Im folgenden möchten wir eine Reaktion auf das Flugblatt der „gruppe.internationale.webteam“, „Für die Freiheit … Für das Leben … Den Rotdorn von der Straße fegen!!“ veröffentlichen. Das Flugblatt und eine anschließende rege Diskussion sind bei indymedia (http://www.de.indymedia.org/2002/09/28860.shtml) nachzulesen.
Denkt endlich!
Im
September 2002 erreichte mich auf den kryptischen Wegen des Internet ein Text
mit der Überschrift: „Für die Freiheit... Für das Leben... Den Rotdorn von der
Straße fegen!“. Da mich interessierte, wie denn wohl eine einfache Zeitung
Jugendlicher Freiheit und Leben bedrohen könnte, laß ich das Elaborat
(Schriftstück, Anm. d. Red.). Ich hätte es lassen sollen.
In
willkürlich aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten versucht dieser Text
nachzuweisen, daß es sich bei den Rotdorn-Redakteuren um eine besonders perfide
Form von Braunhemden handelt, die mit dem Geld von dem Sozialdemokratismus
zuneigenden Arbeiterverrätern - der PDS - antisemitische und antiamerikanische
Ressentiments unter „der“ Jugend sähen. Einerseits ist das ein grober Keil,
andererseits der übliche Verbalradikalismus, mit dem Stürme im Wasserglas
einher zu gehen pflegen. Läßliche formale Fehler im inkriminierten Text der
Ausgabe Nr. 33 (die Überschrift war nicht als Zitat kenntlich; es fehlte ein
Autorenname, obwohl im Text ein Ich spricht) werden zu einem „Alptraum von
Unwissenheit“ stilisiert, was davon ablenken soll, daß sich die ominöse
„gruppe“ mit dem Inhalt nicht auseinandersetzt. Das wäre auch schwierig
gewesen, denn der Text transportiert nicht zu widerlegende geschichtliche
Tatsachen. Der gewählte Blickwinkel auf die Geschichte der USA mag einem
behagen oder auch nicht - allein, darum geht es nicht.
Die
Kritik am Rotdorn dient nämlich nur der Illustration. In einem hochtrabend als
Essay bezeichneten Elaborat, daß der eigentlichen Kritik vorangestellt ist,
offenbaren sich seine Autoren (?) als eine Gruppe (?) von Menschen, deren
Tragik darin besteht, unter uns antisemitischen, völkischen Dumpfbacken leben
zu müssen - alles Nazis, außer Mutti. Folgerichtig bezeichnet sich diese
Haltung zur Welt selbst als „antideutsch“. Mit Blick auf die hier herrschenden
Verhältnisse und zur Zeit der kürzesten Tage des Jahres kann ein solches
Etikett in der Tat einen gewissen Reiz haben, doch auch das ist schon wieder
eine falsche Fährte. Denn nicht die bewußte Abgrenzung zu den
bundesrepublikanischen Verhältnissen produziert das Adjektiv, sondern die
Abgrenzung von linken Renegaten ist gemeint, die in ihrem Widerstand gegen eine
wie auch immer geartete „Fremdbestimmung“ unbemerkt ins völkische Lager mit dem
„miefenden Geruch des ,Bei-sich-selberbleiben-wollens‘“ abgedriftet sind.
Nun
ist nicht jeder, der an einer Universität herumlungert, allein schon deshalb
gebildet. Und wer sich der kruden Sprache der Politologieseminare bedient, muß
noch lange nicht in beiden Disziplinen des Materialismus, dem dialektischen und
dem historischen, bewandert sein. (Wobei das Kreuz mit der Dialektik darin
besteht, daß sie gerade die Anwendung beider Disziplinen verlangt, um
gesellschaftliche Sachverhalte erkennen und einordnen zu können ...) Die im
sogenannten Essay erhobenen Vorwürfe auf der Metaebene quasi sind nicht neu.
Seit über dreißig Jahren streiten deutsche Linke darüber, wie die hehren
theoretischen Ansprüche und die gesellschaftliche Realität in Einklang zu bringen
wären. In dieser Auseinandersetzung sind geistige Verirrungen an der
Tagesordnung. Die aus der Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen Ende
der 70er Jahre hervorgegangenen westdeutschen „Antiimperialisten“ standen am
Ende kritiklos zu Pol Pots Schreckensregime in Kambodscha, verdächtigten aber
Anfang der neunziger Jahre gleichzeitig die ostdeutsche Linke, die sich gegen
die materielle Fremdbestimmung durch das westdeutsche Kapital genauso wie gegen
die ideologische Fremdbestimmung durch die westdeutsche Linke wandten, des
Nationalbolschewismus. Der einfache Umstand, daß das Gegenteil von
„Fremdbestimmung“ eben nichts dumpf Völkisches ist, sondern einfach nur
„Selbstbestimmung“, also vor allem das Recht, die eignen Fehler selber zu
machen und unter Umständen das Fahrrad zum zweiten Mal zu erfinden, wurde
damals genauso konsequent vom Tisch gewischt, wie ihn heute die „Antideutschen“
ausblenden.
Schön,
könnte man denken, Pack schlägt sich und verträgt sich, das ruckelt nicht an
der Weltenachse. Aber in dem die deutsche Linke das tut, ist sie nicht in der
Lage, emanzipatorische Bewegungen, die um sie herum - einfach so - entstehen,
auch nur wahr zu nehmen. Denn in dem alles primär unter Generalverdacht
gestellt wird, in dem grundsätzlich erst mal herumgemäkelt wird, weil wieder
die „Reine Lehre“ an diesem oder jenem Punkt verletzt scheint, in dem man sich
als Gesinnungspolizei generiert, ist die deutsche Linke vor allem eins:
deutsch. Und das gilt auch und gerade für die „Antideutschen“. Aus der reinen Lehre
wird so eine reine Leere. Unbemerkt ist nämlich offenbar geblieben, in welch
affirmativen Verhältnis zur hier herrschenden Staatsdoktrin sowohl als auch
Staatsauffassung man sich befindet, wenn die „Antideutschen“ die Kritik an der Politik
des israelischen oder amerikanischen Staates als antisemitisch oder
antiamerikanisch defamiert. Das dies bruchlos mit einem ausgestellten linken
Selbstverständnis einher geht, verschlägt mir den Atem.
Leider
Gottes entwickeln derartige Unsinnigkeiten eine Eigendynamik, die weit über das
erwähnte Wasserglas hinaus weisen. Es bleibt selten dabei, Papier
vollzuschmieren. Im konkreten Fall wurden Plakate gedruckt, Fahndungsplakate
der „gefährlichsten“ „Antisemiten“ – die abgesehen von Horst Mahler, NPD und
Jürgen Wilhelm Möllemann allesamt aus dem linken Lager stammen. Die als
Überschrift des Internetpamphlets gewählte, pseudorevolutionäre Phrase ist
keineswegs nur als rhetorische Floskel gemeint, sie soll Handeln evozieren. ...
und willst Du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich Dir den Schädel ein ...
Selten hat es die Linke ihren Gegnern so einfach gemacht.
Wolfram
Kempe