Januar 2003

 

 

 

»... dann seid ihr blind, nicht ich!«

Brief des Reserveoffiziers Asaf Oron

 

Auszüge des Briefes des israelischen Reserveoffiziers Asaf Oron, Oberleutnant der Giv'ati Brigade. Er gehört zu den inzwischen über 300 Soldaten, die den Dienst in den besetzten Gebieten verweigern. Oron war einer der ersten, die ihre Aktion explizit begründeten.

 

Am 5. Februar 1985 verabschiedete ich mich von meinen Eltern, verließ das Haus, nahm den Bus ins Militärcamp und verwandelte mich in einen Soldaten. Genau 17 Jahre später sehe ich mich in einer unerbitterlichen Konfrontation mit der Armee, während die breite Öffentlichkeit mich und meine Gefährten angreift....

Viel wird darüber gesprochen, was legitim ist und was nicht. Fast niemand stellt die entscheidende Frage: Warum steht da jemand plötzlich auf und sagt, ich spiele das Spiel nicht mehr mit?

Als ich eingezogen wurde, war ich kein Enthusiast und freute mich nicht auf einen Dienst voll von Mut und Opfersinn. Wenn sich ein 19-Jähriger statt in Heiliger Mission in einer Lage wiederfindet, in der er die Würde von Menschen mit Füßen treten muss, darf er - so will es doch unsere Gesellschaft - nicht fragen, ob das verkraftbar ist? Er soll so handeln wie alle anderen auch und sich auf das Wochenende freuen. Daran gewöhnt man sich schnell. Manche lernen es sogar, diese Situation auszukosten. Als ich Leutnant wurde, verwandelte ich mich ohne nachzudenken in den perfekten Besatzungsoffizier. Ich legte mich mit Menschen an, die nicht genug Respekt zeigten. Ich habe die persönlichen Dokumente von Männern zerrissen/die so alt waren wie mein Vater. Ich schlug zu. All das passierte kaum mehr als drei Meilen entfernt vom Haus meiner Großeltern. Nein, ich war keine Ausnahme, ich war der Regelfall. Während meiner ersten Dienstzeit hatte ich geglaubt, dass es jemanden gibt, der sich um die Dinge kümmert. Jemand, der mehr weiß als ein unbedarfter Junge wie ich. Ich hatte geglaubt, selbst wenn uns Politiker manchmal nicht gefallen, so ist doch die Armee stets da, uns Tag und Nacht zu beschützen - jede Entscheidung Resultat heiliger Notwendigkeit. Doch ich musste allmählich begreifen, dass meine beiden Wertesysteme nicht mehr ineinander greifen. Als ich als Reservist drei Wochen mit einer berühmten Aufklärungseinheit verbrachte, wurde mir klar, dass sich ein Reservist durchaus in einen hässlichen Macho verwandeln kann. Während der Busfahrt zum Gaza-Streifen wetteiferten die Soldaten um die beste, also für einen betroffenen Palästinenser tödliche Heldengeschichte. Wachdienst zu tun, war das Einzige, was ich ertragen konnte. Und so fragte ich den zuständigen Offizier, ob er mich allein dafür einsetzen könne.

Ich habe versucht, meine Seele zu retten und war an abscheulichen Taten nicht direkt beteiligt, doch ich ermöglichte sie, weil ich für andere Wache schob. Als die jetzige Intifada vor anderthalb Jahren begann, war mir klar, dieses Mal gehe ich nicht. Das war zunächst eine Entscheidung im Verborgenen. Aber dann, als der Wahnsinn, der Hass, die Zahl der Toten wuchsen, als Generäle die israelische Armee in eine Terrororganisation verwandelten, musste meine stille Entscheidung öffentlich werden: »Wenn ihr alle nicht seht, dass hier ein großes Verbrechen stattfindet, dann seid ihr blind, nicht ich!« Und dann entdeckte ich so etwas wie das Leben auf einem anderen Planeten: Ich war nicht allein!

Entnommen aus: Freitag, vom 8. März 2002