Mai 2001

 

 

"Es ist die Zeit des Wortes. Verwahre also

die Machete und schärfe die Hoffnung"

 

Die Zapatisten fordern auf dem Marsch für die Würde

Grundrechte für die indianische Bevölkerung Mexikos

 

Als sich Mitte der achtziger Jahre eine Hand voll Guerilleros, meist Studenten aus den Städten Mexikos, nach Chiapas, dem unwegsamen Südosten aufmachten, um die indianische Landbevölkerung für den Kampf um ihre Rechte zu mobilisieren, hätten Kenner der lateinamerikanischen Zeitgeschichte wohl kaum erwartet, dass achtzehn Jahre später, die Anführer dieses Befreiungsheeres vor dem mexikanischen Parlament entscheidende Grundrechte für die Indigenas einfordern würden. Die Zapatistische Nationale Befreiungsarmee, benannt nach dem populären General des Bauernheeres während der mexikanischen Revolution (1906-1920),  Emiliano Zapata (1883-1919) ist in aller Welt nicht allein durch ihren aufopferungsvollen Kampf für die Rechte der Ureinwohner in der Selva (Regenwaldin den Bergen) von Chiapas bekannt, sondern auch durch ihre gewaltlosen Aktionen, ihre auf Selbstorganisation und antiautoritäre Strukturen setzende Grundeinstellung und ihre Kongresse, die der herrschenden Geldgesellschaft und der Globalisierung im Interesse der multinationalen Konzerne eine neue, gerechtere und basis-demokratische Zivilgesellschaft entgegensetzen wollen.

 

Solch ein "intergalaktisches Treffen", das durch Vorbereitungskongresse auf allen Kontinenten von NGOs und Solidaritätsgruppen in Gang gesetzt wurde, fand 1996 im Regenwald von Chiapas statt.

Bei diesem Treffen wurde deutlich, dass "der Zapatismus keine neue politische Ideologie oder Wiederauflage alter Ideologien ist. Den Zapatismus gibt es nicht, er existiert nicht. Er dient nur dazu, so wie Brücken, von einer Seite auf die andere zu kommen. Deshalb haben alle im Zapatismus Platz, alle, die von einer Seite auf die andere kommen wollen. Es gibt keine Rezepte, keine Linie, keine Strategien, Taktiken, Gesetze, Regeln oder universelle Parolen. Es gibt nur eine Sehnsucht: eine bessere Welt zu schaffen, dass heißt, eine neue. Zusammengefasst: der Zapatismus gehört niemandem, und deshalb gehört er allen!"(aus einer Erklärung der Befreiungsarmee)

 

Das Treffen mit Delegierten aus aller Welt fand seine Fortsetzung. Die Zapatistische Bewegung, ursprünglich eine rein mexikanische Sache, begann ökonomische und ökologische Weltprobleme zu diskutieren. Die Kämpfe, die nur ein Kampf sind, gegen Neoliberalismus und Globalisierung, für Klima-schutz und Erhaltung des Regenwaldes wurden neben dem Befreiungskampf der mexikanischen Indigenas zu Stationen auf dem Weg der Zapatisten. Auch zum unsäglichen Kosovo-Krieg meldete sich Subcomandante Marcos mit einer Botschaft an das Soziale Europa und an die Männer und Frauen, die "nein sagen können" zu Wort: "Brüder und Schwestern, an Euch alle der Gruß der Zapatisten aus Mexiko! Dieser Tage finden auf der ganzen Welt diverse Aktivitäten gegen den Krieg statt, den das Geld im Herzen Europas gesät hat...In diesem Krieg versucht die große Macht, uns alle dazu zu zwingen, Stellung zu beziehen: entweder unterstützen wir die ethnische Reinheit von Milosevic oder den `humanitären` Krieg der Nato. Das ist der große Zauber des Geldes...In den Regalen des globalisierten Marktes bietet die Macht der Menschheit nur verschiedene Sorten desselben Krieges. Es gibt ihn in allen Farben, Geschmacksrichtungen, ...innerhalb dieser Marktlogik der Todes-verkäufer, will der Neoliberalismus uns einen Betrug andrehen. Der Krieg, der angeblich noch mehr Tote verhindern sollte, hat nichts anderes getan als sie zu vervielfachen.

Es ist nicht wahr, dass wir an diesem tödlichen Markt teilhaben müssen. Es ist nicht wahr, dass es nur die Wahl zwischen verschiednen Formen des Krieges gibt...Trotz aller Macht des Geldes haben wir immer noch das Recht, `nein` zu sagen...Nein zur Zerstörung des anderen...Nein zum Zynismus. Nein zur Gleichgültigkeit. Nein zum Zwang der Wahl zwischen mehr oder weniger blutrünstigen, mehr oder weniger perversen, mehr oder wengier mächtigen Verbrechern.

Wenn wir heute nicht `nein` zum Kosovo sagen, werden wir morgen `ja`zu all dem Horror sagen, den das Geld schon in allen Teilen der Welt zusammen-braut..."

Im Laufe dieses Frühjahrs wird sich in Mexiko herausstellen, ob die neue  Regierung unter Vincente Fox von der konservativen PAN, die zum ersten Mal seit 80 Jahren die Partei der institutionalisierten Revolution (PRI) - eine verkrustete und korrupt gewordene Partei - abgelöst hat, zu ernsthaften Friedensverhandlungen und zu einer Verfassungsreform bereit ist. Mit dem "Marsch der Würde" von 23 comandantes und dem subcomandante Marcos nach Mexiko-Stadt sollte die Zivilgesellschaft  mobilisiert und das Parlament zur Unterzeichnung eines seit Jahren ausstehenden Gesetzentwurfs über indigene Rechte und die Kultur der Ureinwohner bewegt werden. In dem Bundesstaat Michoacan verweilten die Gerilleros drei Tage auf ihrem Marsch beim Nationalen Indigena Kongress, an dem mehr als 10 000 Ureinwohner Mexikos teilnahmen, um über die Kultur und Autonomie ihrer Völker zu debattieren. "...Lerne mit dem Herzen zu sprechen das in dem Anderen pocht. Sei klein gegenüber dem Schwachen und mach dich groß mit ihm. Sei groß gegenüber dem Mächtigen und willige nicht stumm ein in die Erniedrigung, die uns widerfährt, sagten unsere ältesten Häuptlinge..."(aus der Erklärung der Zapatisten auf diesem Kongress)

Fast Zweihunderttausend begrüßten Ende März die unbewaffneten Zapa-tistenführer in Mexiko-Stadt. Das Parlament beschloss mit knapper Mehrheit, die comandantes könnten vor dem Hohen Haus eine Erkärung für die Zapatisten abgeben. Die Zapatisten wollen erst mit dem schillernden Prä-sidenten Fox sprechen, wenn die Regierung ihre bekannten Bedingungen erfüllt hat: Räumung der Militärstützpunkte, Freilassung aller zapatistischen Gefangenen; grundlegende Verfassungsreform.

Während die mexikanischen Medien aus dem "Marsch der Würde" ein event namens Friedensmarsch mit Rock-Konzert und Anstecknadeln machten - "Heute wollen sie uns zur Mode machen...Heute wollen sie uns...vergänglich, flüchtig, ...entbehrlich machen" -, forderten unterdessen die Großgrundbesitzer die 24 Zapatistenführer in Mexiko-Stadt festzusetzen und ihnen das beschlagnahmte Land und Vieh zurückzugeben. Hunderte von Indianern besetzten dort zwei Rundfunkstationen, um Solidaritätsbotschaften für die Zapatisten auszustrahlen.

Die Medien in Mexiko, aber insbesondere in Europa focusieren die Zapa-tistische Bewegung vor allem auf subcomandante Marcos, den sie zum Robin Hood der Aufständischen hochstilisieren. Dabei versteht sich Marcos selber nur als Übersetzer der Maya-Kultur und des Maya-Denkens in westliche Kategorien. Aber in den westlichen Medien kann sich niemand vorstellen, dass eine indigene Bewegung ein eigenes Denken hervorbringen kann. Die Formeln, die Marcos verwendet, und der poetische Stil kommen von den chiapanekischen Indigenas. Ein Indigena aus Chiapas versteht Marcos Kommuniques mit den Wiederholungsfiguren und den Kategorien der Maya-Philosophie auf einer ganz anderen Ebene, als das ein junger Westeuropäer der Mittelklasse, der die Zapatisten bewundert, meist tut, der diese Sprache nur für reine Poesie hält. Dabei geht es ums Leben, ums knallharte Überleben, um soziale Rechte und um drastische Wirtschaftsreformen. Und bei diesen notwendigen Schritten ist der Zapatismus eben "nicht der Wegweiser, sondern lediglich eine Spur, die ins Morgen führt".

 

                                                                       Klaus Körner