Januar 2003 

 

 

Im folgenden möchten wir eine Reaktion auf das Flugblatt der „gruppe.internationale.webteam“, „Für die Freiheit … Für das Leben … Den Rotdorn von der Straße fegen!!“ veröffentlichen. Das Flugblatt und eine anschließende rege Diskussion sind bei indymedia (http://www.de.indymedia.org/2002/09/28860.shtml)  nachzulesen.

 

 

 

Denkt endlich!

Zu einem Internet-Pamphlet der sogenannten „gruppe.internationale.webteam“

 

Im September 2002 erreichte mich auf den kryptischen Wegen des Internet ein Text mit der Überschrift: „Für die Freiheit... Für das Leben... Den Rotdorn von der Straße fegen!“. Da mich interessierte, wie denn wohl eine einfache Zeitung Jugendlicher Freiheit und Leben bedrohen könnte, laß ich das Elaborat (Schriftstück, Anm. d. Red.). Ich hätte es lassen sollen.

In willkürlich aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten versucht dieser Text nachzuweisen, daß es sich bei den Rotdorn-Redakteuren um eine besonders perfide Form von Braunhemden handelt, die mit dem Geld von dem Sozialdemokratismus zuneigenden Arbeiterverrätern - der PDS - antisemitische und antiamerikanische Ressentiments unter „der“ Jugend sähen. Einerseits ist das ein grober Keil, andererseits der übliche Verbalradikalismus, mit dem Stürme im Wasserglas einher zu gehen pflegen. Läßliche formale Fehler im inkriminierten Text der Ausgabe Nr. 33 (die Überschrift war nicht als Zitat kenntlich; es fehlte ein Autorenname, obwohl im Text ein Ich spricht) werden zu einem „Alptraum von Unwissenheit“ stilisiert, was davon ablenken soll, daß sich die ominöse „gruppe“ mit dem Inhalt nicht auseinandersetzt. Das wäre auch schwierig gewesen, denn der Text transportiert nicht zu widerlegende geschichtliche Tatsachen. Der gewählte Blickwinkel auf die Geschichte der USA mag einem behagen oder auch nicht - allein, darum geht es nicht.

Die Kritik am Rotdorn dient nämlich nur der Illustration. In einem hochtrabend als Essay bezeichneten Elaborat, daß der eigentlichen Kritik vorangestellt ist, offenbaren sich seine Autoren (?) als eine Gruppe (?) von Menschen, deren Tragik darin besteht, unter uns antisemitischen, völkischen Dumpfbacken leben zu müssen - alles Nazis, außer Mutti. Folgerichtig bezeichnet sich diese Haltung zur Welt selbst als „antideutsch“. Mit Blick auf die hier herrschenden Verhältnisse und zur Zeit der kürzesten Tage des Jahres kann ein solches Etikett in der Tat einen gewissen Reiz haben, doch auch das ist schon wieder eine falsche Fährte. Denn nicht die bewußte Abgrenzung zu den bundesrepublikanischen Verhältnissen produziert das Adjektiv, sondern die Abgrenzung von linken Renegaten ist gemeint, die in ihrem Widerstand gegen eine wie auch immer geartete „Fremdbestimmung“ unbemerkt ins völkische Lager mit dem „miefenden Geruch des ,Bei-sich-selberbleiben-wollens‘“ abgedriftet sind.

Nun ist nicht jeder, der an einer Universität herumlungert, allein schon deshalb gebildet. Und wer sich der kruden Sprache der Politologieseminare bedient, muß noch lange nicht in beiden Disziplinen des Materialismus, dem dialektischen und dem historischen, bewandert sein. (Wobei das Kreuz mit der Dialektik darin besteht, daß sie gerade die Anwendung beider Disziplinen verlangt, um gesellschaftliche Sachverhalte erkennen und einordnen zu können ...) Die im sogenannten Essay erhobenen Vorwürfe auf der Metaebene quasi sind nicht neu. Seit über dreißig Jahren streiten deutsche Linke darüber, wie die hehren theoretischen Ansprüche und die gesellschaftliche Realität in Einklang zu bringen wären. In dieser Auseinandersetzung sind geistige Verirrungen an der Tagesordnung. Die aus der Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen Ende der 70er Jahre hervorgegangenen westdeutschen „Antiimperialisten“ standen am Ende kritiklos zu Pol Pots Schreckensregime in Kambodscha, verdächtigten aber Anfang der neunziger Jahre gleichzeitig die ostdeutsche Linke, die sich gegen die materielle Fremdbestimmung durch das westdeutsche Kapital genauso wie gegen die ideologische Fremdbestimmung durch die westdeutsche Linke wandten, des Nationalbolschewismus. Der einfache Umstand, daß das Gegenteil von „Fremdbestimmung“ eben nichts dumpf Völkisches ist, sondern einfach nur „Selbstbestimmung“, also vor allem das Recht, die eignen Fehler selber zu machen und unter Umständen das Fahrrad zum zweiten Mal zu erfinden, wurde damals genauso konsequent vom Tisch gewischt, wie ihn heute die „Antideutschen“ ausblenden.

Schön, könnte man denken, Pack schlägt sich und verträgt sich, das ruckelt nicht an der Weltenachse. Aber in dem die deutsche Linke das tut, ist sie nicht in der Lage, emanzipatorische Bewegungen, die um sie herum - einfach so - entstehen, auch nur wahr zu nehmen. Denn in dem alles primär unter Generalverdacht gestellt wird, in dem grundsätzlich erst mal herumgemäkelt wird, weil wieder die „Reine Lehre“ an diesem oder jenem Punkt verletzt scheint, in dem man sich als Gesinnungspolizei generiert, ist die deutsche Linke vor allem eins: deutsch. Und das gilt auch und gerade für die „Antideutschen“. Aus der reinen Lehre wird so eine reine Leere. Unbemerkt ist nämlich offenbar geblieben, in welch affirmativen Verhältnis zur hier herrschenden Staatsdoktrin sowohl als auch Staatsauffassung man sich befindet, wenn die „Antideutschen“ die Kritik an der Politik des israelischen oder amerikanischen Staates als antisemitisch oder antiamerikanisch defamiert. Das dies bruchlos mit einem ausgestellten linken Selbstverständnis einher geht, verschlägt mir den Atem.

Leider Gottes entwickeln derartige Unsinnigkeiten eine Eigendynamik, die weit über das erwähnte Wasserglas hinaus weisen. Es bleibt selten dabei, Papier vollzuschmieren. Im konkreten Fall wurden Plakate gedruckt, Fahndungsplakate der „gefährlichsten“ „Antisemiten“ – die abgesehen von Horst Mahler, NPD und Jürgen Wilhelm Möllemann allesamt aus dem linken Lager stammen. Die als Überschrift des Internetpamphlets gewählte, pseudorevolutionäre Phrase ist keineswegs nur als rhetorische Floskel gemeint, sie soll Handeln evozieren. ... und willst Du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich Dir den Schädel ein ... Selten hat es die Linke ihren Gegnern so einfach gemacht.

 

Wolfram Kempe