: Während SPD und Grüne noch immer zu bemänteln
versuchen, dass es sich um Kampfeinsätze handelt, befürwortet die
CDU diese offen.
4. Ebenfalls auf der Wunschliste der USA an das Nato-Hauptquartier stand die
Überlassung von Patriot-Flugabwehrraketen vorgeblich für den Schutz
der Türkei. Diese Boden-Luft-Raketen wurden durch die Niederlande zur Verfügung
gestellt. Da ihre Anzahl jedoch nicht ausreicht, stellt die Bundeswehr weitere
Raketen bereit, die bei Bedarf eingesetzt werden, und dies, soviel ist klar,
nicht für humanitäre Zwecke.
5. 100 für die Abwehr von ABC-Angriffen ausgebildete Soldaten und sechs
Fuchs-Spürpanzer befanden sich bereits in Kuweit, als das Kontingent im
März auf 200 Soldaten aufgestockt wurde. Da es sich beim Einsatz von ABC-Soldaten
nicht um humanitäre Hilfe für eine etwaige Alphabetisierung der Bevölkerung
handelt, kann ihre Entsendung nur als aktive Beteiligung am Krieg gedeutet werden.
Struck selbst begründete die Verstärkung des Kontingents damit, dass
bei Kriegsbeginn die US-amerikanischen und tschechischen ABC-Spezialisten in
den Irak „verlegt“ und die deutschen Soldaten sie ersetzen würden.
6. Nicht zuletzt geben rund 600 Soldaten der deutschen Marine, die am Horn von
Afrika operieren, für US-amerikanische Seestreitkräfte und Seetransporte
Geleitschutz auf deren Weg in den Persischen Golf.
Und das ist noch nicht alles: Bundesverteidigungsminister Struck hat den USA
bereits im Januar „humanitäre Hilfe“ angeboten, nämlich
das Ausfliegen verletzter US-Soldaten beispielsweise aus Saudi-Arabien. Da es
zu offensichtlich war, dass medizinische Hilfe für Kombattanten keine humanitäre,
sondern eine kriegsunterstützende Maßnahme ist, räumte Struck
später ein, man könne gegebenenfalls auch verletzte IrakerInnen ausfliegen.
Verletzte Zivilpersonen, die humanitärer Hilfe bedürfen, dürfte
es im Irak mittlerweile geben. Wie viele von ihnen die Bundeswehr zwecks Behandlung
ausfliegt, werden wir sehen.
Wer all diese Beiträge zum Krieg als kleineres Übel gegenüber
einem Eintritt der Bundesregierung in die „Koalition der Willigen“
betrachtet, sollte sich die Augen reiben: Mehr als 4.600 Soldaten der Bundeswehr
unterstützen jetzt, Ende März, den Angriffskrieg auf den Irak direkt.
Damit ist die Bundesrepublik Deutschland viertgrößte kriegsbeteiligte
Partei. Außer den USA und Großbritannien ist nur die Türkei
stärker beteiligt. Selbst Staaten, die in der „Koalition der Willigen“
vertreten sind, beteiligen sich in geringerem Maße.
„Weiter so, Genossen“? Auf keinen Fall!
Kampagne gegen Wehrpflicht
Awacs: Fliegende Kommandozentralen