Rot-Grün macht weiter: Wehrpflicht
bleibt !
Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen haben die rot-grünen Unterhändler am 7. Oktober den Fahrplan zur Außen- und Sicherheitspolitik für die nächsten vier Jahre festgelegt. Der zentrale Absatz, der sich in der Koalitionsvereinbarung über die weitere Entwicklung der Bundeswehr findet, lautet:
„Das künftige Aufgabenspektrum der Bundeswehr wird
ganz wesentlich durch die sicherheitspolitischen Entwicklungen und den Wandel
der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz bestimmt. (...) die Bundesregierung
(wird) die Beschaffungsplanung, die materielle Ausstattung und den
Personalumfang der Bundeswehr fortlaufend den künftigen Anforderungen anpassen.
Hierbei werden die Vorschläge der ... (Weizsäcker-Kommission) die Richtschnur
bilden. Nach der weitgehenden Umsetzung der im Jahr 2000 eingeleiteten
Bundeswehrreform, aber noch vor Ende der laufenden 15. Legislaturperiode, muss
erneut überprüft werden, ob weitere Strukturanpassungen oder Änderungen bei der
Wehrverfassung notwendig sind...“
Bemerkenswert ist die Offenheit, mit der die
Bundesregierung den Kurs der Bundeswehr benennt. Sie wird zu einer „Armee im
Einsatz“ umgebaut. Da ein Krieg in und um Deutschland herum ausgeschlossen ist,
kann es nur um globale Einsätze, um Interventionen, gehen. Hatte die CDU
geführte Regierung die Bundeswehr unter Ex-Minister Rühe „nur“ in Teilen auf
weltweite Kriegführung eingeschworen, so hat Rot-Grün mit ihrer im Jahr 2000
beschlossenen Militärreform nicht weniger zum Ziel, als die gesamte Struktur
der Bundeswehr umzukrempeln und auf Kriegführung weltweit auszurichten. So
wurden in der Zwischenzeit durch Schaffung eines „Einsatzrats“ (zur
strategischen Planung und Steuerung von Auslandseinsätzen), eines
„Einsatzführungskommandos“ (Generalstab zur Planung und Führung von
Auslandseinsätzen) und der Übertragung von Kommandogewalt auf den
Generalinspekteur als oberster Militär die Führungsstruktur der Bundeswehr
zentralisiert. Neu aufgestellte Interventionsinstrumente wie die Division
Spezielle Operation (DSO) und die Division Luftbewegliche Operationen (DLO)
wurden aufgestellt.
Bereits kurz nach Bildung der ersten Rot-Grünen
Bundesregierung wurde eine nach dem Vorsitzenden Weizsäcker benannte Kommission
eingesetzt. Sie sollte Vorschläge für die Struktur der Streitkräfte entwickeln.
Im Mai 2000 hat sie ihren Bericht vorgelegt. Bis auf die Frage der Wehrpflicht
und somit der Personalstruktur wurden diese Empfehlungen angenommen.
Der Vorschlag dieser Kommission, einen „Auswahl-Wehrdienst“ einzuführen, wurde nicht befolgt. In die Bundeswehr sollten danach jährlich lediglich 30.000 Rekruten, unter Beibehaltung der Wehrpflicht, eingezogen werden. Der einzige Staatsrechtler in der damaligen Kommission hielt diesen Vorschlag für verfassungswidrig, da damit die Pflichtengleichheit in Form der Wehrgerechtigkeit und der Gleichheitsgrundsatz verletzt werden würde. Der Gedanke einer Auswahl-Wehrpflicht wurde von der Bundesregierung und der Bundeswehr offiziell auch nicht aufgegriffen. Scharping hielt an der „allgemeinen“ Wehrpflicht fest, allerdings bei deutlicher Reduzierung von Dienstposten für Wehrpflichtige in der Bundeswehr mit der Folge, auch entsprechend weniger Wehrpflichtige rekrutieren zu können. In diesem Jahr wurden noch knapp 125.000 zum Grundwehrdienst „befohlen“. Einen Rückgang von 20.000 Einberufungen gegenüber dem Jahr 2000, von 35.000 gegenüber 1998. Und dies, obwohl die Ausgangsgröße, der Umfang eines männlichen Geburtenjahrgangs, seit Jahren konstant bei über 400.000 liegt. Nach den derzeitigen Planungen werden in den kommenden Jahren durchschnittlich jedes Jahr lediglich 90.000 Wehrpflichtige einberufen. Wer angesichts dieser Zahlen noch von einer „Allgemeinen Wehrpflicht“ redet, sollte sich von einem Musterungsarzt auf seine Tauglichkeit untersuchen lassen. Wer immer noch glaubt, die Bundeswehr sei eine Wehrpflichtarmee, solle sich angesichts folgender Zahlen die Augen reiben: Im November 2002 waren von insgesamt knapp 294.000 Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr nur noch knapp 82.000 normal Grundwehrdienstleistende. Der Rest von über 200.000 sind Freiwillige. Und ihr Anteil wird sich kontinuierlich erhöhen. Angestrebt wird eine Bundeswehr, die sich aus 53.000 Grundwehrdienstleistenden und 230.000 Freiwilligen zusammensetzt. Im Jahr 2006 wird nicht einmal jeder Fünfte in der Armee Grundwehrdienstleistender sein.
Die Umsetzung der Wehrpflicht ist in eklatanter
Weise rechtswidrig geworden. Ob Wehrpflichtige den Zwangsdienst leisten müssen,
hängt mittlerweile eher von General Zufall ab. Es ist nicht ungewöhnlich, dass
Wehrpflichtige jahrelang von Kreiswehrersatzämtern in Ruhe gelassen werden, bis
sie plötzlich einberufen werden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Wehrpflichtige
bereits Jahre vor Erreichen ihrer Einberufungsgrenze ohne Rechtsgrundlage eine
Nichtheranziehungszusage erhalten. Andererseits ist es auch nicht ungewöhnlich,
dass Wehrpflichtige trotz des Vorliegens gewichtiger Gründe gegen eine
Einberufung bis zum letzten Tag gejagt werden. Und diese Willkür wird noch
zunehmen!
Ohne die starke Zunahme von
Kriegsdienstverweigerungen wäre das Wehrpflichtsystem längst zusammengebrochen.
Die immer neuen Rekordmarken helfen dem Verteidigungsministerium, da jeder
anerkannte Kriegsdienstverweigerer aus der direkten Zuständigkeit des Militärs
fällt. In diesem Jahr werden über 190.000 Wehrpflichtige einen solchen Antrag gestellt haben, soviel wie
noch nie.
Die rot-grüne Regierung hat sich klar und eindeutig
entschieden: Modernisierung der Streitkräfte, um sie weltweit einsetzen zu
können. Zweitrangig war für sie dabei die Frage der Wehrpflicht. Unter die
Ketten kommen die, die in den nächsten Jahren wehrpflichtig werden. Weitere
Hunderttausende werden die Einschränkung ihrer demokratischen Rechte erdulden
müssen.
Und die Militärspitze scheint in Bezug auf die in ihren Reihen verbleibenden Wehrpflichtigen nur das Problem zu kennen, diese entsprechend einer politischen Weisung nicht zu Auslandseinsätzen abkommandieren zu dürfen. Ein Argumentationspapier der Militärspitze, eigens für die Koalitionsberatungen abgefasst, fordert: „Diese politische Restriktion ist aufzuheben und die grundsätzliche Möglichkeit des Einsatzes von Grundwehrdienstleistenden bei Auslandseinsätzen zu eröffnen.“
SPD und Grüne haben sich auf einen Formalkompromiss
geeinigt. Beide Seiten - Grüne contra, SPD pro Wehrpflicht – können mit der
Vereinbarung auf eine erneute Überprüfung der Wehrstruktur in vier Jahren
leben. Dass dabei die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission die „Richtschnur“
bilden sollen, läßt befürchten, dass die Wehrpflicht in Deutschland zur
unendlichen Geschichte verdammt ist.
Deshalb gilt auch weiterhin für die betroffenen
Wehrpflichtigen: Ohne Musterung keine Einberufung. Nur die rechtzeitige
Information kann schützen. Wer sich auf das Glückspiel mit dem Kreiswehrersatzamt
einläßt, zeigt keine guten Zockerqualitäten.
Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und
Militär