November 2001
Der
Stasi-Otto-Herbstkatalog
Die Regierungsparteien marschieren
nach vorne in Sachen „Innere Sicherheit“. Grüne postulieren die Ausweitung
polizei- und geheimdienstlicher Befugnisse. In Hamburg holt der Populist Schill
mit zweifelhaften Angstbedrohungsszenarien auf einen Schlag mehr als 20 % aller
Wählerstimmen. Die Medien vermitteln das Bild von der dunklen Bedrohung des
Bösen an sich, das sich in Taliban und Milzbrand-Briefen findet.
Wären die aus Hamburg
stammenden New-York-Attentäter mit einem Pass mit Fingerabdrücken und biometrischen
Daten wirklich aufzuhalten gewesen? Wohl kaum. Das macht ja Schläfer aus.
Glaubt Schily tatsächlich, mit Kronzeugen-Regelungen lassen sich zum Selbstmord
entschlossene Attentäter zu Offenbarungen gegenüber den Sicherheitsbehörden
motivieren? Welchen Sinn hat eine Kamera in der Innenstadt bei Angriffen dieser Art? Wie hätte „weniger
Datenschutz“ a la Schily einen solchen Anschlag verhindern sollen, und wie soll
er es für die Zukunft?
Derzeit wird der
Rechtsstaat auf den Kopf gestellt, die Unschuldsvermutung wird zum Generalverdacht.
Allein die Zugehörigkeit zu einer „Mustergruppe“ von Personen soll zur
umfassenden Ausforschungsgrundlage generiert werden. Polizei und Geheimdienste
werden in einen umfassenden Datenverbund umgebaut – das Grundgesetz wurde 1949
von den Alliierten nur unter dem Vorbehalt strikter Trennung genehmigt worden.
Nachdem etwa Sozialdemokraten von der Nazi-Gestapo auf Basis der Daten
verhaftet und ermordet wurden, die sozialdemokratische Innenminister in Zeiten
der Weimarer Republik über sie gesammelt hatten.
Nun
soll die Terror-Hysterie nicht umgedreht werden. Vernünftige Vorschläge, wie
öffentliche Sicherheit tatsächlich zu erhöhen wäre, sind ja nicht verboten.
Aber die Frage nach Sinn und Unsinn von Maßnahmen wird ja nicht zugelassen.
„Zynisch und menschenverachtend“ ist jeder, der nicht jede innen- wie
außenpolitische Maßnahme der Bundesregierung gleich mit Beifall und
Unterstützungsrufen honoriert. Keiner muss sich mehr die Mühe geben, die
Tauglichkeit einer Maßnahme zur „Terrorbekämpfung“ zu begründen.
Viel
vernünftiger Widerspruch in SPD und Grünen, der früher noch mit Sanktionen von
Parteichefs, Außenminister oder Fraktionschefs unterbunden werden musste, hat
sich jetzt selbst diszipliniert und ist verstummt. Das macht es den
Sicherheitsaposteln von Schill über Bosbach bis Schily leicht, die abgestaubten
Befugniserweiterungsideen für die Sicherheitsbehörden als notwendige Antwort
auf das „Böse“ zu verkaufen. Über viele dieser Vorschläge wurde jahrelang der
Kopf geschüttelt.
Insofern
ist die Prophezeiung, nach dem 11. September werde nichts mehr so sein wie
zuvor, zur Befürchtung geworden. Dass nämlich nach und nach eine sehr dünne
Demokratie übrig bleibt, die zu autoritären Regimes eine größere Nähe besitzt,
als die Protagonisten eines permanenten Überwachungs- und Ausnahmezustandes uns
glauben machen wollen.
Vernunft
ist immer Abwägung. Keine rechnerische Abwägung, etwa der Toten in Afghanistan
zu den Toten in New York. Sondern eine Abwägung zwischen Zwecken und Mitteln,
die zur Erreichung dieser Zwecke eingesetzt wird. Bestimmte Mittel verkehren
den Zweck an sich: Ein umfassender Krieg für den Frieden vor Terrorismus ist
außenpolitisch genauso absurd, wie innenpolitisch die Abschaffung der Freiheit
zu ihrer Sicherung. Wer bestimmte Mittel anwendet, die Menschen zu
Schachfiguren auf einem Brett oder zu „Kollateralschäden“ machen, wer alle
unter Generalverdacht setzt und die individuelle Freiheit antastet, der gerät –
ob Staat oder Einzelner – immer in die Nähe des gleichen „Bösen“, was er zu
bekämpfen angibt.
Klaus