Januar 2003 

 

Im folgenden möchten wir eine Reaktion auf das Flugblatt der „gruppe.internationale.webteam“, „Für die Freiheit … Für das Leben … Den Rotdorn von der Straße fegen!!“ veröffentlichen. Das Flugblatt und eine anschließende rege Diskussion sind bei indymedia (http://www.de.indymedia.org/2002/09/28860.shtml)  nachzulesen.

 

 

Antipolitik gegen „linken Anti-Imperialismus“?

 

Auch ich ärgere mich immer mal über die unkritische Übernahme herkömmlicher Denkmuster und „Identitäten“, Rituale und Moralvorstellungen in der Linken. Und wenn dann in der Diskussion zu schnell das etwas rostige klassentheoretische Instrumentarium, gepaart mit messianischer Zukunftsgewissheit, bei der Hand ist, oder amorphe „Völker“ und „Nationen“ zu politischen Subjekten werden, dann darf es auch mal etwas Emotion sein. Auch im „Rotdorn“ hab ich schon Widerspruch erregendes gelesen. Aber was sonst als Austausch, Auseinandersetzung und das Sammeln neuer politischer Erfahrungen könnte die Linke mit ihren Traditions- und Argumentationslinien aufräumen und politisch wirksam werden lassen? 

Dann zeigte das gi-webteam, wie sich Gesellschaftskritik zu vollziehen hat, um nicht von der Straße gefegt zu werden. Erstmal wird mit dem abgerechnet, was sich das team so unter dem volksgemeinschaftlichen, antiamerikanischen und antisemitischen linken Anti-Imperialismus vorstellt. Da sei der Imperialismus „ein weltweit handelndes Subjekt, das zwar bewusst und selbstbewusst handelndes auf der Weltbühne auftritt, als solches aber merkwürdig blass und unbestimmt bleibt und somit greifbar nur in seinen Erscheinungsformen ist: skrupellosen Multis, fiesen Bankern (... etc.), gegen welche Schurken dann auch antiimperialistischerseits mit großer moralischer Verve zu Felde gezogen wird.“ Dies sei ein „personalisierendes Gesellschaftsverständnis“: „Konstitutiv für den gemeinplätzlichen linken Imperialismus-Begriff ist also die Annahme, die unmittelbaren Nutznießer (..) der bürgerlichen Gesellschaft seien deren bewusste und selbstbewusste Subjekte“ (webteam). Wo hier – bei aller Flachheit eines solchen vermuteten Gesellschaftsverständnisses - der Antisemitismus steckt, bleibt offen. Allerdings bietet das webteam ein nicht minder flaches, eher metaphysisches, Gesellschaftsverständnis, in dem die „Kapitalverhältnisse“ mal locker gleich „die bürgerliche Gesellschaft“ sind, das Kapital ganz simpel die „Herrschaft versachlichter Verhältnisse über Individuen“, in der alle „Individuen“ nur noch gesteuert sind. Mehr braucht man als Linker heute nicht. Kein Wort zu so Lächerlichkeiten wie der politischen Rolle der Nationalstaaten im internationalen Beziehungsgefüge, zur Bedeutung der ökonomischen Beziehungen in den internationalen Kräfteverhältnissen, zu Kriegen für Interessendurchsetzung. Gesellschaftliche Widersprüche und soziale Auseinandersetzungen gibt´s nicht mehr. Ist das jetzt das neue linke Gesellschaftsverständnis? Das ist starker Tobak, vor allem die verhängnisvolle Gleichung Klassenkampfrhetorik, Sozialdemokratie & Antisemitismus = alles eine Soße. Und es enthält genau eine „politische“ Handlungsanleitung: Zur „Straßenreinigung“(meine Zusammenfassung), um  „Hirngespinsten“ in der Rotdorn-Redaktion „ein  Ende zu bereiten“ (Wortwahl: webteam).

Es gibt Antisemitismus auch in Traditionslinien der Linken. Dass Antisemitismus auch in Gestalt einer personalisierten und verkürzten Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen daherkommt, ist sicherlich zutreffend. Man kann diese Erkenntnis (positiv unterstellt nur böswillig) einfach andersherum wenden, so dass jede (nicht vollständig schlüssige, die neuen Unsicherheiten souverän bewältigende, von vollendetem Sachverstand geprägte etc.) unerfahrene, lediglich schwarz-weiß-vereinfachte oder dogmatisch-traditionelle Kapitalismuskritik konsequent als antisemitisch zu verunglimpfen ist. Oder auch einfach andere Meinungen. Was dazu führt, dass ein brachiales Generalargument gegen jede Art von Diskussion und Praxis sozialer Auseinandersetzung zur Verfügung steht. „Verkürzungen in der Kritik des Kapitals gibt es viele“, eine Variante offenbart auch der kurzer Lehrgang des webteams. „Keine Bewegung fällt fertig vom Himmel. Die Aufsässigen empören sich über Ungerechtigkeiten, gehen vielleicht einen Schritt weiter, radikalisieren sich und verstehen die selbst erlebte Ungerechtigkeit – oder eben nicht. Aber die realen Verläufe brauchen die antideutsche“(hier wäre „antipolitische“ gerechter und sorgte für die nötige Differenzierung) „Kritik gar nicht zu interessieren. Indem sie darauf hinweisen, dass die Kritik einer Bewegung am Kapitalverhältnis ´verkürzt´ sei, können sie jede soziale Bewegung des Antisemitismus bezichtigen“, resümiert treffend das Magazin „Wildcat“ diese unbescheidene Nonchalance in der Argumentation.

Einmal auf der schiefen Ebene, gibt es kein Halten mehr. Wenn der „reaktionäre Antikapitalismus“ der „nationalen Befreiungsbewegungen“ antiemanzipatorisch und „antiamerikanisch“ (Oops!) war, dann bleibt für die Zivilisation nur noch Platz im Abendlande. Da findet man sich – bezogen auf die Gegenwart - plötzlich auf der Seite von George Bush wieder, der gerade (nicht als herrschaftsunterworfenes Individuum, aber als Vertreter politischer Interessen, Zugriffsberechtigten auf Kanonen und Vorsteher des faktisch mächtigsten globalen Akteurs) ziemlich „selbstbewusst“ einen Angriffskrieg plant. Er will das, kann das, und er hätte es auch lassen können. Muss man den jetzt als ehrbaren Vorkämpfer annehmen, weil er mit den Erben des „reaktionären Antikapitalismus“, all den „Barbaren“, den Osamas und Omars (Da gibt’s doch noch die Scharia! ), Milosevics (nach J. Fischer: Urheber eines neuen Auschwitz!) und Saddams (BZ beim Einmarsch in Kuwait: „Der neue Hitler“) und nebenbei mit einem erklecklichen Teil der Zivilbevölkerung und Infrastruktur aufräumen will? Nein. Und es hätte mit "links" auch nichts zu tun, wenn man es täte.

Besonders unappetitlich vom webteam: Dass das indifferente Wort „Fremdbestimmung“ in einen an sich völkischen und spießigen Kontext (spießig = völkisch???) gesetzt wird: Die „miefende Gemütlichkeit des ´Bei-sich-selber-bleiben-wollens´, die Parteinahme fürs Bewährte, Angestammte und Identische, in welcher unmittelbar das rohe barbarische Ressentiment gegen das Fremde, Unvertraute und Vermittelte impliziert ist“ (webteam). Es mag etwas zynisch sein zu fordern, dass die Menschen alles „Unvertraute“ hinzunehmen hätten, was von den „versachlichten Verhältnissen“ über sie gebracht wurde. Den Wohlstandsmüll hier, die kulturell-materielle Entwurzelung dort, mal auch etwas Napalm – oder vielleicht zukünftig auch mal eine Atombombe? Besonders zynisch dann, wenn in den eigenen Lebensumständen das Wasser aus dem Hahn kommt und das Knattern der Granaten aus dem Fernsehgerät; Aldi bringt´s und die Müllabfuhr holt´s ab. So simpel ist das aber nicht mit dem Antisemitismus und völkischem Denken.

Zwei Nachrichtenmeldungen am Tag danach: (1) In der Bundesrepublik, finden 40 % der Bürger dieses Landes, haben Juden zuviel zu sagen. (2) Um Sheberghan (Afghanistan) haben amerikanische Soldaten einem Massaker beigewohnt, bei dem über 2.000 gefangene und zum Teil gefesselte Taliban von Dostums Nordallianz-Truppen einfach hingerichtet wurden. Das wäre dann ein Kriegsverbrechen. Zu beidem sollten sich Linke problematisierend und politisch verhalten. Wenn es für „links sein“ in der historischen Erfahrung des letzten Jahrhunderts noch ein Synonym gibt, dann lautet es (in der Kürze etwas banal): Eingreifen in gesellschaftliche Kräfteauseinandersetzungen, Partei beziehen für die Marginalisierten, für Solidarität, Frieden und die sozialen Notwendigkeiten aller. Hier gibt es viele Optionen und reale Konfliktlinien, und (bei aller Kritik an abgestaubten - nichtsdestotrotz nach wie vor populären – Vorstellungen) auch handelnde Akteure, Adressaten mit Bewegungsspielräumen, die Möglichkeit Druck zu erzeugen, die Perspektive politischer Veränderung.

Die hierbei nötige Auseinandersetzung zu denunzieren und wegzudiktieren bedeutet, der Linken das Wasser abzugraben.

 

Klaus Lederer