Januar 2003 

 

 

Bush-Doktrin oder Völkerrecht?

 

Mit der UNO-Charta hat der Krieg aufgehört, ein völkerrechtlich zulässiges Mittel der Politik zu sein. Artikel 2 Ziffer 4 verbietet den Staaten die «Androhung oder Anwendung von Gewalt», und zwar unabhängig vom «gerechten Grund », den eine Konfliktpartei für sich reklamieren möchte. Gewalt zur Durchsetzung des Rechts steht einzig und allein dem Sicherheitsrat zu. Nur wenn dieser nicht willens oder in der Lage ist, «die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen» zu treffen, haben die betroffenen Staaten «das naturgegebene Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung» (Art. 51).

 

Was heißt das im Fall des Saddam Hussein?

Dass ihn das Völkerrecht nicht interessiert, dass er einen achtjährigen Krieg gegen den Iran führte und dazu ein Biowaffenprogramm entwickelte - beides mit tatkräftiger Unterstützung der USA -, dass er Senfgas gegen die eigene kurdische Bevölkerung einsetzte, dass er Kuwait überfiel, dass er heute «Märtyrerprämien» für die Hinterbliebenen von palästinensischen Selbstmordattentätern ausrichtet, das alles wissen wir. Ein «Schurke» war Saddam schon immer. Sein schlimmstes Verbrechen aber scheint zu sein, dass er nicht mehr Amerikas «Schurke» ist.

Der Sicherheitsrat hatte nach dem 2.Golfkrieg mit der Resolution 687 die Fahndung nach Massenvernichtungswaffen im Irak verfügt. Die UNO-Inspektoren arbeiteten während knapp acht Jahren mit einigem Erfolg. Sie stießen auf Nuklearfabriken, auf fast 40 000 chemische Sprengköpfe und auf mehr als 800 Scud-Raketen. 1998 hat Saddam die Inspektoren vertrieben, mit der allerdings nicht ganz abwegigen Begründung, dass unter den Inspektoren auch CIA-Agenten gewesen seien.

Jedenfalls war der amerikanische Geheimdienst über diese Inspektionen jeweils besser und schneller informiert als die UNO-Zentrale. Inzwischen gibt es amerikanische und britische Dossiers, die beweisen wollen, dass Saddam wieder über ein ganzes Arsenal an chemischen und biologischen Waffen verfüge. Diese Dossiers rechtfertigen allenfalls neue Waffeninspektionen, aber

gewiss nicht den Krieg, den Bush will. Unter dem Druck der Weltöffentlichkeit und nach der Ankündigung aus Riad, dass Saudi-Arabien sich einer UNO-Aktion gegen den Irak nicht verschliessen könne, ist Saddam heute wieder bereit, UNO-Inspektoren ins Land zu lassen. Hans Blix, der Chef der UNO-Abrüstungsmission im Irak, meint: «Die Inspektionen könnten in einem Jahr abgeschlossen sein, und das Land hätte eine Chance, wieder in die Weltgemeinschaft aufgenommen zu werden - wenn wir nicht fündig werden» (Spiegel, 39/02). Das geht Bush aber viel zu lang. Er hat schon längst beschlossen, einen Enthauptungsschlag gegen Saddam zu führen. Und was, wenn der Sicherheitsrat nichts oder im Sinne der USA nicht genug unternimmt? Kann Bush dann für die USA das Recht auf « Selbstverteidigung » reklamieren? Selbstverteidigung gegen einen Angriff, der irgendeinmal drohen könnte? Das wäre kein Verteidigungs-, sondern ein «Präventivkrieg», der das Völkerrecht eindeutig verletzte. Abenteuerlich wären die politischen Folgen für andere Konfliktherde. Es gibt genügend Potentaten, die offene Rechnungen mit einem «Präventivschlag» begleichen möchten. Russlands Putin propagierte eben noch einen Angriff auf Georgien als «Akt der Selbstverteidigung» (TA 13.9.02). Indien könnte mit gleicher Begründung Pakistan angreifen. Und China könnte versucht sein, einer Unabhängigkeitserklärung Taiwans auf diese Weise zuvorzukommen. Wie anders als durch «antizipatorische Selbstverteidigung» aber kann ein Land sich gegen Terrorismus wehren, der ja plötzlich und ohne Vorwarnzeit zuschlägt? Die Frage ist falsch gestellt. Erstens gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Saddam Terrorakte gegen die USA unterstützen würde. Zweitens hilft gegen Terrorismus kein Krieg, wie das Beispiel Afghanistan zeigt. Gegen Kriminelle gibt es drittens und rechtens nur die Strafverfolgung. Wer Krieg gegen sie führt, macht sie zu Kombattanten und spielt damit ihr Spiel.

 

Was soll ein UNO-Krieg gegen den Irak?

Ein UNO-Mandat wäre unabdingbar, um militärische Sanktionen gegen den Irak zu legitimieren. Aber wäre es auch hinreichend, um sie rechtlich, politisch oder gar moralisch zu rechtfertigen? Selbst wenn der Sicherheitsrat den USA grünes Licht für einen Militärschlag gegen das Regime von Saddam Hussein gäbe, stünde ein solcher Beschluss nicht ohne weiteres im Einklang mit der UNO-Charta. Diese kennt nämlich keine Generalermächtigung, durch die der Sicherheitsrat irgendwelchen Staaten erlauben dürfte, im Namen der UNO Krieg zu führen. Es ist der Sicherheitsrat, der Sanktionen ausspricht, durchführt und für beendet erklärt (Art. 42). Die Staaten haben ihm zu diesem Zweck «Streitkräfte» zur Verfügung zu stellen (Art. 43f.). Seit dem letzten Golfkrieg passiert jedoch das genaue Gegenteil: Der Sicherheitsrat «autorisiert» die USA und

deren «Alliierten» zu einer neuen Art von «gerechtem Krieg». Der Sicherheitsrat gibt damit das Heft aus der Hand, er kann nicht einschreiten, wenn die Kriegführung alle Proportionen sprengt, und er hat keine Befehlsgewalt, um der verbliebenen Supermacht einen Waffenstillstand oder das Kriegsende zu diktieren. Soll sich das Desaster vom Frühjahr 1991 wiederholen, als der Irak während 40 Tagen mit 100 000 «chirurgischen Eingriffen» bombardiert wurde, die wenigstens 300 000 Tote hinterließen? Colin Powell, der als besonnen geltende heutige US-Außenminister, führte als damaliger Stabschef der US-Armee einen eigentlichen Vernichtungskrieg gegen die irakische Armee. Traurige Berühmtheit erlangte sein Wort, er wolle die 500 000 irakischen Soldaten erst einmal (von ihren logistischen Verbindungen) «abschneiden und dann töten (kill)» (TA 25.1.91). Der US-amerikanische Soziologe Norman Birnbaum verwies auf eine beängstigende Kontinuität des Genozids in der US-amerikanischen Politik: «Das amerikanische Niedermetzeln der bereits fliehenden irakischen Armee, deren Regierung schon um Frieden nachsuchte, war gekennzeichnet von der gleichen Noblesse wie das Abschlachten der Indianer» (Spiegel.18.3.91). Der Sicherheitsrat hatte sich der Möglichkeit begeben, die von ihm erlaubten Kampfhandlungen auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Er handelte insofern nicht mehr «im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen» (Art. 24 Abs. 2).

Es sieht ganz so aus, als würde er unter dem Druck der USA zu einer Wiederholung dieser Tragödie Hand bieten. «Die UNO muss sich entscheiden, ob sie Durchsetzungskraft zeigen will», pflegt Bush zu sagen, wenn er die Weltorganisation mit seinen Ultimaten eindeckt, als sei er ihr oberster Auftraggeber und Kriegsherr.

Eine sowohl ethische als auch politische Frage betrifft das Ziel des geplanten Militärschlags. Geht es um die Beseitigung Saddam Husseins? Aber wer soll an dessen Stelle treten? Und mit welcher Legitimation? Die von Washington hofierten Exilgruppen verfügen über keinen Rückhalt in der irakischen Bevölkerung. Darum rechnen Nahost-Experten damit, dass 100 000 Soldaten während fünf Jahren im Land für Ruhe und Ordnung sorgen müssten.

Oder geht es um den viel beschworenen «Krieg gegen den Terrorismus»? Genau diesen Krieg könnte verlieren, wer den Krieg gegen Saddam Hussein gewinnt. Demütigung schafft Feinde. Gegen Selbstmordattentäter hilft keine noch so hochgerüstete Invasionsarmee.

Oder geht es nur ums Erdöl? Schon Vater Bush hatte den 2. Golfkrieg um diese wirtschaftliche Lebensader des American Way of Life geführt. Mit Bush jr. haben erneut die Ölhändler die Macht übernommen, die ja auch seinen Wahlkampf finanzierten. Bereits der Afghanistankrieg wurde um Öl und Gas geführt. Jetzt geht es um die Ausbeutung der zweitgrößten Erdölreserven der Welt. Der Chef des US-Geheimdienstes, James Woolsey, plauderte kürzlich gegenüber der Washington Post aus der Schule, dass die «USA alles in ihren Kräften Stehende tun werden, damit die neue irakische Regierung und die US-Ölgesellschaften gut zusammenarbeiten werden». Und dafür soll die UNO eine Kriegs- und Tötungslizenz ausstellen?

Die Gegenfrage sei erlaubt: Was könnte mit den 50 bis 200 Milliarden Dollar gemacht werden, wenn sie statt in den Krieg in den Frieden im Nahen Osten investiert würden? Oder in die Sonnenenergie, die den Krieg um Öl erst recht als antiquiert erscheinen ließe? Aber solche Überlegungen würden Herrn Bush überfordern. Für den «terrible simplificateur» reduziert sich alles auf einen «Konflikt zwischen Gut und Böse». Am Ende glaubt er noch selbst daran.

 

Willy Spieler, Redaktor von "Neue Wege - Zeitschrift des Religiösen Sozialismus"

 

aus: Neue Wege - Zeitschrift des Religiösen Sozialismus, Nr.10/2002, 96.Jahrgang, Zürich (Schweiz)